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Die jüngste Anhebung der Zusatzbeiträge in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) hat im Bundestag erneut einen Grundsatzstreit über die langfristige Finanzierung der Gesundheitskosten ausgelöst. Die Oppositionsfraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen forderten in einer Debatte am Donnerstag, 14. Januar 2016, die vollständige paritätische Finanzierung in der GKV und legten dazu ähnliche Anträge (Linke: 18/7237; Grüne: 18/7241) vor.
Demnach sollen Arbeitnehmer und Arbeitgeber künftig wieder jeweils zur Hälfte die Krankenkassenbeiträge zahlen. Auch die SPD plädiert dafür. Die Unionsfraktion verwies jedoch auf die Verabredungen im Koalitionsvertrag und machte deutlich, dass sie zugunsten der Wirtschaft und stabiler Lohnnebenkosten an der Festschreibung der Arbeitgeberbeiträge festhalten will.
Mit dem sogenannten "Gesetz zur Weiterentwicklung der Finanzstruktur und der Qualität in der gesetzlichen Krankenversicherung" war mit Beginn des Jahres 2015 eine neue Systematik eingeführt worden. Demnach wird unterschieden in einen allgemeinen festen Beitragssatz, der bei 14,6 Prozent liegt und jeweils zur Hälfte (7,3 Prozent) von Arbeitnehmern und Arbeitgebern getragen wird.
Ergänzt wird dies durch einen möglichen Zusatzbeitrag in variabler Höhe, der ausschließlich von der Arbeitnehmerseite zu zahlen ist. Der Zusatzbeitrag ersetzt den bis dahin geltenden Sonderbeitrag in Höhe von 0,9 Prozent, den die Arbeitnehmer bis dahin allein tragen mussten. Mit der Festschreibung des Arbeitgeberbeitrags auf 7,3 Prozent sollen die Lohnzusatzkosten gedeckelt werden.
Während die Krankenkassen 2015 mit ihren Zusatzbeiträgen zunächst nicht über die Marke von 0,9 Prozent hinausgingen, sondern sich an dieser Grenze orientierten, hat sich dies mit Jahresbeginn 2016 geändert. Ende vergangenen Jahres kündigten die Kassen im Schnitt Beitragssatzerhöhungen von 0,2 Prozentpunkte an, einige Kassen lagen deutlich über diesem Wert. Inzwischen rechnen Experten damit, dass der Zusatzbeitrag bis 2020 im Schnitt auf zwei Prozent zulegen könnte. Die Opposition befürchtet, die Zusatzbeiträge könnten noch deutlich schneller steigen.
Sabine Zimmermann (Die Linke) erinnerte in der Debatte daran, dass die GKV eine wichtige soziale Errungenschaft sei und als Ursprungsgedanken die Solidargemeinschaft von Arbeitnehmern und Arbeitgebern beinhalte. Dieses Erfolgsmodell sei mit der gesetzlichen Neuregelung geschwächt und ausgehöhlt worden. Diese Entwicklung müsse möglichst rasch gestoppt und rückgängig gemacht werden, denn den Versicherten werde immer tiefer in die Tasche gegriffen.
Das Argument von den stabilen Lohnnebenkosten ziehe nicht, weil geschäftlicher Erfolg sich noch nie durch niedrige Sozialbeiträge ergeben habe. Es wäre nur gerecht und logisch, wenn sich die Arbeitgeber wieder hälftig an den GKV-Beiträgen beteiligen würden.
Auch Maria Klein-Schmeink (Bündnis 90/Die Grünen) betonte, dass es um den gesellschaftlichen Zusammenhalt gehe, der gestärkt werden müsse. Angesichts der steigenden Zusatzbeiträge müsse jetzt entschlossen gegengesteuert werden, weil sich die Lage sonst "rasant verschlimmern" könnte. Sie merkte an, dass nicht nur Linke und Grüne für die Parität im Gesundheitswesen stünden, sondern auch die SPD und der CDU-Arbeitnehmerflügel.
Es gebe keinen Grund, der Wirtschaft eine "Extrakonjunkturbeihilfe" zu gewähren, während die steigenden Gesundheitskosten allein auf die Versicherten abgewälzt würden. Mit der Festschreibung der Arbeitgeberbeiträge gehe auch die Wächterfunktion der Arbeitgeber für die Kostenkontrolle im Gesundheitswesen verloren. Zudem müsse bei einigen Krankenkassen, die jetzt die Zusatzbeiträge stärker erhöhen, mit "enormen Verwerfungen" gerechnet werden.
Prof. Dr. Karl Lauterbach (SPD) räumte ein, dass auch die SPD für die Wiederherstellung der Parität sowie auch für die Einführung der Bürgerversicherung sei. Er erinnerte in seiner Rede daran, dass der frühere Sonderbeitrag von 0,9 Prozent, der von den Arbeitnehmern allein getragen wurde, in einer wirtschaftliche schwierigen Zeit mit hoher Arbeitslosigkeit eingeführt wurde. Die Zeiten hätten sich geändert. Heute gebe es viel weniger Arbeitslose und Haushaltsüberschüsse. Damit sei die ökonomische Voraussetzung erreicht, die Sonderbelastungen für die Arbeitnehmer zurückzunehmen.
Es gebe im Übrigen auch kein anderes Sozialsystem, wo alle künftigen Kostensteigerungen von den Arbeitnehmern zu tragen seien, sagte Lauterbach und gab zu bedenken, dass etwa Krebsbehandlungen in einer Gesellschaft mit vielen alten Menschen enorme Kosten verursachten. Der Mediziner warb dafür, jetzt die Weichen zu stellen "für eine paritätische Finanzierung ohne Wenn und Aber im Ra hmen der Bürgerversicherung". Da die Bevölkerung dies offenbar mehrheitlich auch so sehe, hoffe er, dass dies politisch durchsetzbar sei.
Redner der Union wiesen den erneuten Vorstoß allerdings klar zurück. Der CSU-Abgeordnete Erich Irlstorfer und der CDU-Abgeordnete Lothar Riebsamen erklärten, dass die Unionsfraktion sich an den Koalitionsvertrag halte. Riebsamen mutmaßte, der Opposition gehe es offenbar nicht nur um gesundheitspolitische Ziele, sondern mit Blick auf die kommenden Landtagswahlen schon um Wahlkampf.
Im Übrigen könne niemand voraussagen, ob es bei der derzeit guten Konjunktur bleibe. Einige Wolken am Horizont seien schon zu sehen, darauf müsse sich die Politik einstellen. Irlstorfer sagte, Deutschland liege bei den Lohnnebenkosten international unter dem Durchschnitt, und das sei auch gut so und notwendig. Die Sozialversicherung sei ausgewogen finanziert, auch unter Berücksichtigung der steigenden Krankenversicherungsbeiträge. Eine paritätische Finanzierung wäre ein falsches Signal zum falschen Zeitpunkt. Was die geforderte Bürgerversicherung angehe, ist aus seiner Sicht unklar, wie das sinnvoll aussehen könnte.
Die Anträge der Opposition werden im Gesundheitsausschuss weiter beraten. Auch eine öffentliche Expertenanhörung im Gesundheitsausschuss ist vorgesehen. (pk/14.01.2016)