Navigationspfad: Startseite > Dokumente > Web- und Textarchiv > 2011
Wer einen Blick auf die Tagesordnungen des Ausschusses für Kultur und Medien der letzten Wochen und Monate wirft, bekommt schnell eine Ahnung, mit welch unterschiedlichen Themen sich dieses Gremium des Bundestages beschäftigt: Da geht es etwa um die Aufgabenplanung für die Deutschen Welle, eine öffentliche Beratung über den Entwurf des Einheits- und Freiheitsdenkmals in Berlin, ein Expertengespräch zur Digitalisierung von Kulturgut oder um die geplante Änderung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes. Ein denkbar breites Spektrum. Und doch mussten die Kulturpolitiker im Parlament zunächst für die angemessene Aufmerksamkeit und Anerkennung ihrer Sache kämpfen.
Kulturpolitik galt lange als "Spielwiese für Schöngeister". Ein Klischee, das heute allerdings widerlegt ist. Die Kreativwirtschaft hat in punkto Umsatz und Beschäftigung zu den klassischen Industriezweigen aufgeschlossen. Kultur gilt längst als Standortfaktor.
"Kulturfragen haben in den vergangenen Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen", sagt auch Professor Monika Grütters, Vorsitzende des Ausschusses für Kultur und Medien. Belege für diesen Bedeutungszuwachs hat die CDU-Abgeordnete aus Berlin, die nach der Bundestagswahl 2009 den Vorsitz im Gremium übernommen hat, genug: "Das sieht man zum Beispiel daran, dass das Stasi-Unterlagen-Gesetz in der Verantwortlichkeit vom Innenminister zum Staatsminister für Kultur gewechselt ist - oder dass für Fragen des Auslandsfunks Deutsche Welle nicht mehr der Außenminister zuständig ist, sondern eben der Kulturstaatsminister."
Zwar ist Kultur- und Medienpolitik im föderal verfassten Deutschland in erster Linie Sache der Länder. Doch die Rahmenbedingungen zu setzen obliegt wiederum dem Bund - genauso wie die Förderung von Kultur, wenn sie von nationaler Bedeutung ist. So fallen auswärtige Kulturpolitik und Filmförderung ebenso in den Aufgabenbereich des Bundes wie die Förderung vieler großer Museen, Archive und Gedenkstätten.
Mit dem Etikett "Spielwiese für Schöngeister" kann Grütters wenig anfangen. Der Ausschuss sei keine "Nischenveranstaltung", betont die 49-Jährige. "Da werden Grundsatzfragen der Gesellschaft aufgerufen."
In einem erweiterten Kulturbegriff spielten etwa auch Religionsfragen eine Rolle: "Wenn man sieht, wie wichtig wir die Frage nehmen, inwieweit der Islam und die Muslime zu Deutschland gehören, dann ist es gut, einen Ausschuss zu haben, der nicht nur pragmatisch Institutionen betreut, sondern auch Debatten anstößt."
Kaum vorstellbar, dass es vor etwas mehr als zehn Jahren ein solches Gremium im Bundestag noch gar nicht gab. Mit "Rücksicht auf die föderalen Zuständigkeiten" und die "Empfindlichkeiten der Länder" habe man lange Zeit darauf verzichtet, auf Bundesebene einen Ort für Kulturpolitik einzurichten. "Wenngleich die Kultur immer eine Nische beim Bund hatte - sie ressortierte als Abteilung des Innenministeriums", erklärt Grütters.
Erst 1998, als der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) das Amt des Kultur- und Medienbeauftragten der Bundesregierung neu schuf und zunächst mit dem Publizisten Michael Naumann (SPD) besetzte, richtete auch das Parlament erstmals einen ständigen Ausschuss ein. Das war der Beginn der 'sichtbaren’ Kulturpolitik des Bundes.
Seitdem ist die Zahl der Mitglieder des Ausschusses für Kultur und Medien stetig gewachsen: Gehörten dem Gremium in der 14. Legislaturperiode von 1998 bis 2002 noch 15 Mitglieder an, sind es nun in der aktuellen 17. Wahlperiode 24. Neun Mitglieder stellt davon die CDU/CSU-Fraktion, fünf die SPD und vier die FDP. Jeweils drei Abgeordnete gehören der Linksfraktion und Bündnis 90/Die Grünen an.
