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Die Große Koalition will das Tempo des Zuzugs von Flüchtlingen nach Deutschland drosseln. In der Generaldebatte des Bundestages über den Etat des Bundeskanzleramtes (Einzelplan 04; 18/5500, 18/5502, 18/6124, 18/6125, 18/6126) erklärte Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (CDU) am Mittwoch, 25. November 2015, Ziel müsse es sein, „die Zahl der bei uns ankommenden Flüchtlinge zu reduzieren.“ Wie die Kanzlerin sprach sich auch der Vorsitzende der SPD-Fraktion, Thomas Oppermann, für eine europaweit zu vereinbarende Kontingentlösung aus, erklärte aber auch: „Wir müssen die Geschwindigkeit des Zustroms deutlich verringern.“ Im November seien 180.000 Flüchtlinge gekommen, fast so viel wie im gesamten Vorjahr. Merkel brachte die Erwartung zum Ausdruck, dass in einem rechtsstaatlichen Verfahren abgelehnte Bewerber auf einen Schutzstatus „dann auch das Land wieder verlassen müssen, damit die, die Schutz brauchen, diesen Schutz von uns bekommen“.
Die Oppositionsfraktionen kritisierten die Zerstrittenheit der Regierung und besonders die Angriffe der bayerischen CSU gegen Merkel. „Es muss Schluss sein mit den verantwortungslosen Gedankenspielen und den verbalen Entgleisungen von Seehofer und Söder“, sagte der Vorsitzende der Fraktion Die Linke, Dr. Dietmar Bartsch, zu den Forderungen des bayerischen Ministerpräsidenten und des bayerischen Finanzministers unter anderem nach einer Obergrenze für die Aufnahme von Flüchtlingen.
Eine Abschottung Deutschlands lehnte die Bundeskanzlerin in der Debatte ab: „Die simple Abschottung wird uns nicht das Problem lösen.“ Es müsse vielmehr darum gehen, Illegalität durch Legalität zu ersetzen und den Schleppern das Handwerk zu legen. Sie rief auch dazu auf, mit der Bekämpfung der Fluchtursachen zu beginnen. Es seien nur politische Lösungen möglich. Um die EU-Außengrenzen zu sichern, sei eine Zusammenarbeit mit der Türkei, dem „Schlüsselpartner für die Europäische Union“, notwendig.
Der Abschuss eines russischen Flugzeuges durch die Türkei habe zur Verschärfung der Lage beigetragen. „Wir müssen jetzt alles tun, um eine Eskalation zu vermeiden“, forderte Merkel, die von der Türkei verlangte, „alles zu tun, um die Situation zu deeskalieren“. Sie appellierte auch an die Solidarität der europäischen Länder, gab jedoch andererseits auch zu: „Die Erscheinung Europas ist im Augenblick verbesserungsmöglich.“
Bartsch verteidigte die Kanzlerin gegen die Kritik der CSU. Die CSU habe auf ihrem Parteitag gegenüber der Kanzlerin „jegliche bürgerliche Anstandsform vermissen lassen“. Es müsse Schluss sein mit den verbalen Entgleisungen, indem Flüchtlinge in die Nähe von Mörderbanden gestellt würden. Die verbalen Entgleisungen würden Rechtspopulismus und Rechtsextremismus befördern. „Das Umfragehoch der AfD ist ohne Seehofer und Söder nicht erklärbar.“
Auch der Vorsitzende der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Dr. Anton Hofreiter, erklärte, Seehofer habe die Bundeskanzlerin wie ein Schulmädchen auf offener Bühne gemaßregelt – „und dann hat er noch nicht einmal die Größe, sich bei ihr zu entschuldigen“. Dagegen erklärte die Vorsitzende der CSU-Landesgruppe, Gerda Hasselfeldt, das Verhältnis zwischen Seehofer und Merkel werde „auch durch das Austragen unterschiedlicher Meinungen nicht getrübt“.
Bartsch lehnte aber ein deutsches militärisches Eingreifen an der Seite Frankreichs in Syrien ab. Terror könne nicht mit Krieg bekämpft werden. Solidarität sei notwendig, „aber keine Tornados. Das ist nicht der Weg.“ Die innenpolitischen Probleme gehe die Koalition nicht an, kritisierte Bartsch. „Diese Koalition hat kein Konzept, wie Deutschlands Zukunft zu gestalten ist. Sie agieren hilflos, planlos und ziellos.“ Er warf der Koalition ein „manisches Verhältnis zur schwarzen Null“ vor. Merkel hatte den ausgeglichenen Haushalt als „etwas, was wir nicht aufgeben sollten“, bezeichnet.
