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Die Bundesregierung hat nach den Worten des zuständigen Unterabteilungsleiters im Auswärtigen Amt erhebliche Anstrengungen unternommen, um den Vorwurf einer deutschen Verstrickung in den Drohnenkrieg der USA aufzuklären. Sie führe über dieses Thema mit den amerikanischen Partnern weiterhin einen ständigen Dialog, versicherte der Zeuge Jürgen Schulz am Donnerstag, 3. Dezember 2015, dem NSA-Untersuchungsausschuss unter Vorsitz von Prof. Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU).
Der 51-jährige Diplomökonom ist seit 1991 im Auswärtigen Dienst tätig. Zwischen 2008 und 2013 war er als Referatsleiter im Kanzleramt unter anderem mit transatlantischen Beziehungen und Fragen der Sicherheitspolitik befasst. Seither bearbeitet er dieselben Sachbereiche im Auswärtigen Amt.
Seit Langem gilt der US-Luftwaffenstützpunkt im rheinland-pfälzischen Ramstein als Drehscheibe für Drohneneinsätze gegen radikalislamische Freischärler im Mittleren Osten und in Afrika. Auch das in Stuttgart ansässige US-Zentralkommando für den afrikanischen Kontinent (Africom) soll an dieser Art der Kriegführung beteiligt sein.
Die Bundesregierung habe darüber frühzeitig das Gespräch mit den USA gesucht, betonte Schulz. Sie habe schließlich auf Anforderung der Gegenseite einen umfangreichen Fragenkatalog eingereicht, den die für Europa zuständige Abteilungsleiterin im US-State Department Victoria Nuland im Januar 2014 mündlich "zum größten Teil beantwortet" habe.
Er selber, berichtete Schulz, sei schließlich im September dieses Jahres persönlich nach Ramstein gereist, um sich vor Ort ein Bild zu machen. Die Gastgeber hätten dem Besucher ein Briefing über verschiedene Drohnensysteme angedeihen lassen, das ihm freilich keine neuen Erkenntnisse gebracht habe. Darüber hinaus hätten die US-Militärs versichert, dass von Ramstein aus keine Drohneneinsätze "gesteuert"würden. Weitere operative Details seien nicht zur Sprache gekommen.
Im Oktober hatte der ehemalige US-Drohnenpilot Brandon Bryant vor dem Ausschuss hervorgehoben, dass Ramstein als Relaisstation für die Übermittlung von Signalen aus dem Nahen und Mittleren Osten sowie aus Afrika im Drohnenprogramm eine Schlüsselrolle spiele.
Bei einem Deutschland-Besuch im Juni 2013 hatte US-Präsident Barack Obama erklärt, dass von Ramstein aus keine Drohnen starten. Auf Nachfrage haben die US-Seite später hinzugefügt, dass von dort aus keine Drohnen gesteuert würden. Dass Ramstein im Drohnenprogramm eine Rolle spielt, sei allerdings nie bestritten worden. Er verfüge über "keine Erkenntnisse", die darauf hindeuteten, dass die Aussagen der US-Regierung "unzutreffend" seien, sagte Schulz.
Die deutsche Seite bleibe über das Thema im Gespräch: "Wir ermuntern und drängen unsere amerikanischen Freunde, uns noch weitere Informationen zu geben." Allerdings könne die Bundesregierung sie dazu nicht zwingen. Auch habe sie in Ramstein keinerlei Kontrollbefugnisse.
Der Zeuge erinnerte sich, wie er im Sommer 2013 überstürzt eine Reise in die USA antreten musste, um die Regierung in Washington über die deutschen Besorgnisse nach den Enthüllungen des früheren NSA-Mitarbeiters Edward Snowden in Kenntnis zu setzen. Dessen Mitteilungen über Aktivitäten der National Security Agency (NSA) in Deutschland waren im Juni durch die Medien gegangen.
Am 1. Juli trat Schulz seinen derzeitigen Posten im Auswärtigen Amt an. Bereits am 5. Juli sei er auf Drängen seiner Vorgesetzten zu Gesprächen im Weißen Haus nach Washington geflogen. Sein Auftrag sei gewesen, von den amerikanischen Partnern "nachdrücklich Aufklärung einzufordern". Mehr als eine Bekundung guten Willens, sich in Deutschland an deutsches Recht zu halten, habe er aber nicht erreicht.
