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Für Eltern stellt sich nicht selten die schwierige Frage, ob sie ihre Kinder auf die Beerdigung nehmen sollen, wenn ein geliebter Mensch gestorben ist. „Ja“, meint Jürgen Kurth von Domino–Zentrum für trauernde Kinder, denn es seien die Erwachsenen, die ein Problem mit dem Thema Tod hätten. In einer öffentlichen Anhörung stellte sich die Kinderkommissiondes Bundestages (Kiko) unter Vorsitz vonNicole Bracht-Bendt (FDP) am Mittwoch, 21. September 2011, die Frage, ob Kinder anders trauern als Erwachsene. Drei Sachverständige erzählten den Fachpolitkern von ihren Erfahrungen in der Trauerarbeit mit Kindern.
„Ich stehe dahinter, dass Kinder zur Beerdigung mitgehen“, bekräftigte Kurth. Doch schränkte der Trauerhelfer ein: „Stirbt ein nahes Familienmitglied wie der Vater oder die Mutter, dann sollten Verwandte dem Kind beistehen, denn eine um ihren Partner trauernde Mutter oder ein trauernder Vater können solch einen Verlust nur schwer allein bewältigen.“ Doch einem Kind die Teilnahme zu verweigern, sei nach seiner Erfahrung viel schlimmer als der vermeintliche Schutz, der bezweckt werden soll.
„Kinder, die wir betreut haben, waren ärgerlich, wenn sie nicht mit durften oder ihnen die wahren Umstände des Todes, zum Beispiel ein Suizid eines Elternteils, verheimlicht wurden“, sagte er. Festzustellen sei jedoch immer wieder, die Unsicherheit bei der Aufarbeitung des Themas Tod komme von den Erwachsenen.
Dr. Miriam Haagen, Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin und Psychotherapie, pflichtete dem bei: „Für Kinder gibt es kein Tabu.“ Die Ärztin sagte, Kinder seien eher neugierig und erwartete Antworten auf ihre Fragen. „Kinder haben bis zum neunten Lebensjahr das Todeskonzept der Erwachsenen nicht verinnerlicht“, erklärte sie. Viel problematischer schätzt sie hingegen das Verhalten des erweiterten Umfeldes ein: „Kinder erzählen oft, dass sie das Gefühl haben, ansteckend zu sein.“ So berichteten viele, dass sich in solchen schweren Zeiten der Freundeskreis nicht selten zurückziehe.
„Das wahrscheinlich darin begründet liegt, dass auch die Freunde oft hilflos sind, Trauer auszudrücken“, glaubt Beate Alefeld-Gerges vom Zentrum für trauernde Kinder. In solchen Fällen würde Unterstützung gebraucht, Trauer durch neue Rituale auszudrücken, weil die althergebrachten Rituale in der heutigen Zeit nicht mehr funktionieren. Schwieriger stelle sich die Verarbeitung des Todes eines geliebten Menschen jedoch für Pubertierende dar. Alefeld-Gerges: „Sie neigen dazu, sich zurückzuziehen.“
Medizinerin Haagen begründete diese häufige Reaktion mit der Schwierigkeit, in dieser Zeit mit Gefühlen umgehen zu können: „So etwas ist zu intim, als es nach außen zuzulassen.“ Die Gefahr, plötzlich anzufangen zu weinen oder wütend zu werden, sei vielen zu groß und würde sie mit Scham erfüllen. Haagen warnte auch davor, in der Gegenwart von Kleinkindern metaphorisch vom Tod zu sprechen. „Kinder denken sehr konkretistisch“, sagte sie.
Wird vom „einschlafen“ oder von „gegangen“ gesprochen, könnte es sein, dass sie nicht mehr wagen einzuschlafen oder hingehen wollen, wo die Mutter oder der Vater angeblich sind. So was lindere traumatische Erfahrungen nicht.
In der Anhörung der Experten stellte sich heraus, dass eine flächendeckende deutschlandweite Versorgung durch Anlaufstellen für die Nachsorge nicht gewährleistet ist. Viele Netzwerke, Vereine, Selbsthilfegruppen und Ärzte würden zwar Angebote machen, doch seien diese nicht koordiniert und verfolgten unterschiedliche Ansprüche. Auch spiele das Thema Trauerbewältigung keine besondere Rolle in der Ausbildung von Erziehern und Pädagogen.
Jürgen Kurth wird nach eigener Darstellung oft von Lehrern und Erziehern angesprochen, die Schwierigkeiten mit der Bearbeitung des Themas hätten. Auf der einen Seite wäre mehr präventive Arbeit in Kindergärten und Schulen erforderlich, auf der anderen Seite gezielte Gründungen von Trauergruppen, in denen Kinder nicht mehr alleine mit ihrer Erfahrung sind. Die Finanzierung solcher Trauergruppen beruhe größtenteils auf Spenden.
Ärztin Haagen forderte: „Die psychologische Nachbetreuung von Kindern muss im Gesundheitssystem berücksichtigt werden, denn auch sie werden belastet, wenn ein Elternteil durch den Verlust des Partners zum Beispiel an Depressionen leidet.“ Weiter müsse in Zukunft Geld in die Erforschung des Themas fließen. Alle nennenswerten Erkenntnisse dazu kämen bisher nur aus dem Ausland.
Damit dem Unbehagen vieler Erwachsener im Umgang mit ihren Kindern mit dem Thema Tod und Trauer begegnet werden könne, forderte Beate Alefeld-Gerges, den Vereinen unter die Arme zu greifen und mehr in die Familienberatung zu investieren. Jürgen Kurth wies auf die Berücksichtigung der Trauerarbeit in der Pädagogikausbildung hin. (eis)