Als Zeichen für die gestiegene Bedeutung der Kulturpolitik will die Ausschussvorsitzende diese gewachsene Mitgliederzahl nicht interpretieren - wenngleich es "attraktiv" sei, Teil des Ausschusses zu sein.
Doch Grütters' Ziel als Vorsitzende ist es vor allem, das Bewusstsein in der Bevölkerung für den Wert von Kultur zu steigern: "Kultur ist keine Veranstaltung für die 'happy few’, die sich eine Opernkarte leisten können, sondern Teil unserer deutschen Identität." Mit nur 1,6 Prozent aller öffentlichen Gelder habe es Deutschland geschafft, das Land mit der höchsten Theaterdichte zu sein.
Jedes zweite Profiorchester spiele zudem auf deutschem Boden und zehnmal mehr Menschen gingen hierzulande ins Museum als in alle Bundesligaspiele zusammen, zählt Grütters auf. "Und das mit 1,6 Prozent der Steuergelder! Da verbieten sich doch allzu kleinliche Fragen nach Subventionierung. Wir sollten stolz sein, dass Deutschland zwar respektiert wird über das 'Made in Germany' - aber geliebt als eine Kulturnation."
Einen Schwerpunkt der Ausschussarbeit bildet die Hauptstadtkultur. Insbesondere das in der Mitte Berlins auf dem Schlossplatz geplante "Humboldtforum" im rekonstruierten Stadtschloss gilt als einer der Leuchttürme der Kulturpolitik.
Für Grütters, die vor ihrer Zeit im Bundestag zehn Jahre Abgeordnete des Berliner Abgeordnetenhauses war, "das wohl wichtigste kulturpolitische Projekt der letzten 50 und der nächsten 50 Jahre": "Keine andere Nation der Welt ist schließlich in der Lage, den zentralen Platz der Republik neu zu definieren", betont die Christdemokratin. Mit dem Humboldtforum habe sich Deutschland eindeutig kulturpolitisch positioniert.
Medienthemen haben sich daneben zu einem weiteren Schwerpunkt der Arbeit entwickelt. So lotete etwa der Kultur- und Medienausschuss kürzlich in mehreren Expertengesprächen die Qualität im Journalismus und die Situation der internationalen Pressefreiheit aus. Daneben beschäftigen sich die Kulturpolitiker des Bundestages auch intensiv mit der technischen Entwicklung digitaler Medien, wie etwa in der Frage der Digitalisierung von Kulturgut in Bibliotheken, Museen und Archiven.
Um den technischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Aspekten der neuen Medien gerecht zu werden, hat der Ausschuss zudem einen Unterausschuss installiert. In den Unterausschuss Auswärtige Kulturpolitik, der allerdings dem Auswärtigen Ausschuss zugeordnet ist, entsendet der Kulturausschuss zudem die Hälfte der Mitglieder. Ein Zeichen dafür, welche Bedeutung die Kulturnation Deutschland ihrer Darstellung im Ausland beimisst.
Nach Gesetzesnovellen zur Künstlersozialversicherung, zum Urheberrecht und zur Bundesfilmförderung - nur drei wichtige Gesetzesvorhaben der letzten Jahre, über die der Kulturausschuss beraten hat - beschäftigt sich das Gremium momentan in gesetzgeberischer Hinsicht insbesondere mit einer Änderung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes.
Die Bundesregierung will damit die Möglichkeit zur Überprüfung von Angehörigen des öffentlichen Dienstes auf eine frühere Stasi-Mitarbeit bis Ende 2019 verlängern. Auch der zu überprüfende Personenkreis soll mit der Gesetzesnovelle erweitert werden. Ein umstrittenes Vorhaben, wie eine öffentliche Anhörung des Ausschusses am 27. Juni gezeigt hat. Sowohl Abgeordnete als auch Sachverständige waren sich uneins, ob eine pauschale Überprüfung 20 Jahre nach dem Ende der DDR noch notwendig ist.
