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Die Delegation der Deutsch-Mittelamerikanischen Parlamentariergruppe beim Interamerikanischen Gerichtshof für Menschen Rechte in San José (Costa Rica). © Deutsche Botschaft
Dass sich in der Politik nichts mit Sicherheit planen lässt, das hat auch die Deutsch-Mittelamerikanischen Parlamentariergruppe erlebt: Knapp zehn Tage, vom 19. bis 30. August 2015, wollte eine fünfköpfige Delegation unter der Leitung des Vorsitzenden Wolfgang Gehrcke (Die Linke) nach Costa Rica, El Salvador und Guatemala reisen. Doch dann wurden alle Abgeordneten in der Sommerpause zu einer Sondersitzung des Bundestages einbestellt, um über ein drittes Hilfspaket für Griechenland abzustimmen.
Damit war die Delegation, zu der Hubert Hüppe, Matthias Hauer, Reiner Meier (alles CDU/CSU) sowie Hilde Mattheis und Dr. Wilhelm Priesmeier (beide SPD) gehörten, vor die Entscheidung gestellt, ob sie bleiben oder trotzdem reisen wollte.
Nach reiflicher Überlegung kam sie schließlich zu dem Beschluss: „Diese Delegationsreise ist seit mehr als einem Jahr geplant und vorbereitet worden(…)“, schrieb ihr Vorsitzender Gehrcke in einer Erklärung, die unter seinem Profil auf abgeordnetenwatch.de nachzulesen ist. „Da solche Reisen nur in den sitzungsfreien Zeiten geplant werden können (…), haben wir uns, auch mit dem nötigen Respekt gegenüber unseren Partnern in den besuchten Ländern, entschieden, daran festzuhalten.“
In Guatemala angekommen, musste die Delegation jedoch feststellen, dass ihnen ein Teil dieser Partner abhanden gekommen war: „Viele Minister, mit denen wir Termine hatten, waren gar nicht mehr im Amt“, erinnert sich Gehrcke. „Es hatte eine Rücktrittswelle gegeben.“
Allerdings eine mit Vorankündigung: Seit Monaten schon waren Tausende Bürger auf die Straßen in Guatemala-Stadt gegangen, um gegen den inzwischen zurückgetretenen Staatschef Otto Pérez Molina zu protestieren. Ihm warfen sie vor, in einen millionenschweren Korruptionsskandal beim guatemaltekischen Zoll verstrickt zu sein.
Auf einen geplanten Höflichkeitsbesuch verzichteten die deutschen Gäste in dieser Situation lieber. Da war es gut, dass das Programm der Reise bewusst eine Vielzahl anderer Treffen in Guatemala vorgesehen hatte: so etwa ein Gespräch mit Mitgliedern des Parlaments.
Dazu besuchten die Parlamentarier die Deutsche Schule vor Ort, besichtigten Unternehmen, trafen mit Mitgliedern der Deutsch-Guatemaltekischen Handelskammer zusammen und informierten sich im Gespräch mit Nichtregierungsorganisationen über die Lage der Menschenrechte. „Wir waren uns in der Gruppe immer einig, dass wir nicht nur mit Regierungsvertretern und Parlamentariern sprechen wollen, sondern auch mit Vertretern eines möglichst breiten Spektrums zivilgesellschaftlicher Gruppen“, erklärt Gehrcke.
Eine solche Einmütigkeit auch über Fraktionsgrenzen hinweg ist für den 72-Jährigen ein Charakteristikum und ein Vorteil der Arbeit in der Deutsch-Mittelamerikanischen Parlamentariergruppe, die mit 35 Mitgliedern zu den größeren Parlamentariergruppen im Bundestag zählt: „Wir Mitglieder sind nicht so eng an den Bändeln der Fraktionsführung, bewegen uns freier und haben so auch ein unverkrampfteres Verhältnis untereinander“, betont der Linkspolitiker.
Bereits 1998 hat er zum ersten Mal den Vorsitz der Deutsch-Mittelamerikanischen Parlamentariergruppe übernommen – und damit auch die Aufgabe, die parlamentarischen Beziehungen des Bundestages zu Belize, Costa Rica, El Salvador, Guatemala, Haiti, Honduras, Jamaika, Kuba, Nicaragua, Panama, zur Dominikanischen Republik und zu den karibische Inseln zu pflegen.
