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Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung/Ausschuss- 11.11.2015
Berlin: (hib/JOH) Die neue Einheitsregierung in Afghanistan will bis Mitte des kommenden Jahres einen Plan zur Stärkung von Frauen vorlegen. Ziel sei es, damit in fünf bis zehn Jahren mindestens zwei Millionen Frauen zu erreichen, beispielsweise indem ihnen eine Berufsausbildung ermöglicht werde, berichtete die afghanische Ministerin für Arbeit und Soziales, Nasrin Oryakhil, am Mittwochmorgen im Entwicklungsausschuss. "Wenn wir die Position der Frauen in Afghanistan nicht stärken, wird sich in diesem Land nichts ändern", betonte Oryakhil und verwies darauf, dass trotz zahlreicher Fortschritte und gesetzlicher Gleichstellung von Mann und Frau immer noch 80 Prozent aller afghanischen Frauen nicht lesen und schreiben könnten. Nur 29 Prozent gingen einer geregelten Vollzeittätigkeit nach.
Frauen dürften oft das Haus nicht verlassen, berichtete die Ministerin. Nach wie vor seien sie häufig Diskriminierung und Gewalt ausgesetzt. Die internationale Gemeinschaft bat Oryakhil um Unterstützung bei der Umsetzung des Plans. Damit er gelingen könne, müssten "starke Systeme und Strukturen" geschaffen werden.
Die "First Lady" Afghanistans, Rula Ghani, bezeichnete die Frauen in Afghanistan als "sehr stark". Allerdings würden die Familien heute anders als noch vor einigen Jahrzehnten von den Männern dominiert, was viele Einschränkungen für die Frauen zur Folge habe, sagte die Ehefrau des afghanischen Staatspräsidenten Aschraf Ghani. Den internationalen Gebern empfahl Frau Ghani, bei ihren Projekten die Betonung nicht zu sehr auf Frauenrechte zu legen, sondern auf die Bedeutung der Familie und des gegenseitigen Respekts. Damit sei die Akzeptanz in einem Land wie Afghanistan höher.
Ausdrücklich lobte die First Lady das vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) ins Leben gerufene Programm zur Förderung der beruflichen Bildung in Afghanistan, das den Aufbau eines flächendeckenden Berufsbildungssystems zum Ziel hat. Sie sei "sicher", betonte Ghani, dass dieses Programm sehr erfolgreich sein werde. Nach Angaben des BMZ werden derzeit 18.829 Jugendliche an 35 Berufsschulen ausgebildet, darunter 23,4 Prozent Frauen.
Neben der Lage der afghanischen Frauen interessierte die Abgeordneten besonders die Ursache für die hohe Zahl von Flüchtlingen aus Afghanistan, die derzeit nach Europa kommen. Vor dem Hintergrund, dass sich die Bundesregierung jüngst für die verstärkte Rückführung von Afghanen ausgesprochen hat, fragten sie außerdem nach der Sicherheitslage im Land.
Rula Ghani sprach von einer "Schleusermafia" in Afghanistan, die Geschäfte damit mache, junge Männer gezielt zur Flucht zu animieren. Diese Anwerbestrategien träfen auch wegen fehlender Perspektiven häufig auf fruchtbaren Boden. So fehle es an Arbeitsplätzen und bezahlbarem Wohnraum. Darüber, dass gerade viele gute ausgebildete Afghanen ihre Heimat verließen, sei die Regierung "nicht sehr glücklich", stellte Ghani klar. Ihr Ziel sei es daher, die wirtschaftliche Situation zu verbessern, um Menschen dazu zu bewegen zu bleiben beziehungsweise zurückzukehren.
Von mehreren Abgeordneten danach gefragt, ob es in Afghanistan "sichere Zonen" gebe, in die Flüchtlinge zurückgeführt werden könnten, entgegnete Ghani, dies sei "eine schwierige Frage". In Afghanistan herrsche kein klassischer Krieg, sondern ein Guerilla-Krieg. Ziel der Taliban sei es, Angst und Verunsicherung zu verbreiten. Zwar seien sie derzeit nur in 13 von 34 Provinzen aktiv und es gebe Zonen, in denen es "relativ ruhig" sei. "Aber sie bewegen sich natürlich, sie bleiben nicht an einem Ort."
Ein Vertreter des BMZ erklärte im Ausschuss, bei der Bewertung der Sicherheitslage im Land müsse unterschieden werden zwischen der Sicherheit der normalen afghanischen Bürger und der Sicherheit von entsandten Experten. Zwar gebe es für die Afghanen ein hohes Risiko zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein, jedoch sei die Bevölkerung originär nicht Ziel der bewaffneten Opposition. Anders sehe es beim entsandten Personal aus, weshalb die Organisationen vor Ort ihre Sicherheitsvorkehrungen jüngst noch einmal verschärft hätten.