"Es geht im Kern um die Frage, ob man die Gruppe derer, die man bei Eintritt in den öffentlichen Dienst auf eine mögliche Stasi-Vergangenheit zu überprüfen hat, erweitert - und wenn ja, wie man diese Erweiterung definiert", erklärt Grütters. "Überprüfen wir alle Polizisten oder alle Beamten einer bestimmten Besoldungsgruppe? Und auch Angestellte und Ehrenamtliche? Da ringen wir noch um die Einzelheiten."
Ein eher seltener Fall, in dem die Debatte kontrovers - und auch entlang der Parteilinien - geführt wird. In der Regel sei das im Kulturausschuss anders, unterstreicht die Vorsitzende: "Ideologische Positionen sind bei uns weniger dominant. Es wird weniger polarisiert und polemisiert - so kommen wir eher zu fraktionsübergreifenden Beschlüssen."
Und auch was die Arbeitsweise des Gremiums angeht, gibt es einige Besonderheiten. So ist fast bei jeder Ausschusssitzung, die in Sitzungswochen immer mittwochnachmittags von 15 bis 18 Uhr im Paul-Löbe-Haus des Bundestages stattfinden, Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU) dabei. Für Grütters ein Zeichen des "guten Stils", den Regierung und Parlament miteinander pflegen: "Wir müssen ihn nicht herzitieren, sondern er ist als gelernter Parlamentarier klug genug, von sich aus das Angebot des Dialogs in jeder Sitzung zu machen."
Unter Grütters’ Regie hat der Ausschuss eine Art 'Fragestunde’ eingeführt: "Analog zu den Gepflogenheiten im Plenum haben die Abgeordneten die Möglichkeit, die Regierung in Person von Herrn Neumann auf aktuelle Entwicklungen anzusprechen", erklärt die Vorsitzende. Das sei zwar nicht unumstritten gewesen, habe sich jedoch inzwischen bewährt: "So sind wir als Parlamentarier immer sehr gut informiert."
Ebenfalls unter ihrem Vorsitz hat der Ausschuss die Zusammenarbeit mit den Länderparlamenten ausgebaut: Einmal im Jahr kommen die Kulturpolitiker des Bundestages mit den kulturpolitischen und den medienpolitischen Sprechern aller Landtage zusammen. Erst vor wenigen Wochen habe man mit den "Kollegen aus NRW" zusammen gesessen, erzählt Grütters. "Wir versuchen uns systematisch auf Parlamentarierebene auszutauschen."
Darüber hinaus nutzt der Ausschuss seine Möglichkeiten, externen Rat einzuholen, nicht nur in der Form einer offiziellen Anhörung, sondern mitunter auch als Teil der normalen Sitzung. "Expertengespräche führen wir wirklich sehr häufig - bei Themen wie etwa dem Einheits- und Freiheitsdenkmal tagen wir dann öffentlich."
Dass der Ausschuss den Dialog mit den Fachleuten sucht, hat einen besonderen Grund: "Gerade weil wir uns als Politiker zurücknehmen und die Autonomie der Kunst ernstnehmen - und das ist keine hohle Formel, wir maßen uns ja keine inhaltlichen Einmischungen an - müssen wir uns mit Experten auseinandersetzen."
Einmal pro Jahr geht der Ausschuss zudem auf Delegationsreise: Nach Besuchen in Ungarn und Serbien im vergangenen Jahr werden die Kulturpolitiker im Oktober nach Indien zum Auftakt des "Deutschlandjahres" reisen, das dort anlässlich des 60-jährigen Bestehens der diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und Indien stattfindet.
Vorher allerdings ist die Ausschussvorsitzende noch in einer anderen Mission unterwegs: Im August reist sie in die Türkei, wo in Tarabya die ehemaligen Sommerresidenz des deutschen Botschafters in eine Künstlerakademie umgebaut werden soll. Deutsche Künstler sollen hier ausgestattet mit einem sechsmonatigen Stipendium arbeiten und nebenbei Kontakte zu ihren türkischen Kollegen knüpfen können.
Für Grütters ein äußerst sinnvolles Projekt: "Wir wollen viel mehr als bisher für das deutsch-türkische Verhältnis tun - und mit solchen nicht teuren, aber sehr wirksamen Stipendienprogrammen für Künstler und Intellektuelle haben wir gute Erfahrungen gemacht." (sas)