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15 internationale Bloggerinnen und Blogger aus Tunesien, Ägypten, Kasachstan, Moldau, Belarus, China, Indonesien und Aserbaidschan © DBT/Melde
Internationaler Besuch im Deutschen Bundestag: Am Mittwoch, 6. April 2011, trafen Mitglieder der Enquete-Kommission "Internet und digitale Gesellschaft" auf 15 Bloggerinnen und Blogger aus unterschiedlichen Staaten, darunter Tunesien, Kasachstan, Moldau, China, Indonesien, Thailand, Aserbaidschan und Moldau.
Das Internet ist das freiheitlichste und effizienteste Informations- und Kommunikationsforum der Welt und trägt maßgeblich zur Entwicklung einer globalen Gemeinschaft bei." So lautet der erste Satz des Einsetzungsbeschlusses der Enquete-Kommission, den der Vorsitzende Axel E. Fischer (CDU/CSU) vor den elf Bloggern und drei Bloggerinnen zitierte.
Selten in der Geschichte der Enquete-Kommission wurde die Bedeutung des Satzes so greifbar wie in dieser Runde: Die internationalen Blogger und fünf deutsche Abgeordneten kamen im Rahmen einer Bloggerreise auf Einladung des Auswärtigen Amtes im Bundestag zusammen. Durch Besuche bei Verfassungsorganen, Medien und Nichtregierungsorganisationen können die Blogger die politische Situation in Deutschland kennenlernen.
Im Gegenzug bot das Treffen den Mitgliedern der Internet-Enquete die wertvolle Chance, sich aus erster Hand über die Erfahrungen der Blogger zu informieren: "Wir sind froh, dass wir die Gelegenheit haben, mit Ihnen zu sprechen", begrüßte Fischer die internationalen Gäste im Jakob-Kaiser-Haus des Deutschen Bundestag und stellte die Arbeit der Enquete-Kommission vor.
Fragen von beiden Seiten dokumentierten das gegenseitige Interesse. So fragten die Abgeordneten die Besucher, wie ihre Erfahrungen mit Repressionen seien, wie sich andere Staaten politisch beziehungsweise auf parlamentarischer Ebene mit der Zukunft des Internet auseinander setzten und wie Bemühungen zum Beispiel der deutschen Enquete-Kommission aus der Außenperspektive wahrgenommen würden.
Die Blogger gaben einen Eindruck über die sehr unterschiedlichen Voraussetzungen in ihren jeweiligen Herkunftsstaaten. In Tunesien, so berichtete ein Teilnehmer, sei die Situation für Blogger vor der Revolution katastrophal gewesen. Es habe verschiedene Typen von Bloggern gegeben, etwa politische Aktivisten, die am stärksten verfolgt wurden und von denen viele inhaftiert wurden.
Zudem habe es Blogger aus Akademikerkreisen gegeben. Sie seien teilweise in der Lage gewesen, die Zensurmethoden der Regierung zu umgehen und hätten technische Wege gefunden, ihre Meinung zu äußern. Die Revolution habe die Situation grundlegend verändert, das Internet werde nicht mehr als Gefahr gesehen und der Staat gebe sich progressiv und modern.
Die Aufgabe der Blogger sei nun, dafür zu sorgen, dass die früheren Zustände für immer der Vergangenheit angehören und eine größere Nähe zu den Regierenden herzustellen. Von großem Interesse sei es deshalb, in Staaten wie Deutschland Informationen darüber zu sammeln, wie die Meinungsfreiheit rechtlich und gesellschaftlich fest etabliert werden könne.
Blogger aus anderen Staaten berichteten auch von aktuellen Repressalien. Blogs würden gelöscht, die Regierung gehe gezielt gegen Internetaktivisten vor. Einige Aktivisten hätten lange Freiheitsstrafen erhalten.