Oftmals sei die Parlamentariergruppe seit ihrer erstmaligen Einrichtung 1991 ein wichtiges „Bindeglied“ gewesen, so Gehrcke, „wenn die offizielle Politik noch nicht so weit war“. Wie etwa im Fall Kuba: „Wir waren uns in der Gruppe immer einig, dass die Bundesregierung ihre Kubapolitik verbessern muss und nicht an den Rockschößen der USA hängen darf.“ Als es noch nicht so einfach war, wie aktuell, sei es Sache der Parlamentarier gewesen, den Kontakt zu dem Karibikstaat aufrechtzuhalten.
Ein zentrales Gesprächsthema mit Parlamentariern und Nichtregierungsorganisationen auf der Delegationsreise: Reformen. Die brauche Guatemala, wo bis 1996 ein Bürgerkrieg wütete, dringend, so Gehrcke. Insbesondere gehe es um die Bekämpfung von organisierter Kriminalität, Korruption sowie um die Stärkung des Rechtsstaats. „Die Regierenden in Guatemala hatten offenbar kein Unrechtsbewusstsein“, sagt er mit Blick auf die Korruptionsvorwürfe gegen den ehemaligen Präsidenten.
Umso mehr lobt der Linkspolitiker die Arbeit der Internationalen Kommission gegen die Straflosigkeit. Mit dem Vorsitzenden Iván Velásquez tauschte sich die Parlamentariergruppe über die geplante Justizreform aus. Die Kommission – eine bislang einzigartige, von den Vereinten Nationen geschaffene Einrichtung – hat die Aufgabe, Verbrechen aufzudecken, die Täter zur Rechenschaft zu ziehen und staatliche Kräfte so auszubilden, dass sie aktiv gegen Kriminalität in den eigenen Reihen vorgehen.
Kriminalität, Drogen, Gewalt – dagegen hat auch El Salvador, einer der ärmsten Staaten der Welt, zu kämpfen. Insbesondere die „Maras“ genannten Jugendbanden, die schätzungsweise mehr als 70.000 Mitglieder haben, verbreiten Angst und Schrecken. Erst im Mai 2015 berichteten internationale Medien über eine neue Welle der Gewalt in dem knapp sechs Millionen Einwohner zählenden Kleinstaat, der ähnlich wie Guatemala schwer an der Vergangenheit eines erst 1992 beendeten Bürgerkriegs trägt.
„Wenn man die Familienangehörigen mitrechnet, kommt man auf 150.000 bis 200.000 Menschen im direkten Umfeld der Maras. Der Staat tut sich sehr schwer, damit umzugehen und Rechtsstaatlichkeit zu bewahren“, weiß der Vorsitzende der Parlamentariergruppe.
Doch Rechtsstaatlichkeit sei eine wichtige Voraussetzung – auch für die wirtschaftliche Entwicklung. „Der Wunsch nach mehr Entwicklungszusammenarbeit und wirtschaftlicher Kooperation mit Deutschland ist groß“, fasst Gehrcke die Gespräche in der Hauptstadt San Salvador mit Regierungsmitgliedern und Parlamentariern zusammen.
„Aber klar ist auch, dass die rechtlichen Rahmenbedingungen noch weiter verbessert werden müssen, um in Deutschland erfolgreich für Investitionen zu werben.“ Das habe er auch seinen Gesprächspartnern offen gesagt. Gleichwohl mahnt Gehrcke deutsche und europäische Politiker zur „Demut“ im Umgang mit Mittelamerika: „Wir kommen nicht als die weißen Prediger, die sagen, was zu tun ist. Wir wollen eine gleichberechtigte Zusammenarbeit.“
Auch Deutschland könne lernen – zum Beispiel von Costa Rica, das eine stabile Demokratie entwickeln konnte und aufgrund seiner politischen Neutralität sowie seines Einsatzes für den Umweltschutz inzwischen als „grüne Schweiz Zentralamerikas“ gilt.
Bemerkenswert zudem: „Das Land kommt völlig ohne Armee aus“, sagt Gehrcke, der im Bundestag wiederholt die Abschaffung der deutschen Streitkräfte gefordert hat. „Da geht mir das Herz auf.“ (sas/21.12.2015)