Navigationspfad: Startseite > Dokumente > Web- und Textarchiv > Textarchiv
Der Rechtsausschuss wollte klären, ob der Bundestag bei gemischten Abkommen der EU beteiligt werden muss. © dpa-Report
Das deutsche Parlament sollte über Verträge wie das transatlantische Handelsabkommen TTIP mitentscheiden. Das ist das einhellige Ergebnis einer öffentlichen Anhörung am Mittwoch, 13. Januar 2016, im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz. Sechs geladene Rechtsprofessoren kamen damit, wenn auch auf teilweise unterschiedlichen Argumentationssträngen, zu einem anderen Ergebnis als das Bundesjustizministerium.
Dieses hatte in einer von Bundestagspräsident Prof. Dr. Norbert Lammert erbetenen Stellungnahme kein Mitentscheidungsrecht des nationalen Parlaments bei sogenannten gemischten Abkommen der Europäischen Union gesehen.
Gemischte Abkommen sind solche, die auch Bereiche betreffen, welche nach den Europäischen Verträgen in den Kompetenzbereich der Mitgliedsstaaten fallen. Dazu zählt neben dem derzeit zwischen den USA und der EU verhandelten TTIP und dem umstrittenen Handelsabkommen Ceta mit Kanada auch das zur Entscheidung anstehende Wirtschaftspartnerschaftsabkommen mit Westafrika.
Letzteres Abkommen hatte Lammert veranlasst, Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) um eine Stellungnahme zu bitten, ob er eine Mitwirkung des Bundestags bei der Ratifizierung für geboten hält. Das Justizministerium führte daraufhin eine Reihe von Gründen an, warum dies nicht der Fall sei. Als Reaktion darauf baten Lammert und der Ältestenrat des Bundestages die Vorsitzende des Rechtsausschusses, Renate Künast (Bündnis 90/Die Grünen), eine Expertenanhörung dazu durchzuführen.
Dort nannte der Kieler Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Andreas von Arnauld die verfassungsrechtlichen Fragen in diesem Zusammenhang „erstaunlich ungeklärt“. Es gebe eine einzige Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, hierzu, nämlich von 1952 zum deutsch-französischen Freundschaftsabkommen.
Allerdings wiesen Arnauld und auch andere Sachverständige auf die seitdem völlig veränderten Bedingungen hin und bezeichneten das Urteil daher, in den Worten des Heidelberger Staatsrechtlers Prof. Dr. Bernd Grzeszick, als „überholt“.
Gegen eine Beteiligung des Bundestages spricht, dass Deutschland mit Zustimmung des Parlaments Kompetenzen zum Abschluss internationaler Handelsabkommen an die EU übertragen hat. Umstritten ist allerdings, ob diese Übertragung auch dann noch wirksam ist, wenn diese Abkommen Bestimmungen enthalten, die nationale Kompetenzen betreffen.
Der Bonner Völkerrechtler Prof. Dr. Matthias Herdegen verwies darauf, dass es bei Vertragsverletzungen zu Schiedsgerichtsverfahren kommen könne, die sich dann gegen einen einzelnen Mitgliedsstaat richteten. Herdegen nannte daher, mit Zustimmung auch anderer Sachverständiger, die in solchen Abkommen vorgesehenen Schiedsgerichte als einen Punkt, der „auf jeden Fall“ eine Bundestagsbeteiligung rechtfertige.
Generell verwies der Bonner Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Rudolf Dolzer darauf, dass die EU heute viel mehr Einfluss auf die Innenpolitik nehme als früher. Dadurch sei das deutsche „Parlament auch mehr gefordert“. Im Falle von TTIP komme hinzu, dass die Parlamente bisher, „ganz anders als der US-Kongress“, kaum Informationen erhielten. „Die weitgehende Abschottung des deutschen Parlaments im Verhandlungsprozess muss eine weitgehende Einbeziehung im Entscheidungsprozess nach sich ziehen“, folgerte Dolzer.
Die entscheidende Rolle bei der Entscheidungsfindung spielt – neben Artikel 23 des Grundgesetzes zur Übertragung von Kompetenzen an die Union, den nur ein Teil der Sachverständigen für mit maßgeblich hielt – Artikel 59. Hier heißt es, dass „Verträge, welche die politischen Beziehungen des Bundes regeln“, der parlamentarischen Zustimmung bedürften. Anders ist es danach bei Verwaltungsabkommen.
Der Bielefelder Europarechtler Prof. Dr. Franz C. Mayer setzte sich mit der Argumentation des Justizministerium auseinander, dass das Abkommen mit Westafrika nicht die Voraussetzungen nach Artikel 59 erfülle, und setzte dem entgegen: „Wenn Bundestag und Bundesregierung darüber streiten, dann ist es politisch.“ Zu einem ähnlichen Schluss kam der Berliner Verfassungsrechtler Prof. Dr. Christoph Möllers. Es könne „nicht zu viel, sondern höchstens zu wenig Bundestagsbeteiligung“ geben, sagte Möllers und folgerte: „Im Zweifel Zustimmungsbedürftigkeit.“
Eindeutig war auch die Antwort der Sachverständigen auf die Frage des SPD-Abgeordneten Dr. Sascha Raabe, wie der Bundestag damit umgehen solle, wenn sich das Kabinett über Bedenken hinwegsetzen und ein gemischtes Abkommen ohne Parlamentsvotum ratifizieren wolle. Wenn der Bundestag sich für zuständig halte, dann „muss er in der Lage sein, sich durchzusetzen“, forderte Möllers.
Von einer präventiven Verfassungsklage riet Möllers ebenso wie sein Kollege Mayer ab. Karlsruhe wünsche sich einen selbstbewussten Bundestag, sagte Mayer und forderte: „Just do it – machen Sie ein Gesetz!“ Wenn die Bundesregierung dann damit ein Problem habe, könne sie ja nach Karlsruhe gehen.
Breiten Raum nahmen die Antworten auf eine Frage des CDU-Abgeordneten Dr. Hendrik Hoppenstedt zu den Folgen einer Bundestagsbeteiligung auf den EU-Vertrag von Lissabon ein. „Wir haben Kompetenzen an die EU abgetreten“, so die Frage. „Wenn wir jetzt den Fuß in die Tür kriegen, hebelt das nicht Lissabon zu Teilen wieder aus?“
Mit Lissabon seien „bewusst nicht alle Außen-Kompetenzen vergemeinschaftet“ worden, antwortete Herdegen, es blieben auch „Rest-Kompetenzen der Mitgliedsstaaten“. Allerdings werde diese Kompetenzteilung, wie Arnauld ergänzte, „bei gemischten Abkommen wieder irgendwie verwischt“. Die Experten waren sich einig, dass dies ein Mitentscheidungsrecht der Mitgliedsstaaten zur Folge habe. Wie das dann im Inneren ausgestaltet werde, das sei, wie Herdegen sagte, „jedem Mitgliedsstaat überlassen“.
Im Anschluss an die Anhörung erklärte die Ausschussvorsitzende Künast, dass sich die Obleute der Fraktionen nun schnell zusammensetzen sollten, um Schlussfolgerungen aus der Anhörung zu Papier zu bringen. Diese sollten dann dem Bundestagspräsidenten übermittelt werden. (pst/14.01.2016)