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Sie hatten sich kräftig verschätzt - und das gleich zweimal. Als Bundestagspräsident Prof. Dr. Norbert Lammert am Mittwoch, 25. November 2015, die Dauerausstellung zur Verhüllung des Reichstages vor 20 Jahren durch Christo und Jeanne-Claude vorstellte, erinnerte er an die heftigen Debatten zu Beginn der neunziger Jahre. Über Jahre hatte das Künstlerehepaar als Lobbyisten in Sachen der Kunst versucht, Abgeordnete von der Idee zu überzeugen. Sie hätten die Unterstützung einer zunächst kleinen, quasi „sektenartigen Gruppe von erklärten Irren“ gewonnen, die dann zunehmend größer geworden sei, sagte der Bundestagspräsident.
Doch am Tag der Abstimmung im Bundestag, am 25. Februar 1994, sei nicht absehbar gewesen, ob sich die fraktionsübergreifende Gruppe mit ihrem Antrag (12/6767) durchsetzen würde. Es gab auch entschiedene Gegner des Vorhabens. Bundestagspräsidentin Prof. Dr. Rita Süssmuth, selbst wie Lammert eine Unterstützerin des Projektes, habe ihm damals noch gesagt: „Schade, dass wir nicht gewinnen können.“
Sie irrte sich. Am Ende setzten sich die Befürworter mit 292 zu 223 Stimmen durch. Die Befürworter irrten aber auch in anderer Hinsicht. So hieß es in der Antragsbegründung, Berlin könne in den 14 Tagen der Verhüllung mit 500.000 Besuchern rechnen. „Tatsächlich waren es fünf Millionen“, berichtete Lammert über den Andrang in der Hauptstadt im Sommer 1995. Es habe sich um Berlins erstes „Sommermärchen“ gehandelt.
Die Exponatesammlung dokumentiert den Weg von der Idee, das Parlamentsgebäude zu verhüllen, bis hin zur Umsetzung. Zahlreiche Entwürfe des Künstlerpaares sind zu sehen, die von ganz einfachen Entwürfen aus frühen Jahren bis hin zu letzten Zeichnungen kurz vor dem Beginn der Arbeiten reichen. Auch Fotos und Originalteile gehören zu der insgesamt rund 400 Stücke umfassenden Sammlung.
Zu sehen ist das Modell des verhüllten Reichstages, mit dem Süssmuth damals um Unterstützung warb. Auch Briefe, die die Auseinandersetzung zwischen den Abgeordneten dokumentieren, sind zu sehen. Nächstes Jahr sollen auch original Stoff- und Seilreste hinzukommen, kündigte Christo an. Er erinnerte auch an seine 2009 verstorbene Ehefrau Jeanne-Claude. „Sie ist die wichtigste Person, die heute fehlt“, sagte der Künstler bei der Eröffnung.
Es sei „die ungewöhnlichste Ausstellung, die es jemals im Bundestag gegeben hat“, sagte Lammert. Dies liege sowohl an der geplanten Dauer als auch am Gegenstand. Christo habe einst gesagt, dass von der Kunst des Paares nichts außer der Erinnerung bleibe, betonte Lammert. Die Ausstellung sei daher für jene, die damals dabei waren, eine „dauerhafte Stütze der Erinnerung“. Und jene, die nicht dabei sein konnten, bekämen durch die Schau einen „beinah authentischen Eindruck“ dessen, was damals in Berlin stattgefunden habe, sagte der Bundestagspräsident.
Ermöglicht hat die Ausstellung der Unternehmer Lars Windhorst. Er hatte die Sammlung Anfang des Jahres gekauft und sie dem Bundestag zunächst für 20 Jahre kostenlos zur Verfügung gestellt. Die Verhüllung sei „mehr als Kunst“ gewesen und zu einem Symbol für das „neue Berlin, das neue Deutschland“ geworden, sagte der Unternehmer.
Die rund 400 Exponate – darunter Originalteile, Modelle, Dokumente, Fotos und Skizzen Christos – sind auf der Präsidialebene des Reichstagsgebäudes zu besichtigen. Besucher können die Christo-Exponate auf Wunsch an Wochenenden im Rahmen der Kunst- und Architekturführungen im Bundestag mit den Schwerpunkten im Reichstagsgebäude (Führungsbeginn 11.30 Uhr), Paul-Löbe-Haus (14 Uhr) oder Jakob-Kaiser-Haus (16 Uhr) besichtigen. Anmelden können sich Besucher über die Online-Anmeldung, aber auch per Fax (030/227-36436) oder per Post (Deutscher Bundestag, Besucherdienst, Platz der Republik 1, 11011 Berlin).
Ein besonders beeindruckendes Exponat der Dokumentation ist das große Modell des verhüllten Reichstagsgebäudes und seiner Umgebung, das in einem der repräsentativen Turmeckzimmer aufgestellt ist. Es ist ein Modell aus dem Jahre 1981, mit dem Christo jahrelang für seine Idee geworben hat. Unmittelbar hinter dem Modell des Reichstagsgebäudes ist noch die Mauer zu sehen, die einst Ost und West trennte. Das fragile Modell weckt die Erinnerung daran, dass dem »Verhüllten Reichstag« ein über zwei Jahrzehnte dauerndes Werben von Christo und Jeanne-Claude bei den politisch Verantwortlichen vorausgegangen war.
Der 1935 in Bulgarien geborene und in New York lebende Christo und seine 2009 verstorbene Frau Jeanne-Claude hatten seit 1971 für ihr Kunstprojekt „Wrapped Reichstag“ („Verhüllter Reichstag“) geworben. Am 25. Februar 1994 stimmte der Bundestag in Bonn für die Verhüllung, die dann vom 24. Juni bis 7. Juli 1995 stattfand. (scr/26.11.2015)