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In der öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend unter Vorsitz von Sibylle Laurischk (FDP) zur geplanten Einführung eines Betreuungsgeldes ab 2013 prallten höchst unterschiedliche Vorstellungen der geladenen Experten über die richtige Betreuung von Kindern in den ersten drei Lebensjahren und über die entsprechende Familienpolitik aufeinander. Grundlage der Anhörung waren ein Gesetzentwurf von Bündnis 90/Die Grünen (17/1579), der einen verstärkten Ausbau der frühkindlichen Erziehung in Betreuungseinrichtungen vorsieht, und ein Antrag der SPD-Fraktion (17/6088), die die Bundesregierung auffordert, auf das Betreuungsgeld zu verzichten und statt dessen den Ausbau frühkindlicher Betreuungsangebot zu fördern.
Dr. Ute Sacksofsky, Professorin für Öffentliches Recht und Rechtsvergleich an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main, hält das Betreuungsangebot für nicht verfassungskonform. Das Betreuungsgeld verstoße sowohl gegen den Schutz der Familie nach Artikel 6 Absatz 1 des Grundgesetzes als auch gegen den Auftrag zur Förderung der tatsächlichen Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern nach Artikel 3 Absatz 2 des Grundgesetzes.
Grundsätzlich müsse jede Familienform dem Staat gleich viel wert sein, sagte Sacksofsky. Durch die Zahlung eines Betreuungsgeldes werde aber einseitig eine bestimmte Familien- beziehungsweise Erziehungsform bevorzugt. Zudem sei das Betreuungsgeld geeignet, die überkommene Rollenverteilung zwischen Männern und Frauen zu zementieren, argumentierte die Sachverständige.
Zwar solle das Betreuungsgeld von Männern und Frauen gleichermaßen bezogen werden können, in der gesellschaftlichen Realität würde die Betreuung von Kleinkindern jedoch überwiegend von den Müttern übernommen.
Auch Dr. Michael Klundt, Professor für Angewandte Humanwissenschaften an der Hochschule Magdeburg-Stendal, und Svenja Pfahl vom Institut für sozialwissenschaftlichen Transfer lehnen die Einführung eines Betreuungsgeldes ab. Vor dem Ausschuss sprachen sich beide Experten für den Gesetzentwurf der Grünen und den Antrag der SPD aus. Der Staat versuche, sich mit dem Betreuungsgeld aus seiner Verpflichtung zur Schaffung von Kinderkrippen und Kindertagesstätten "freizukaufen“, kritisierte Klundt.
Eine echte Wahlfreiheit zwischen der Betreuung zu Hause oder in einer Betreuungseinrichtung bestehe nur dann, wenn auch genügend Betreuungsangebote vorhanden seien. Dies sei aber nicht der Fall. Klundt und Pfahl argumentierten übereinstimmend, dass ein Betreuungsgeld die Gefahr der Altersarmut von Frauen verschärfe.
Gerade Frauen in schlecht bezahlten Berufen oder Frauen in Teilzeit würden ganz aus dem Berufsleben aussteigen, um ihre Kinder zu Hause zu erziehen und um in den Genuss des Betreuungsgeldes zu kommen. Dies erschwere aber später den Wiedereinstieg ins Berufsleben.
Diese Argumentation unterstützte auch Axel Plünnecke vom Institut der deutschen Wirtschaft in Köln. Deutschland schneide bei der Frauenerwerbsquote im Vergleich der Staaten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) schon jetzt nur durchschnittlich ab.
Laut einer Studie des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung aus dem Jahr 2009 würde fast die Hälfte der teilzeitbeschäftigten Mütter bei Einführung des Betreuungsgeldes aus dem Berufsleben austreten. Bei den vollzeitbeschäftigten Müttern sei dies allerdings nicht zu erwarten. Plünnecke räumte aber ein, dass es beim Großteil der Mütter zu keiner Verhaltensänderung kommen werde, da schon heute 71,8 Prozent aller Mütter mit Kleinkindern nicht berufstätig seien.
Den Einschätzungen von Klundt und Pfahl widersprach der thüringische Landtagsabgeordnete Klaus Zeh (CDU). Thüringen habe mit seinem Erziehungsgeld, einer Entsprechung zum Betreuungsgeld, sehr gute Erfahrungen gemacht. Es habe nicht festgestellt werden können, dass Familien deswegen ihre Kinder aus Betreuungseinrichtungen abgemeldet hätten.
Er warb dafür, die Debatte um das Betreuungsgeld zu entideologisieren. Es gehe darum, den Eltern die Wahlfreiheit für das eine oder andere Modell zu ermöglichen. Väter und Mütter seien "keine Rabeneltern“, nur weil sie ihre Kinder in einer Betreuungseinrichtung unterbringen.
Umgekehrt seien sie aber auch "keine Heimchen am Herd“, wenn sie ihre Kinder zu Hause erziehen. Zeh sprach sich zugleich dafür aus, die Erziehungsleistung von Eltern in der Gesellschaft wieder stärker zu würdigen und sie finanziell zu unterstützen.
Auch Maria Steuer vom Verein Familien e.V. begrüßte die Einführung eines Betreuungsgeldes ausdrücklich. Allerdings stehe es mit einem Betrag von 150 Euro in keinem Verhältnis zu den staatlichen Ausgaben, die zur Förderung des Krippenausbaus getätigt würden. Es kompensiere auch nicht annähernd die Einbußen, die eine Familie hinzunehmen habe, die sich gegen eine Fremdbetreuung entscheidet.
Steuer sprach sich deutlich gegen die Fremdbetreuung und für die Betreuung von Kleinkindern in der eigenen Familie aus. Sie zitierte wissenschaftliche Studien, nach denen die Eltern in den ersten drei Lebensjahren die wichtigsten Entwicklungs- und Bildungsinstanzen sind.
Zudem zeigten Untersuchungen, dass der Cortisolspiegel, ein Indikator für Stress, bei Kindern in der Tagesbetreuung deutlich höher als bei den zu Hause gebliebenen Kindern liege. Ein höherer Stressfaktor sei aber nun keine gute Voraussetzung für die von SPD und Grünen geforderte frühkindliche Erziehung. (aw)