Menu | Plenum | Parlaments-TV |
Gesundheit/Anhörung- 16.03.2016
Berlin: (hib/PK) Die von den Grünen geforderte staatlich kontrollierte Abgabe von Cannabis sorgt unter Gesundheits- und Rechtexperten weiter für heftigen Streit. Anlässlich einer Anhörung des Gesundheitsausschusses am Mittwoch in Berlin begrüßten Juristen und Elternvertreter auch in ihren schriftlichen Stellungnahmen den von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vorgelegten Entwurf (18/4204) für ein Cannabiskontrollgesetz und argumentierten, durch das Verbot der Droge würden nur der Schwarzmarkt und die Beschaffungskriminalität gefördert sowie Konsumenten ungerechtfertigt kriminalisiert.
Psychiater und Mediziner warnten hingegen vor einer voreiligen Freigabe der Droge und erinnerten an die gesundheitlichen Risiken vor allem für junge Leute, die mit dem Konsum von Cannabis einhergehen. Befürchtet wird, die Droge könnte sich in Deutschland weiter ausbreiten. Auch sogenannte Koabhängigkeiten mit Alkohol und Nikotin werden mit Sorge gesehen.
In einer Resolution an den Bundestag haben sich 123 Strafrechtsprofessoren bereits vor einiger Zeit für eine Änderung des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) stark gemacht mit dem Ziel, Cannabis aus der Illegalität zu holen. Die Strafrechtsexperten argumentieren, die Prohibition und repressive Drogenpolitik sei gescheitert. Sie führe zu einer Kriminalisierung von Bürgern, die ein normales Leben lebten und verursache immense Kosten unter anderem für die Strafverfolgung. Auch jugendliches Experimentierverhalten werde kriminalisiert und das Erlernen von Drogenmündigkeit erschwert. Der Zweck des Verbotes werde derweil systematisch verfehlt, da der Drogenkonsum nicht verhindert werden könne. Die Neue Richtervereinigung (NRV), ein Zusammenschluss von Richtern und Staatsanwälten, hat sich der Resolution angeschlossen.
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hatte im sogenannten Haschisch-Beschluss (BVerfGE 90, 145) vom 9. März 1994 festgestellt, dass sich aus den Grundgesetz ein "Recht auf Rausch" nicht ableiten lasse. Das höchste deutsche Gericht kam zu dem Schluss, dass die Strafvorschriften des Betäubungsmittelgesetzes mit dem Grundgesetz vereinbar seien. Jedoch stehe dem Gesetzgeber ein "Beurteilungsspielraum" zu. In der Gesamtabwägung müsse "die Grenze der Zumutbarkeit für die Adressaten des Verbots gewahrt werden", heißt es mit Blick auf Menschen, die sich Cannabis nur in geringen Mengen zum gelegentlichen Eigenverbrauch beschaffen. Solche Drogen zu besitzen ist also formal strafbar, wird aber in bestimmten Fällen nicht strafrechtlich verfolgt.
Die Bundesländer waren aufgerufen, einheitlich festzulegen, was konkret als geringe Menge anzusehen ist. Bis heute sind Grenzwerte jedoch unterschiedlich: In den meisten Ländern sind bis zu sechs Gramm Cannabis erlaubt, einige Länder gehen auch deutlich darüber hinaus und erlauben bis zu 15 Gramm. Wer aber Drogen anbaut oder mit ihnen handelt, kann lauf Paragraf 29 BtMG mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft werden.
Die Neue Richtervereinigung erinnerte daran, dass pro Jahr mehr als 50.000 Angeklagte nach dem Betäubungsmittelgesetz verurteilt werden, die meisten im Zusammenhang mit Cannabis. Dabei würden teilweise drastische Strafen verfügt. Dies sei nicht zeitgemäß. Der NRV-Vertreter bezifferte in der Anhörung die jährlichen Gesamtkosten für die Drogenrepression von Bund und Ländern mit 3,7 bis 4,6 Milliarden Euro. Das Kernproblem seien jedoch die "völlig absurden Strafrahmen".
Die Experten vom Drogenforschungsverein INDRO glauben, dass Cannabis als illegale Droge die ernsten Folgeprobleme erst bewirkt und nennen unter anderem Organisierte Kriminalität, unreine Substanzen sowie fehlenden Jugend- und Verbraucherschutz. Sozialwissenschaftliche Forschungen zeigten, dass der Cannabis-Konsum bei den meisten Jugendlichen ein vorübergehendes Phänomen sei. Würden diese jungen Leute frühzeitig als kriminell stigmatisiert, sei der Lebensweg vorgezeichnet. Es gehe nicht um eine Legalisierung im Sinne eines freien Marktes für Cannabis, sondern um eine staatlich kontrollierte, legale Abgabe von Cannabis-Produkten.
Der Bundesverband der Eltern und Angehörigen für akzeptierende Drogenarbeit schilderte, wie hilflos Eltern sind, wenn Kinder plötzlich Drogen nehmen und noch dazu kriminalisiert und stigmatisiert werden. Die Prohibition könne niemals gesondert von den sozialen Begleiterscheinungen gesehen werden. Der Verein fordert, Cannabis über spezielle Läden mit geschultem Personal zu verkaufen, wobei der Jugendschutz zu beachten sei. Zudem müsse ein generelles Werbeverbot für Drogen aller Art gelten.