Am selben Tag hatte ein Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes (BND) vor dem Untersuchungsausschuss erklärt, dass seine Behörde im Umgang mit Daten deutscher Grundrechtsträger bei Abhörmaßnahmen äußerste Sorgfalt walten lasse.
Ihm sei auch nicht bekannt, dass Daten unkontrolliert und massenhaft an die amerikanischen National Security Agency (NSA) weitergegeben worden seien, betonte der Zeuge H.K.
Der ausgebildete Luft- und Raumfahrtingenieur ist seit 1985 beim BND tätig. Er leitete von 2003 bis 2009 das Referat T2c, das Nachrichten zu den Themen Terrorismus und Verbreitung von Massenvernichtungswaffen bearbeitet. Anschließend führte er bis September 2011 das Referat T1e, zuständig für die Überwachung kabelgestützter Kommunikation in Deutschland.
Als Referatsleiter T2c habe er auch sogenannten G10-Anträge zu stellen gehabt, berichtete der Zeuge. Dabei geht es um die Genehmigung, in Einzelfällen Verdächtige zu überwachen, die als deutsche Staatsbürger den grundgesetzlichen Schutz des Fernmeldegeheimnisses genießen. Der Anteil aus solchen Quellen stammender Erkenntnisse am Gesamtumfang des von seinem Referat täglich bearbeiteten Materials sei jedoch "vernachlässigbar" gewesen.
Der Zeuge beschrieb die Verfahrensregeln, an die sich der BND gebunden habe, bevor es zur Überwachung eines verdächtigen deutschen Bürgers kommt. Der erste Schritt sei stets, die Hausjuristen zu Rate zu ziehen. Diese leiteten dann das Antragsverfahren bei der G10-Kommission ein, die die erforderliche Genehmigung zu erteilen hat.
Erst wenn diese vorliege, werde in der Erfassungsstelle das gegen den Betroffenen gerichtete Suchmerkmal freigeschaltet: "Kein Nachrichtenbearbeiter wird von sich aus einen Selektor einstellen, von dem er weiß, dass er zu einem Deutschen gehört." Am Ende werde jede so gewonnene Nachricht noch einmal von einem zum Richteramt befähigten Juristen auf die Unbedenklichkeit ihrer Entstehung geprüft.
Es komme gelegentlich auch vor, dass BND-Juristen der Meinung seien, für eine bestimmte Abhörmaßnahme sei keine Genehmigung der G10-Kommission erforderlich, die zuständigen Nachrichtenbearbeiter aber dennoch sicherheitshalber darauf bestünden, berichtete der Zeuge.
Er selbst könne sich nicht erinnern, jemals eine Meldung auf dem Tisch gehabt zu haben, von der er den Eindruck gehabt habe, sie sei möglicherweise auf unrechtmäßige Art zustande gekommen. Das liege aber daran, dass er nie unbearbeitete Rohdaten gesehen habe. Das Rohmaterial werde bereits in den Erfassungsstellen aufbereitet, und dabei würden auch Erkenntnisse ausgefiltert, die bei weiterer Verwendung rechtliche Probleme aufwerfen könnten.
Für die Vertreter der Opposition im Ausschuss war der Zeuge in gewissem Sinne eine Enttäuschung. Sie verfolgen nach wie vor die Hypothese, aus der BND-Zentrale in Pullach könnten Roh- und Metadaten, die in verschiedenen Abhöranlagen erfasst wurden, in gewaltiger Menge automatisch an die NSA weitergeleitet worden sein, und suchen den dafür Zuständigen. Nachdem bereits in der Vorwoche ein ehemaliger BND-Referatsleiter erklärt hatte, er habe mit der Weitergabe von Daten nichts zu tun gehabt und könne dazu keine Angaben machen, sagte H.K. dazu am Donnerstag dasselbe.
Aus seiner Tätigkeit habe er keine Kenntnis davon, dass Daten unkontrolliert an die NSA abgeflossen seien: "Es gibt Situationen, wo Meldungen im Rahmen von Kooperationen an andere Staaten weitergegeben werden, aber immer individuell, nicht automatisch", betonte der Zeuge. Dabei handele sich auch nicht um Roh- oder Metadaten, sondern um fertig bearbeitete Nachrichten. (wid/03.12.2015)