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Die Europäische Union und die Vereinigten Staaten von Amerika wollen mit TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership) einen gemeinsamen Markt schaffen. „Dieses Abkommen ist das größte seiner Art und führt dadurch zum weltgrößten Binnenmarkt“, sagte Gitta Connemann (CDU/CSU) am Montag, 30. Juni 2014, in einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft unter ihrer Leitung.
Der Abbau von Handelshemmnissen, um den Warenaustausch zwischen den USA und der EU zu erleichtern, soll die Wirtschaft beleben und zu mehr Arbeitsplätzen führen. Kritiker der Verhandlungen sehen bei der dafür notwendigen Harmonisierung von Standards und Normen Nachteile für die Verbraucher und den Wettbewerb. Durch die angestrebte Angleichung wird eine Absenkung des Niveaus von Rechten und Regeln befürchtet.
Der Sachverständige Ulrich Weigl betonte aus Sicht der Europäischen Kommission zunächst die „enormen Chancen für die USA und die EU“, die in dem Abkommen liegen. Die EU sei mit einem Ausfuhrvolumen von rund 120 Milliarden Euro im Jahr 2013 zum weltweit größten Exporteur von landwirtschaftlichen Waren und Lebensmitteln geworden. Die USA seien der wichtigste Markt für EU-Ausfuhren mit einem Anteil von 13 Prozent, was 2013 rund 15 Milliarden Euro ausmachte.
Weigl sah den Vorteil für den Agrar- und Ernährungssektor bei Abschluss eines Abkommens darin, dass der Wegfall vergleichsweise hoher Zölle im Bereich der verarbeiteten Lebensmittel beiderseitig des Atlantiks Kosten für die Produzenten und den Handel einsparen helfe. Zudem bestehe die Chance, den Verwaltungs- und Kontrollaufwand in beiden Regionen, der zu unnötigen Kosten führe, zu senken. „Das kann zu einem Konjunkturanstoß bei sehr geringen Kosten für den Staatshaushalt führen“, sagte Weigl.
Udo Hämmerling vom Deutschen Bauernverband wies darauf hin, dass für Deutschland der Agrarhandel mit den USA hinter dem Handel mit Russland zurückstehe, obwohl die USA ein viel größerer Markt seien und sich beide Länder gut ergänzen würden. So seien die Hauptimportprodukte nach Deutschland Eiweißfuttermittel, Nüsse und alkoholische Getränke, die wichtigsten Produkte im Agrarexport von Deutschland in die USA alkoholische Getränke, Kaffee, Backwaren, Milchprodukte und lebende Tiere.
Einzig im Bereich der Fleischproduktion trieb es Hämmerling Sorgenfalten in die Stirn. „Fleisch muss als sensibles Produkt durch Importkontingente geschützt werden“, forderte er mit Blick auf die derzeit geführten Verhandlungen. So lange es möglich sei, in den USA Hormone zur Wachstumsförderung bei der Nutztierhaltung zu verabreichen, gebe es Wettbewerbsnachteile, die durch hohe EU-Anforderungen nicht aufgeholt werden könnten. Bei Geflügel-, Rind- und Schweinefleisch entstehe dadurch ein Produktionskostenunterschied von bis zu 80 Prozent.
Als Aufgabe für die Verhandlungsführer sah Tobias Andres von der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie den Abbau der nichttarifären Handelshemmnisse. Vor allem unterschiedliche Vorschriften und langwierige Zulassungsverfahren sowie fehlende Anerkennungen von Standards würden Unternehmen den US-Marktzugang erschweren.
Auch gelte es, die unterschiedlichen Traditionen in beiden Wirtschaftsräumen zu überbrücken. „Denn in den USA gibt es einen nachsorgenden Verbraucherschutz, der im Nachgang prüft, ob die Produkte marktgerecht sind“, erläuterte Andres. In der EU werde hingegen der vorsorgende Verbraucherschutz verfolgt, der den Unternehmen eine hohe Herstellungsqualität zu höheren Kosten abverlange. In den USA werde hingegen Lebensmittelsicherheit durch ein umfassenderes Klage- und Haftungsrecht sichergestellt.
„Das Zurückdrängen des Konzepts des Vorsorgeprinzips ist Ziel der US-Wirtschaft“, warnte Virginia Robnett von der Coalition for Sensible Safeguards vom Center for Effective Government aus Washington D.C. im Hinblick auf den Verbraucherschutz. Das sei in den USA in der Vergangenheit erfolgreich praktiziert worden und könnte im Nachgang von TTIP in Europa zur Behinderung neuer Verbraucherschutzregelungen führen.
Grundsätzliche Kritik äußerte Robnett auch am „Notice-and-comment“-System, das im Vorfeld von regulatorischen Vorhaben die Öffentlichkeit beteiligen soll. „Die Wirtschaft kommentiert sehr viel. Die Behörden müssen darauf intensiv eingehen und nehmen deren Standpunkte häufig schon vorweg auf.“ Auf diese Weise könne fast keine neue Regel mehr ausgeführt werden, ohne dass am Ende geklagt werde. Dadurch würden die Behörden zögerlicher und langsamer. Das „Notice-and-comment“-System richte sich somit stark zugunsten der regulierten Industrien aus.
Nikolai Soukup von der Arbeiterkammer Wien, Abteilung EU und Internationales, argwöhnte, dass das Ankommen zur Umgehung des nationalen Rechts durch Schiedsgerichte genutzt wird. „Dieses System ist intransparent und ohne Möglichkeit der Berufung“, sagte er. Die Staaten müssten in Schiedsgerichtsverfahren ihre souveränen Rechte gegenüber Konzernen rechtfertigen. Auch derzeit in dieser Frage diskutierte Reformvorschläge beurteilte Soukup als unzureichend.
Ein Problem, das auch Prof. Dr. Markus Krajewski von der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg sah. „Jedes Investitionsschutzabkommen birgt das Potenzial für Klagen“, sagte er. In seiner Stellungnahme sah er es als denkbar an, dass bei Gesetzgebungsprozessen auch die Frage auftauchen wird, ob ein Gesetzesvorhaben Klagen ausländischer Investoren befürchten lässt. Auf diese Weise könnte die Furcht vor Investitionsschiedsverfahren indirekt auf den Gesetzgebungsprozess Auswirkungen haben.
Aus sozialpolitischer Sicht gab Arnd Spahn von der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau zu bedenken, dass medizinische und rehabilitative Leistungen aus dem Anwendungsbereich des Abkommens herausgenommen werden müssen.
„Wir befürchten, dass es zu einem Wettbewerb kommt“, sagte er. Doch ein kommerzieller Wettbewerb mit dem amerikanischen System müsse verhindert werden. (eis/30.06.2014)