Navigationspfad: Startseite > Dokumente > Web- und Textarchiv > Textarchiv
Nach Ansicht des Völkerrechtsberaters der Bundesregierung ist deren Haltung zum Drohnenkrieg der USA weniger eine rechtliche als eine politische Frage. Im Auswärtigen Amt sei dafür deswegen auch nicht die von ihm geleitete Rechtsabteilung, sondern die Politische Abteilung zuständig, sagte Ministerialdirektor Dr. Michael Koch am Donnerstag, 17. Dezember 2015, in seiner Vernehmung durch den NSA-Untersuchungsausschuss unter Vorsitz von Prof. Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU). Der 60-jährige Jurist war in jungen Jahren Assistent am Institut für Internationales Recht der Universität Kiel und gehört seit fast drei Jahrzehnten dem Auswärtigen Dienst an. Er war zwölf Jahre lang in verschiedenen Funktionen mit den Krisenstaaten Afghanistan und Pakistan befasst, unter anderem von 2008 bis 2012 als Botschafter in Islamabad.
Koch machte deutlich, dass ein politisches Motiv, nämlich die Rücksicht auf die Stimmung im eigenen Land, für die Bundesregierung ausschlaggebend ist, um sich für die Drohneneinsätze der USA zu interessieren und in diesem Zusammenhang für die Rolle des US-Luftwaffenstützpunkts im rheinland-pfälzischen Ramstein. Drohnen seien nun einmal als Waffentypus "in großen Teilen der Bevölkerung hoch umstritten". Aus diesem Grund sei die Bundesregierung, vertreten durch das Verteidigungsministerium, seit zwei Jahren darüber mit den USA "laufend im Gespräch". Dabei habe die Gegenseite wiederholt versichert, dass von Ramstein aus Drohnen "weder gesteuert noch geflogen" würden.
Völkerrechtlich verbindlich sei eine solche Erklärung nicht, räumte der Zeuge ein. Abgesehen davon habe die Bundesregierung aber auch keinen Anlass, an ihrem Wahrheitsgehalt zu zweifeln: "Wir haben keine Erkenntnis, dass das nicht so sei, insofern gehen wir davon aus, dass dieser Zusage so entsprochen wird." Auch das Verwaltungsgericht Köln habe in einem erstinstanzlichen Urteil in einem Verfahren wegen angeblicher deutscher Verwicklung in den Drohnenkrieg die Darstellung der US-Regierung als wahr unterstellt.
Dies gelte auch, wenn Ramstein, wie kompetente Zeugen berichten, als Relaisstation zur Übermittlung von Daten aus dem Mittleren Osten und aus Afrika genutzt würde: "Wenn es eine Relaisstation gäbe, wäre das dennoch kompatibel mit der amerikanischen Zusage", die ja lediglich laute, dass von Ramstein aus Drohnen weder gesteuert noch geflogen würden.
Koch betonte, dass Drohnen als Waffentypus im Prinzip nicht völkerrechtswidrig seien. Sie unterlägen anders als Chemiewaffen, Streubomben oder Laser keiner Ächtung durch die Staatengemeinschaft. Die Drohne sei keine Waffe, die "bei bestimmungsmäßigen Gebrauch regelmäßig zu völkerrechtswidrigen Ergebnissen" führe.
Die Rechtmäßigkeit von Drohnenattacken sei daher immer nur im Einzelfall zu beurteilen. Wenn der Einsatz im Rahmen eines bewaffneten Konflikts erfolge und sich nicht gegen illegitime Ziele wie Zivilisten richte, sei aus völkerrechtlicher Sicht nichts einzuwenden. Auch zivile Opfer seien hinzunehmen, wenn gemessen am militärischen Ziel die Verhältnismäßigkeit gewahrt bleibe.
Koch zitierte eine Stellungnahme des Generalbundesanwalts zum Tod des deutschen Staatsbürgers Bünyamin Erdoğan, der im Oktober 2010 im Nordwesten Pakistans einer US-Drohne zum Opfer gefallen war. Demnach gab es in der Region einen bewaffneten Konflikt, an dem die USA berechtigt waren, teilzunehmen. Die beiden Opfer seien bewaffnete Freischärler, also legitime Ziele gewesen. Freilich, so Koch, gebe es keine verbindliche Definition des bewaffneten Konflikts: "Jeder Rechtsanwender stellt das selber für sich fest."
