19. November 2015
„Anforderungen an die Sicherheit konkretisieren“
Die vom Bundesumweltministerium im Jahr 2010 herausgegebenen Sicherheitsanforderungen für die Endlagerung wärmeentwickelnder radioaktiver Abfälle entsprechen heute noch weitgehend dem Stand von Wissenschaft und Technik, sollten aber dennoch in Teilen überarbeitet und konkretisiert werden. In dieser Einschätzung herrschte unter den zu einer öffentlichen Anhörung der Kommission Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe (Endlagerkommission) unter Vorsitz von Ursula Heinen-Esser am Donnerstag, 19. November 2015, geladenen Experten Einigkeit.
„Für das Standortauswahlverfahren nicht irrelevant“
Im Rahmen eines künftigen Genehmigungsverfahrens für ein Endlager werde die zuständige Behörde prüfen müssen, ob die Schadensvorsorge nach dem Stand von Wissenschaft und Technik durch den Vorhabenträger getroffen wurde, sagte Peter Hart, Leiter der Unterabteilung RS III „Nukleare Ver- und Entsorgung“ im Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMU).
Die Sicherheitsanforderungen sollen für diese Prüfung „die Anforderungen konkretisieren“, betonte er. Gleichzeitig stellten sie auch die Anforderungen für die periodischen Sicherheitsüberprüfungen dar. Für das Standortauswahlverfahren könnten die Sicherheitsanforderungen jedoch keine Antwort geben, sagte der BMU-Vertreter. Sie seien dennoch für das Verfahren nicht irrelevant, weil die Genehmigungsfähigkeit eines Endlagers an allen infrage kommenden Standorten erwartbar sein müsse.
„Regelung der radiologischen Langzeitaussage ändern“
Barbara Reichert, Vorsitzende des Ausschusses Endlagerung radioaktiver Abfälle (EL) der Entsorgungskommission (ESK), regte an, die in den Sicherheitsanforderungen enthaltene Regelung der vereinfachten radiologischen Langzeitaussage zu ändern. In der jetzigen Form seien in den Sicherheitsanforderungen keinen genaueren Vorgaben zur vereinfachten radiologischen Langzeitaussage enthalten. „Hier besteht eindeutig Bedarf für eine Konkretisierung, etwa in Form von Leitlinien“, sagte sie.
Was die in den Sicherheitsanforderungen enthaltenen Wahrscheinlichkeitsklassen, die von wahrscheinlichen, weniger wahrscheinlichen und unwahrscheinlichen Entwicklungen des Endlagersystems ausgehen betrifft, so sei eine solche Einteilung „international üblich“.
„Allenfalls geringfügige Freisetzungen von Schadstoffen“
Es sei erkenntnistheoretisch sinnvoll, praktikabel und international üblich, zu einem Szenarium jeweils anzugeben, wie wahrscheinlich es ist, bestätigte auch Klaus-Jürgen Röhlig, Mitglied des Ausschusses Endlagerung radioaktiver Abfälle (EL) der Entsorgungskommission (ESK).
Röhlig verwies auf die in den Sicherheitsanforderungen von 2010 aufgeführten Anforderungen an den einschlusswirksamen Gebirgsbereich (ewG), der als tiefliegende Schicht nicht den Veränderungen der oberen Erdschichten oder der Biosphäre unterliege. Dazu gehöre die Einschlusswirksamkeit. „Es sind allenfalls geringfügige Freisetzungen von Schadstoffen aus dem ewG zugelassen“, sagte Röhlig. Entscheidend sei aber die Forderung, „dass diese Einschlusswirksamkeit über eine Million Jahre erhalten wird“.
„Zeitdruck gibt es nicht“
Die Anforderungen an den ewG seien sehr streng, sagte Jörg Mönig, Leiter des Bereichs Endlagersicherheitsforschung, Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) mbH. Die Indikatorwerte für das Sicherheitsniveau lägen ganz deutlich „auf der ganz strengen Seite der Bandbreite, die international angewendet wird“.
Die benötigte Überarbeitung der BMU-Sicherheitsanforderungen sollten seiner Ansicht nach erfolgen, „wenn alle noch laufenden Projekte im Bereich Forschung und Entwicklung, bei den die prinzipielle Anwendbarkeit der Sicherheitsanforderungen auf die verschiedenen möglichen geologischen Situationen in Deutschland überprüft wird, abgeschlossen und ausgewertet sind“. Zeitdruck, so Mönig, gebe es nicht. „Wir haben die Zeit, um das sorgfältig zu machen.“
„Sehr ambitionierte Indikatorwerte“
Anne Eckhardt, Geschäftsführerin und Projektleiterin bei der schweizerischen risicare GmbH, sah Änderungsbedarf im Geltungsbereich der Sicherheitsanforderungen, der sich auf die Endlagerung wärmeentwickelnder radioaktiver Abfälle beschränke. Die Ansprüche, so Eckhardt, hätten sich jedoch seit 2010 weiterentwickelt. Daher regte sie an, den Geltungsbereich für Themen wie Rückholbarkeit der Abfälle, Monitoring und dauerhafte Markierung zu öffnen.
Gerald Kirchner, ehemaliger Leiter des Fachbereichs „Strahlenschutz und Umwelt“ beim Bundesamt für Strahlenschutz (BfS), bewertete die Indikatorwerte der Sicherheitsanforderungen als „sehr ambitioniert im internationalen Bereich“. Sie stellten sicher, dass das radiologische Risiko für künftige Generationen „nach heutigem Wissensstand vernachlässigbar klein bleibt“. (hau/19.11.2015)
Liste der geladenen Sachverständigen
- Peter Hart, Ministerialdirigent, Leiter der Unterabteilung RS III „Nukleare Ver- und Entsorgung“, Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit, Berlin
- Prof. Dr. Barbara Reichert, Vorsitzende des Ausschusses Endlagerung radioaktiver Abfälle (EL) der Entsorgungskommission (ESK), Professorin für Angewandte Geologie (Hydrogeologie), Steinmann-Institut für Geologie, Mineralogie und Paläontologie, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, Bonn
- Prof. Dr. Klaus-Jürgen Röhlig, Mitglied des Ausschusses Endlagerung radioaktiver Abfälle (EL) der Entsorgungskommission (ESK), Universitätsprofessor, Institut für Endlagerforschung, Endlagersysteme, Technische Universität Clausthal, Clausthal-Zellerfeld
- Dr. Jörg Mönig, Leiter des Bereichs Endlagersicherheitsforschung, Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) mbH, Braunschweig
- Dr. Anne Eckhardt, Geschäftsführerin und Projektleiterin risicare GmbH, Zürich/Zollikerberg
- Prof. Dr. Gerald Kirchner, Carl-Friedrich-von-Weizsäcker-Zentrum für Naturwissenschaft und Friedensforschung, Universität Hamburg, ehemaliger Leiter des Fachbereichs „Strahlenschutz und Umwelt“ beim Bundesamt für Strahlenschutz (BfS), Salzgitter