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Movassat fragt nach Ausgaben für Flüchtlinge

Der Vorwurf von Concord, dem Dachverband europäischer Nichtregierungsorganisationen, wiegt schwer: Vermehrt nutzen dem aktuellen AidWatch-Bericht des Verbands zufolge EU-Staaten Gelder der Entwicklungszusammenarbeit, um damit die Flüchtlingskrise im eigenen Land zu bewältigen. Für Niema Movassat, Sprecher für Welternährung der Fraktion Die Linke, ein Anlass, nachzuhaken. In der Fragestunde des Bundestages (18/6845) am Mittwoch, 2. Dezember 2015, will er sich erkundigen, inwieweit es in der Bundesregierung Überlegungen gibt, Ausgaben für die Flüchtlingshilfe auf den Entwicklungsetat anzurechnen. Für den Abgeordneten aus Oberhausen ein „Trick“, um die Ausgaben für Entwicklungszusammenarbeit künstlich zu steigern. Im Interview kritisiert Movassat zudem die übliche Praxis, Kosten der Flüchtlingsversorgung im Inland während der ersten zwölf Monate zu den Ausgaben der Entwicklungszusammenarbeit hinzuzurechnen. „Das widerspricht dem eigentlichen Gedanken der  Entwicklungszusammenarbeit.“ Das Interview im Wortlaut:


Herr Movassat, Sie haben gefordert, die Bundesregierung solle ihre Entwicklungshilfeausgaben deutlich erhöhen, wenn sie Fluchtursachen bekämpfen will. Nun wird der Etat des Entwicklungsministeriums im nächsten Jahr um 850 Millionen auf 7,4 Milliarden Euro steigen. Sind Sie damit zufrieden?

Es ist sicherlich eine ordentliche Erhöhung. Gleichwohl macht die Bundesregierung keine Anstalten, ihr Versprechen, die Ausgaben der Entwicklungszusammenarbeit auf 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens zu erhöhen, einzulösen. Wenn sie dieses Ziel erreichen wollte, müsste sie einen Stufenplan mit einer langfristigen Berechnung vorlegen. Das wäre eine verlässliche Perspektive. Doch das tut sie nicht und spricht stattdessen davon, die Ausgaben für Entwicklungszusammenarbeit bei 0,4 Prozent stabilisieren zu wollen. Damit bricht die Bundesregierung willentlich ihre internationalen Versprechen.

Die europäische Nicht-Regierungsorganisation „Confederation for Relief and Development“ (Concord) kritisiert, dass einige EU-Staaten Entwicklungshilfegelder zur Deckung von Flüchtlingsausgaben nutzen. Steht zu befürchten, dass die Mittel im Etat von Minister Müller gar nicht nur in die Entwicklungszusammenarbeit fließen, sondern auch für die Unterbringung von Flüchtlingen in Deutschland verwendet werden?

Ja, das ist meine Sorge. Und übrigens nicht nur meine – auch Klaus Rudischhauser, Vize-Generaldirektor für Entwicklungshilfe bei der EU-Kommission, hat bereits kürzlich in einem Interview mit dem Evangelischen Pressedienst davor gewarnt, dass die EU-Staaten ihre Ausgaben für Flüchtlinge zunehmend als Entwicklungshilfe deklarieren könnten – ein Trick, um so ihre Entwicklungshilfe-Quote künstlich zu erhöhen.   

Haben Sie Anhaltspunkte dafür, dass sich auch die Bundesregierung Ähnliches vorhat?

Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hat Kriterien aufgestellt, welche Ausgaben sich Staaten als offizielle Entwicklungszusammenarbeit – englisch: Official Development Assistance (ODA) – anrechnen lassen können. Nach diesen Kriterien ist es möglich, die Versorgung von Flüchtlingen im Inland in den ersten zwölf Monaten als ODA zu verbuchen. Die deutsche Bundesregierung hat sich bisher nicht dazu geäußert, ob sie die Möglichkeit nutzen will – im Gegensatz zu anderen EU-Staaten wie Luxemburg, Polen oder Bulgarien, die das klar ausschließen. Um hier Klarheit zu schaffen, habe ich die mündliche Frage eingereicht.

Wo  liegt das Problem, wenn Entwicklungshilfegelder für Flüchtlinge im Inland genutzt werden?

Schon die OECD-Kriterien sind aus meiner Sicht problematisch. Dass Kosten für die Notversorgung von Flüchtlingen in Deutschland auf die ODA-Quote angerechnet werden dürfen, widerspricht dem eigentlichen Gedanken der Entwicklungszusammenarbeit. Die hat schließlich das Ziel, in den Ländern des Südens Strukturen aufzubauen – zum Beispiel in Form kleinbäuerlicher Landwirtschaft, staatlicher Gesundheitsversorgung oder eines flächendeckenden Bildungssystems. All das geschieht nicht, wenn Entwicklungsausgaben für innenpolitische Maßnahmen verwendet werden. Deswegen ist mein Hauptkritikpunkt, dass das Geld nicht den staatlichen Strukturen oder der Zivilgesellschaft in den Ländern des Südens zugute kommt.

Sie fragen die Bundesregierung auch, ob sie ausschließen kann, dass Hilfsgelder zur Abschottung und Migrationsabwehr zweckentfremdet werden – wie dies laut dem Concord-Bericht offenbar in Malta und Spanien passiert.

Ja, tatsächlich deklarieren schon heute Länder wie Malta, Spanien und auch Ungarn Ausgaben für die Abschottung vor Flüchtlingen als Entwicklungshilfe – also Kosten wie etwa für den Bau von Haftzentren, die Bezahlung von Sicherheitskräften oder die Migrationsabwehr im Ausland. Natürlich habe ich die Befürchtung, dass die Bundesregierung Ähnliches plant und Geld, das für die Entwicklungszusammenarbeit im Haushalt eingestellt wurde, etwa für die Schleuserbekämpfung im Rahmen der EU-Mission „EUNAVFOR“ zweckentfremden könnte. Deswegen bohre ich nach – ich bin gespannt, wie sich die Bundesregierung positioniert.

(sas/01.12.2015)