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Der eine wurde ins Exil gezwungen, die andere lebt in ständiger Todesangst: Die Fälle des vietnamesischen Bloggers Dieu Cay und der mexikanischen Journalistin Marta Durán zeigen, wie dramatisch schlecht es in weiten Teilen der Welt um die Pressefreiheit bestellt ist. Kann Ulle Schauws (Bündnis 90/Die Grünen), die für Cay und Durán eine Patenschaft im Rahmen des Programms PsP übernommen hat, den beiden helfen?
Wer im Rahmen des Programms „Parlamentarier schützen Parlamentarier“ (PsP) des Menschenrechtsausschusses des Bundestages eine Patenschaft für einen verfolgten Volksvertreter oder Menschenrechtsaktivisten übernimmt, der weiß, dass er sich auf eine oft langwierige und schwierige Mission mit ungewissem Ausgang einlässt. Das war auch der grünen Bundestagsabgeordneten Ulle Schauws klar, als sie im Herbst 2014 – genau ein Jahr nach ihrem Einzug in den Bundestag – beschloss, Patin des vietnamesischen Bloggers Nguyen Hoang Hai zu werden.
Es schien ein nahezu aussichtsloser Fall: Hoang Hai, in seiner Heimat besser bekannt unter seinem Blogger-Namen Dieu Cay („Bambuspfeil“), war im September 2012 zu zwölf Jahren Gefängnis und weiteren fünf Jahren Hausarrest verurteilt worden. Sein „Vergehen“: Auf der Internetseite „Club der freien Journalisten“ hatte er gemeinsam mit zwei anderen Bloggern die Korruption im Justizwesen seines Heimatlandes angeprangert und die Außenpolitik der vietnamesischen Regierung kritisiert.
Es war nicht das erste Mal, dass der Ex-Soldat der vietnamesischen Volksarmee vor Gericht stand: Bereits im September 2008 war er zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt worden, wegen angeblicher Steuerhinterziehung. Politischen Beobachtern war klar, dass der Anklagegrund vorgeschoben war. Der „Bambuspfeil“ hatte mit seiner Kritik an der Vergabe der Olympischen Spiele an Peking die sozialistische Regierung unter Präsident Truong Tan San offensichtlich empfindlich getroffen und wurde deshalb aus dem Verkehr gezogen.
Übrigens kein Einzelfall: In der sozialistischen Republik herrscht strenge Medienzensur. Wer sich kritisch über die Regierungspolitik äußert, der muss damit rechnen, wegen „Verbreitung staatsfeindlicher Propaganda“ angeklagt und zu einer hohen Haftstrafe verurteilt zu werden. Auf der Rangliste der Pressefreiheit der Nichtregierungsorganisation „Reporter ohne Grenzen“, die 180 Staaten umfasst, steht Vietnam auf Platz 175.
Umso überraschender dann die Wende: Am 21. Oktober 2014 – kurz nachdem Ulle Schauws die Patenschaft übernommen hatte – wurde Cay aus der Haft entlassen und sofort in die USA abgeschoben. „Eigentlich“, erzählt die 49-Jährige mit offenem Lächeln, „hatte sich die Patenschaft erledigt, bevor ich wirklich aktiv werden konnte“. Also Ende gut, alles gut?
Nein, meint Schauws. Und das ist auch der Grund, weshalb sie am Fall Cay doch weiter dran ist. Zwar ist er derzeit in den USA und in Sicherheit. Doch kann er wohl nie mehr zurück in sein Heimatland, da er dann sofort wieder ins Gefängnis kommen würde, um den Rest seiner Haftstrafe abzusitzen.
