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Der Bundestag gibt grünes Licht für eine Ausweitung des Afghanistan-Einsatzes. In namentlicher Abstimmung votierten am Donnerstag, 17. Dezember 2015, 480 Abgeordnete für einen entsprechenden Antrag der Bundesregierung (18/6743, 18/6946). Damit erhöht sich die Zahl der einzusetzenden Soldaten im Rahmen der Nato-Ausbildungs-, Beratungs- und Unterstützungsmission „Resolute Support“ von bisher 850 auf bis zu 980. Gegen den Antrag votierten 112 Abgeordnete, zehn enthielten sich.
Niels Annen (SPD) nannte in der Debatte das neue Mandat „keinen Grund zur Freude, weil sich Afghanistan nicht so entwickelt hat, wie wir das erhofft haben“. Allerdings sei es keine Option, Fortschritte zu ignorieren oder gar das Land seinem Schicksal zu überlassen. Gerade die junge Generation, die die Chance auf Bildung an Schulen und Universitäten ergriffen hätte, werde nicht akzeptieren, dass Afghanistan „in das Mittelalter der Taliban-Herrschaft zurückkehrt“.
Die zwischenzeitliche Eroberung der Großstadt Kundus im September durch die Taliban sei ein Schock gewesen – aber es habe sich eben auch gezeigt, dass es den afghanischen Sicherheitskräften gelungen sei, solche Angriffe zurückzuschlagen. „Wir stehen zu unserer Verantwortung und lassen die Menschen in Afghanistan in dieser schwierigen Situation nicht allein“, sagte Annen.
Christine Buchholz (Die Linke) wies darauf hin, das Kundus leider kein Einzelfall sei. „Der Nato-geführte Krieg in Afghanistan ist gescheitert.“ Er zeige, dass sich Frieden und Demokratie nicht von außen erzwingen ließen. Statt dieses Scheitern einzugestehen, entsende die Bundesregierung nun erneut mehr Bundeswehrsoldaten, die nunmehr auch die afghanische Armee bei Einsätzen begleiten würden.
Die Tatsache, dass viele Menschen aus Afghanistan fliehen würden, zeige, dass sie die Hoffnung auf Frieden und eine sichere Zukunft verloren hätten. Es sei zynisch, wenn Innenminister Thomas de Maizière (CDU) argumentiere, dass deutsche Soldaten Afghanistan sicherer machten und man deshalb erwarten könne, dass die Afghanen sich nicht auf die Flucht begeben würden, sagte Buchholz.
Verteidigungsministerin Dr. Ursula von der Leyen (CDU) nannte 2015 eine „hartes Jahr für Afghanistan“. Die ursprüngliche Ankündigung der ausländischen Truppen, sich aus der Fläche zurückzuziehen, sei nicht ohne Wirkung geblieben und habe die Taliban „teilweise ermutigt“, die afghanische Armee „teilweise entmutigt“. Es gehe beim Mandat nun darum, die „reine Orientierung an Zeitlinien“ zu korrigieren und stattdessen die militärische Präsenz an den Fortschritten im Land zu bemessen. Der Einsatz sei kein „Blankoscheck“, sondern mit einer klareren Erwartungshaltung an die afghanische Regierung verbunden, endlich wichtige Reformen konsequent anzugehen.
Gerade weil sich Deutschland militärisch mit dem Ende des Isaf-Mandates zurückgezogen habe, „dürfen wir beim Wirtschaftsaufbau und der Entwicklungszusammenarbeit nicht nachlassen“, sagte von der Leyen mit Blick auf Flüchtlinge aus Afghanistan. „Es kann in der Tat nicht sein, dass wir über Jahre die Bundeswehr schicken – und gleichzeitig verlassen vor allem die gut Ausgebildeten und Wohlhabenden das Land.“
Agnieszka Brugger (Bündnis 90/Die Grünen) lenkte den Blick trotz zahlreicher schlechter Nachrichten auf positive Entwicklungen wie dem Zugang zu Bildung insbesondere für Mädchen. „Diesen Fortschritt können auch rückwärtsgewandte Taliban nicht umkehren.“ Der 14 Jahre währende Militäreinsatz zeige aber auch, dass es nicht gelungen sei, die Taliban zu besiegen.
Brugger kritisierte, dass die Bundesregierung wichtigen Fragen ausweiche: Wie lange die Bundeswehr in Afghanistan bleibe und anhand welcher Kriterien sie eines Tages vollständige abziehe – darauf gebe die Bundesregierung keine Antwort und „dies birgt Gefahren für die Zukunft“. Die Regierung versuche weiszumachen, dass allein eine bessere Ausbildung der afghanischen Armee die Sicherheitslage verbessern würde. Statt den Menschen mit Reformen Hoffnung zu geben und endlich den Verhandlungsprozess mit Aufständischen voranzutreiben, bleibe die afghanische Regierung aber befangen in Korruption. „Wie kann unter diesen Bedingungen ein militärisches Mandat zum Erfolg führen?“ fragte Brugger.
Jürgen Hardt (CDU/CSU) nannte es „klug und richtig, vom ursprünglichen Zeitplan abzuweichen“ und auch vom Rückzug aus der Fläche vorerst abzusehen. In Afghanistan sei die Situation nach wie vor nicht so, „dass wir auf diesen Einsatz verzichten können“, wenngleich auch zur Kenntnis genommen werden müsse, dass es in vielen Regionen des Landes mittlerweile stabile Verhältnisse gebe.
Allein die Tatsache, dass in den vergangenen Jahren Hunderttausende Afghanen wieder zurück in ihre Heimat gekommen seien, spreche für Erfolge von Isaf und der Nachfolgemission RSM. Hardt begrüßte die Einigung der Innenminister der Bundesländer, die generelle Entscheidung, keinen Flüchtling aus Afghanistan zurückzuführen, wieder aufzuheben und eine individuelle Prüfung einzuführen. „Das halte ich für die logische Konsequenz dessen, was wir in Afghanistan machen.“
Keine Mehrheit fanden im Anschluss an die Debatte zwei Entschließungsanträge (18/7083, 18/7084) der Opposition. Die Linksfraktion hatte unter anderem einen „umgehenden und vollständigen Abzug“ der Bundeswehr aus Afghanistan und einen „Abschiebestopp“ für afghanische Flüchtlinge in Deutschland gefordert.
Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen setzte sich unter anderem dafür ein, bis 2016 jährlich 430 Millionen Euro für den zivilen Wiederaufbau in Afghanistan zur Verfügung zu stellen und die Abschiebung von afghanischen Flüchtlingen aus Deutschland auszusetzen. (ahe/17.12.2015)