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Im 1. Untersuchungsausschuss („NSA“), der sich mit geheimen Aktivitäten vor allem der USA in Deutschland befasst, wird in der nächsten Woche erneut die Spionagesoftware XKeyscore zur Sprache kommen. Die Abgeordneten unter Vorsitz von Prof. Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU) wollen dazu am Donnerstag, 14. April 2016, zwei Mitarbeiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) befragen, wo XKeyscore auf Probe genutzt wird. Die öffentliche Sitzung beginnt um 11.30 Uhr im Europasaal 4.900 des Berliner Paul-Löbe-Hauses.
Der Zeuge Ulrich Berzen ist seit Oktober 2013 Leiter der Abteilung 3 „Zentrale Fachunterstützung“, die beim Verfassungsschutz den Einsatz nachrichtendienstlicher Methoden in der Inlandsaufklärung betreut und damit für technische und rechtliche Aspekte der Telekommunikationsüberwachung zuständig ist.
Zu seinen Untergebenen zählt der zweite Zeuge mit dem Tarnnamen „André Treuenfels“, seit September 2012 Gruppenleiter in der Abteilung 3. Er ist unter anderem für die Anwendung des G10-Gesetzes verantwortlich, das sicherstellen soll, dass bei Abhörmaßnahmen die Rechte unbescholtener deutscher Staatsbürger gewahrt bleiben. Beide Zeugen waren an der „Arbeitsgruppe Poseidon“ beteiligt, die beim Verfassungsschutz seit Herbst 2012 die Einführung von XKeyscore betreute.
Einer breiteren Öffentlichkeit in Deutschland wurde XKeyscore im Sommer 2013 durch die Enthüllungen des dissidenten US-Geheimdienstlers Edward Snowden über Aktivitäten der National Security Agency (NSA) bekannt.
Das System ist in der Lage, im Internet oder bei der Überwachung von Telefonverkehren erhobene Daten schnell und massenhaft zu filtern, zu sortieren und zu verknüpfen. Es erfasst nicht nur Inhalte von Mails, Faxen oder Telefonaten, sondern auch die stets mitübertragenen „Metadaten“ über Ort, Zeitpunkt und Dauer einer Kommunikation. So lassen sich exakte Profile von Zielpersonen gewinnen.
Der Bundesnachrichtendienst (BND) nutzt das von der NSA entwickelte Programm seit 2007 unter anderem in der Abhöranlage in Bad Aibling. Dort ließen sich Mitarbeiter des Verfassungsschutzes im Oktober 2011 die Leistungsfähigkeit des Systems demonstrieren.
Im April 2013 kam eine Vereinbarung mit der NSA zustande, worin sich der Verfassungsschutz verpflichtete, dem US-Geheimdienst als Gegenleistung für die Überlassung der Software „in größtmöglichem Umfang“, also im Rahmen des nach deutschem Recht Zulässigen, eigene Erkenntnisse mitzuteilen. Der Text wurde im August 2015 von ZEIT Online veröffentlicht. Dem NSA-Ausschuss mochte indes aus Gründen des Geheimschutzes bislang kein beteiligter Zeuge den Inhalt bestätigen.
Der Ausschuss hatte sich erstmals am 3. Dezember 2015 mit XKeyscore befasst und in geheimer Sitzung den BND-Mitarbeiter A. Sch. vernommen, der 2013 beim Verfassungsschutz das System installiert hatte. Am 18. Februar 2016 trat die Referatsleiterin in der Abteilung 3 Doreen Delmdahl vor dem Ausschuss auf. Sie ist den Zeugen Berzen und Treuenfels untergeben und war als G10-Expertin im Herbst 2012 zur Leiterin der AG „Poseidon“ berufen worden. Am 25. Februar 2016 sagte die Beauftragte des Verfassungsschutzes für IT-Sicherheit Monika Genkowa zu XKeyscore aus.
Für die Zwecke des Verfassungsschutzes, der weniger an der Filterung großer Datenmassen als an Kommunikationsinhalten im Einzelfall interessiert sei, ist das System nach den Worten der Zeugin Delmdahl nur eingeschränkt tauglich. Genutzt werde lediglich die Analyse-, nicht die Erfassungsfunktion, weil es in der Kölner Zentrale eine eigene Abhöranlage gebe. XKeyscore sei auf einem Rechner in Berlin installiert, der keine Verbindung nach außen habe. Dort würden Kopien der in Köln erfassten Daten eingespeist und nach Analyse gelöscht.
Offenbar fragt sich der Verfassungsschutz aber noch, was er sich mit XKeyscore eingehandelt hat. „Wir kennen den Quellcode nicht. Wir wissen nicht, wie es arbeitet“, sagte Delmdahl. Deshalb laufe das System nach wie vor nur im Probebetrieb, weil die Sicherheitsüberprüfung noch immer nicht abgeschlossen sei. Das bedeute, dass das System bereits echte Daten bearbeite, aber nur in begrenzter Anzahl.
Aus Sicht der Oppositionsvertreter im Ausschuss ergibt sich daraus die Frage, welches Motiv der Verfassungsschutz überhaupt hatte, XKeyscore anzuschaffen, oder ob daran nicht vielmehr BND und NSA interessiert waren. Und wenn ja, aus welchen Gründen. Dazu habe keiner der bislang befragten Zeugen etwas sagen können, weil keiner an den vorbereitenden Gesprächen direkt beteiligt gewesen sei. (wid/07.04.2016)