Nach Auffassung des Deutschen Hanfverbands (DHV) geht an einer Regulierung des Cannabismarktes kein Weg vorbei, zumal vor allem in Nordamerika dieser Trend bereits gesetzt werde. Der Verband kritisierte allerdings die Vorlage der Grünen als zu stark reguliert und bürokratisch. Zudem sollten zugleich die Regelungen für Alkohol und Tabak überdacht werden. Fragwürdig sei, Alkohol in Supermärkten zu verkaufen sowie die Werbung für Alkohol und Zigaretten.
Der Sachverständige Kai Ambos von der Universität Göttingen, Mitunterzeichner der Resolution der Strafrechtsprofessoren, erklärte, die Cannabis-Gesetzgebung müsse überdacht werden. Eine Reform des Betäubungsmittelgesetzes sei nach 50 Jahren strafrechtlicher Prohibition sinnvoll. Grundlage dafür müsse eine parlamentarische Diskussion und eine wissenschaftliche Auseinandersetzung sein. So zeigten Beispiele aus dem Ausland, dass eine liberale Drogenpolitik nicht notwendig zu einer Ausweitung des Drogenkonsums führe. Jedoch fehlten für Deutschland empirische Belege.
Nach Ansicht des Strafrechtsexperten Jörn Patzak muss jedoch davon ausgegangen werden, dass mit einer solchen Gesetzesreform die Nachfrage nach Cannabis unter Jugendlichen steigen wird. Dies zeige die Entwicklung in den Niederlanden und Tschechien. Der angestrebte Jugendschutz sei ein "Lippenbekenntnis". Auch sei es ein Trugschluss zu glauben, der Schwarzmarkt könnte eingedämmt werden, er werde vielmehr mit der Nachfrage unter Jugendlichen weiter bestehen. Bedenklich seien auch die möglichen Auswirkungen auf den Verkehr, da Cannabiskonsumenten hier eine potenzielle Gefahr darstellten. Er schlug in der Anhörung aber vor, eine geringe Menge einheitlich zu definieren und klarzustellen, dass bis zu diesem Wert ein Verfahren in der Regel nicht nur eingestellt werden kann, sondern einzustellen ist. Dies könne den Konsumenten Rechtssicherheit geben.
Nach Angaben des Mediziners Rainer Thomasius haben wissenschaftliche Studien sowie praktische Erfahrungen aus den USA gezeigt, dass die leichte Verfügbarkeit von Drogen in Verbindung mit unzureichender Prävention zu einer erhöhten Konsumbereitschaft und Konsumerfahrung führen könne. So sei im US-Bundesstaat Colorado, wo Cannabis für Erwachsene legal erhältlich ist, der Konsum unter Jugendlichen im Alter zwischen zwölf und 17 Jahren um 39 Prozent höher als die Durchschnittsquote aller US-Bundesstaaten in der Altersgruppe. Die im europäischen Vergleich geringe Nutzung von Cannabis hierzulande deute an, dass sich das deutsche Konzept aus Angebotsreduzierung, Prävention, Hilfestellung und Schadenminimierung bewährt habe.
Die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) sprach von "beträchtlichen gesundheitlichen Risiken des Cannabiskonsums" und forderte "geeignete Maßnahmen zur Reduktion von Angebot und Nachfrage". Cannabis könne Ängste, Depressionen, Wahnvorstellungen oder auch psychotische Erkrankungen wie Schizophrenie auslösen. Darüber hinaus sei der Cannabiskonsum häufig mit Abhängigkeiten von Nikotin und Alkohol verbunden. Die Auswirkungen dieser Mehrfachabhängigkeiten seien noch wenig untersucht.
Nach Ansicht des Spitzenverbandes der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) muss geprüft werden, ob eine Freigabe geeignet ist, den Cannabis-Konsum insbesondere unter Jugendlichen einzudämmen. Langfristiger Cannabis-Konsum berge ein Abhängigkeitsrisiko. Auch mögliche kognitive Schäden würden diskutiert. Die Folgekosten solcher Krankheiten habe dann zumeist die GKV zu tragen.
Der Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) sprach sich für eine versachlichte Debatte aus und forderte vor einer politischen Entscheidung, wissenschaftliche Fakten zu bewerten oder, falls sie fehlen, zu erheben. Der BDK setze sich grundsätzlich für einen repressiven Umgang mit Anbietern illegaler Drogen und eine nicht-repressive Politik im Umgang mit Konsumenten ein. Die Illegalisierung bestimmter psychotrop wirkender Substanzen erscheine aber gerade in Bezug auf den Jugendschutz sinnvoll und erforderlich.
Nach den Vorstellungen der Grünen sollte Cannabis aus den strafrechtlichen Regelungen des Betäubungsmittelgesetzes herausgenommen werden, um stattdessen einen kontrollierten, legalen Markt zu schaffen. So sollte die gesamte Handelskette für Cannabis reguliert werden. Der Verkauf an Minderjährige sollte verboten sein. Der Verbraucher- und Gesundheitsschutz müsse durch Angaben über Inhaltsstoffe, die Konzentration der Wirkstoffe, Beipackzettel, Warnhinweise und Qualitätsstandards garantiert werden. Um die Verkehrssicherheit zu erhöhen, sollte ein Grenzwert für Cannabis eingeführt werden, ähnlich der Promillegrenze für Alkohol. Mit einer Cannabis-Steuer könnten zusätzliche Einnahmen erzielt werden.