Hofreiter sagte, der „Islamische Staat“ könne am Ende nur politisch besiegt werden. Er bezeichnete den Abschuss des russischen Kampfflugzeugs durch die Türkei als schweren Rückschlag für die Bemühungen um eine internationale Zusammenarbeit im Kampf gegen den IS. Im innenpolitischen Teil seiner Rede kritisierte der Grünen-Fraktionschef den Zustand der Bundesregierung: „Die Probleme sind wirklich zu groß, als dass wir uns eine zerstrittene Regierung leisten könnten.“
Dass die Kanzlerin dem „Sperrfeuer“ aus eigenen Reihen standhalte, sei erfreulich. Einen Einsatz der Bundeswehr im Inland zur Terrorabwehr lehnte er ab. Die Polizei müsse besser ausgestattet werden. Er warnte die Koalition vor einer weiteren Verschärfung der Asylgesetze und einer Aussetzung des Familiennachzugs. Dann zeige Deutschland kein freundliches Gesicht mehr, sondern eine „hässliche Fratze“.
Wie Hofreiter wandte sich auch Oppermann gegen einen Einsatz der Bundeswehr im Innern, die für ganz andere Zwecke nicht ausgebildet worden sei: „Wir brauchen keine Militarisierung der inneren Sicherheit.“ Oppermann verwies auf die Bedeutung der Integration. Parallelgesellschaften dürfe es nicht geben. Die größte Gefahr für die innere Sicherheit seien ganz sicher nicht die Flüchtlinge, „sondern die eigentliche Gefahr droht, wenn wir es versäumen, diese Flüchtlinge gut zu integrieren“.
Ein Molenbeek dürfe es in Deutschland nicht geben, sagte Oppermann mit Blick auf den Brüsseler Vorort, einem sozialen Brennpunkt. Gute integrierte Flüchtlinge seien am besten immunisiert gegen Salafisten und Hassprediger. Bei der Integration „dürfen wir nicht kleckern, sondern da müssen wir klotzen“. Um den Zustrom von Flüchtlingen zu begrenzen, müsse es zu einer Beendigung des syrischen Bürgerkrieges und zu einer Verbesserung der Lage der Flüchtlinge in der Krisenregion kommen. Außerdem müssten die EU-Außengrenzen unter Mithilfe der Türkei gesichert werden. Die Grenze zwischen Griechenland und der Türkei sei faktisch offen, die Schleuser hätten das Sagen.
Volker Kauder, der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, betonte: „Wir werden das Ziel, den Zuzug zu begrenzen, nicht erreichen, wenn es nicht gelingt die Terrorattacken und die Bombenattacken in den Gebieten zurückzufahren, aus denen die Flüchtlinge kommen.“
Alle Redner zeigten sich betroffen von den jüngsten Anschlägen islamistischer Terroristen unter anderem in Paris, Bamako und Tunesien. Die Feinde der offenen Gesellschaft könne man nur erfolgreich mit mehr Offenheit bekämpfen, sagte Bartsch: „Wir brauchen mehr Offenheit, mehr Menschlichkeit, mehr Integration und Teilhabe.“
„Dieser Anschlag trifft uns alle und meint uns alle“, sagte Merkel. Deutschland stehe „solidarisch an der Seite Frankreichs in der Trauer um die Opfer, und wir stehen solidarisch an der Seite Frankreichs im Kampf gegen den Terror.“ Wenn zusätzliches Engagement notwendig wäre, „werden wir das nicht von vornherein ausschließen“. Sie verlangte einen „gemeinsamen Kampf der Weltgemeinschaft gegen den IS“.
Hofreiter zeigte sich fassungslos über den Tod unschuldiger Menschen, die durch Terroristen ermordet worden seien. Aber wenn es den Terroristen gelinge, die westlichen Metropolen dauerhaft in Angst und Schrecken zu versetzen, „haben sie fast gewonnen“. Der Ausnahmezustand dürfe nicht zum Normalfall werden. Oppermann sagte, die Anschläge hätten die französische Gesellschaft tief getroffen. Deutschland sei solidarisch mit Frankreich.
In namentlicher Abstimmung nahm der Bundestag den Etat des Bundeskanzleramtes mit 469 Stimmen bei 112 Gegenstimmen in zweiter Beratung an. (hle/25.11.2015)