Vor allem aber: Seine Familie ist noch in Vietnam, und die Sorge um sie ist groß. Denn sowohl seine Ex-Frau als auch seine beiden Kinder werden von der Staatsmacht schikaniert, da Cay weiterhin gegen das Regime in Vietnam schreibt. „Die Familie eines Regierungskritikers zu bedrohen und zu schikanieren, ist eine gängige Methode repressiver Regimes“, erklärt Schauws. „Dahinter steckt das Kalkül, dass er aus Angst um die ihm nahe stehenden Menschen seine Aktivitäten beendet.“ Im Fall Cays allerdings ging dieses Kalkül bislang nicht auf.
Für die frauenpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen war es daher eine Selbstverständlichkeit, ihr Engagement für Cay auf seine Ex-Frau auszuweiten und Kontakt zu ihr aufzunehmen. „Wir als Patinnen und Paten müssen selbstverständlich darauf achten, welche Folgen die Aktivitäten unserer Schützlinge für ihre Familien haben“, erklärt die Rheinländerin, die den Wahlkreis Krefeld II – Wesel II im Bundestag vertritt. Sie hofft, dass der Regierung in Hanoi über die Deutsche Botschaft dort signalisiert wird, dass sie als Mitglied des Bundestages (MdB) „einen Blick auf seine Ex-Frau und die beiden Kinder“ hat.
Doch damit nicht genug – seit Kurzem hat sie einen neuen Schützling: Marta Durán ist eine bekannte mexikanische Journalistin und Mitarbeiterin der politischen Wochenzeitschrift „Procesco“. Weil sie in ihren Artikeln über das Drogenkartell der Zetas geschrieben hatte, eine der gewalttätigsten Verbrecherorganisationen Mexikos, erhielt sie im Mai 2014 Morddrohungen per Telefon.
Jeder in dem Land weiß, dass man solche Drohungen sehr ernst nehmen muss: Seit dem Jahr 2000 wurden in Mexiko über hundert Journalisten umgebracht, die über die Verbindungen zwischen Politik und organisiertem Verbrechen recherchierten und damit eine Gefahr für die politische Klasse darstellten.
Die Wahrscheinlichkeit, dass Marta Durán, die an der Universität Hamburg promoviert wurde, als weibliche Journalistin besonders gefährdet ist, ist sehr hoch. Denn in ihrem Heimatland ist massive Gewalt gegen Frauen allgegenwärtig. „Zwischen 2002 und 2009 wurden in Mexiko etwa 12.000 Frauen aufgrund ihres Geschlechts umgebracht“, berichtet Schauws, die sowohl dem Ausschuss für Kultur und Medien als auch dem für Familie, Senioren, Frauen und Jugend angehört.
Doch wie will sie Marta Durán schützen? Welche Möglichkeiten stehen ihr dafür als Parlamentarierin im fernen Deutschland überhaupt zur Verfügung? Schauws hat sich diese Fragen viele Male selbst gestellt, man sieht es ihr an. „Natürlich ist es leichter, aktiv zu werden, wenn man weiß, dass man einen Handlungsspielraum hat“, sagt die studierte Medienwissenschaftlerin nachdenklich. „Aber auch wenn einem klar ist, dass die eigenen Möglichkeiten sehr eingeschränkt sind, kann man daraus doch nicht den Schluss ziehen, nichts zu tun.“
Die Deutsche Botschaft in Mexiko jedenfalls hat ihr berichtet, dass die Behörden es durchaus wahrnehmen, wenn es zwischen einem bedrohten Journalisten und einem deutschen MdB einen Austausch gibt. Das habe für sie den Ausschlag gegeben, die Patenschaft für Frau Duràn zu übernehmen.
„Wir alle können uns doch gar nicht vorstellen, wie es ist, mit dem Tod bedroht zu werden“, fährt sie fort. „Ich habe Marta Durán daraufhin einen Brief geschrieben, um ihr mitzuteilen, dass sie in das Parlamentarische Patenschaftsprogramm des Deutschen Bundestages aufgenommen wurde. Mir wurde berichtet, dass sie darüber zu Tränen gerührt war. Das hat wiederum mich sehr bewegt – und bewegt mich bis heute.“ (nal/18.01.2016)