Zuvor hatte ein Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes (BND) erneut die Vorgänge geschildert, die im Spätsommer 2013 zu der Entdeckung führten, dass die amerikanische National Security Agency (NSA) in der gemeinsam betriebenen Abhöranlage in Bad Aibling politisch fragwürdige Suchmerkmale eingespeist hatte. Nach den Enthüllungen des früheren NSA-Mitarbeiters Edward Snowden über die Aktivitäten von US-Diensten in Deutschland seien deren Kollegen in Pullach hellhörig geworden, sagte der Zeuge H.K.
Der ausgebildete Luft- und Raumfahrtingenieur ist seit 1985 beim BND, seit 2003 als Referatsleiter in der Abteilung T2. Zu seinen Untergebenen zählte Dr. T., der im August 2013 den Auftrag erhalten hatte, den Bestand der in Bad Aibling genutzten NSA-Selektoren kritisch durchzusehen.
Der Zeuge erinnerte sich, wie damals Dr. T. zu ihm gekommen sei und gesagt habe: "Hier läuft was schief." Er habe sich mit dem Problem aber nicht weiter befasst, sagte H.K., sondern T. an den Unterabteilungsleiter D.B. verwiesen, der den Prüfauftrag erteilt hatte. Zu der Frage, wie D.B. auf die Idee gekommen sei, den Selektorenbestand unter die Lupe nehmen zu lassen, sagte der Zeuge: "Manchmal hört der D.B. das Gras wachsen."
Der Mann habe ein "feines Gespür, wie sich Dinge entwickeln können". Nachdem im Sommer 2013 die Medien wochenlang über Snowdens Enthüllungen berichtet hatten, habe D.B. offenbar geahnt, "dass sich das ein bisschen exotisch entwickelt". Schließlich lagen jetzt Verdachtsmomente vor. "Ich denke schon, dass er die Befürchtung gehabt hat, das die NSA nicht unbedingt uns alles im Vorfeld gesagt hat."
Dabei sei es zunächst nur um die Frage gegangen, ob unter den von der NSA gelieferten Suchmerkmalen Selektoren "mit einem gewissen Deutschland-Bezug" waren, "die wir unter Umständen einfach nicht erkannt hatten", vermutete der Zeuge. Im Laufe der Untersuchung kamen dann annähernd 40.000 NSA-Selektoren zutage, die zur Ausspähung von Zielen in befreundeten Ländern und Mitgliedstaaten der Europäischen Union geeignet waren. Festgestellt wurde auch, dass der Bestand zu einem Prozent Selektoren umfasste, die für den BND technisch unlesbar waren. Dies sei bei keiner der vorherigen Routineüberprüfungen aufgefallen.
Der Zeuge schloss aus, dass bereits damals im August 2013 die 3.300 BND-eigenen Selektoren entdeckt wurden, die ebenfalls zur Ausspähung europäischer Ziele geeignet waren und später deaktiviert und in einer eigenen "Ablehnungsliste" zusammengefasst wurden. Von diesem Fund unterrichtete der BND-Präsident das Kanzleramt erst Ende Oktober 2013, wie das Parlamentarische Kontrollgremium (PKGr) in dieser Woche feststellte.
Der Auftrag an Dr. T. habe sich allein auf NSA-Selektoren bezogen. Eine Vermischung von Selektoren eigener und fremder Herkunft erklärte der Zeuge für unwahrscheinlich: "Es gibt keine Migration von fremden Selektoren in unsere Datenbank. Das geht nicht so ohne Weiteres. Wir wollen ja nicht unsere Datenbank versauen."
Selbstverständlich gebe es Parallelen zwischen Suchmerkmalen von BND und NSA, weil die Aufklärungsinteressen beider Dienste in vielen Bereichen identisch seien. Es könne deshalb auch vorkommen, dass ein Nachrichtenbearbeiter beim BND einen interessanten Selektor eines anderen Dienstes in den eigenen Bestand übernehme. Dies geschehe aber in keinem Fall automatisch, betonte der Zeuge. (wid/18.12.2015)