Berichtet wurde auch über Organisationen, die die Regierungslinie unterstützten, indem sie spezielle Software gegen Kritiker entwickle, die kritische Meinungen aus sozialen Netzwerken herausfiltere oder automatische Löschmechanismen zur Kontrolle von Blogs etabliere.
Dass fehlende Meinungsfreiheit eng mit anderen Problemen verknüpft ist, zeigten die Berichte einiger anderer Teilnehmer. Das größte Problem sei aus seiner Sicht Korruption und Armut, erläuterte ein Blogger. Ein anderer benannte mafiöse Strukturen und Wirtschaftskorruption als Probleme, die in der Folge Blogs zur wichtigsten unabhängigen Informationsquelle machten.
Die staatlichen Medien seien von der Regierung kontrolliert, sagte ein Teilnehmer, was das Internet zu einem "kleinen Fenster zur Freiheit" mache.
Einige Fragen der Blogger zielten auf konkrete Fragen zum Internet ab. So wollte ein Teilnehmer wissen, ob es ein spezielles Internet-Recht in Deutschland und Regelungen zum Urheberrecht im Internet gebe und ob Internetseiten grundsätzlich denselben Status hätten wie Massenmedien.
Und schließlich: Wie werden in Deutschland Blogs kontrolliert? Sie würden nicht kontrolliert, erläuterten die Abgeordneten. Grundsätzlich gelte das Prinzip der Meinungs- und Medienfreiheit. Betreiber würden belangt, wenn sie Personen beleidigten oder gegen das Gesetz verstießen, doch selbst extremistische Parteien könnten nur durch einen Beschluss des Verfassungsgerichts verboten werden.
Die Abgeordneten legten dar, dass es allerdings auch in Deutschland Grenzen gebe. In Fällen, in denen etwa verfassungswidrige Ansichten im Internet vertreten werden, müsse entschieden werden: Ist das noch freie Meinungsäußerung oder bereits verfassungswidrig und ein Verstoß gegen die freiheitliche Grundordnung? Darüber würden Gerichte urteilen.
An dieser Stelle werde jedoch das Problem der internationalen Rechtsdurchsetzung deutlich, denn Inhalte, die zum Beispiel in den USA veröffentlicht und in Deutschland als verfassungswidrig gelten, kämen im Internet trotzdem bei uns an.
Allerdings, so der Tenor bei den Abgeordneten, sei das im Vergleich mit den Problemen mancher der anwesenden Blogger allenfalls "Jammern auf hohem Niveau".
Tatsächlich haben einige Staaten neben Fragen der Netzpolitik noch ganz andere Probleme zu lösen. Deutlich wurde das durch die Fragen eines Teilnehmers nach dem Thema Sozialversicherung. Das deutsche System sei für ihn interessant, da seine Regierung gerade dabei sei, ein Sozialversicherungssystem zu entwickeln.
Und so bezog sich die letzte Frage eines Bloggers an die Abgeordneten dann auch nicht auf das Internet, sondern auf die Demokratie im Allgemeinen: Welche Ratschläge die Abgeordneten an junge Demokratien haben?
Meinungsfreiheit, freie Wahlen mit öffentlichen Auszählungen, Unabhängigkeit von einzelnen Wirtschaftsunternehmen, antworteten die Abgeordneten - Grundlagen, die sich die junge Bundesrepublik Deutschland vor über 65 Jahren unter dem Eindruck der Diktatur ganz bewusst gegeben hat.
Der Besuch im Bundestag stand für die Blogger gleich zu Beginn ihrer achttägigen Deutschlandreise auf dem Programm. Geplant sind auch Treffen mit deutschen Bloggern und anderen Medienvertretern.
Neben dem Zusammentreffen mit den Enquete-Mitgliedern stand im Bundestag eine Einführung über die deutsche Blogosphäre durch den Journalisten Robin Meyer-Lucht und ein Vortrag des Medienrechtlers Jan Mönikes über die rechtlichen Rahmenbedingungen für Blogger in Deutschland auf dem Programm. (kfo)