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Den Opfern ein Gesicht geben – das ist das Anliegen des "Gedenkbuchs für die Opfer der Berliner Mauer", das Bundestagsvizepräsident Dr. Wolfgang Thierse (SPD) am Mittwoch, 9. November 2011, im Mauer-Mahnmal im Elisabeth-Lüders-Haus in Berlin vorstellte. "Historische Aufklärung bleibt notwendig", sagte Thierse. Denn Betroffenheit, die bloß ratlos mache, und Wissen, das folgenlos bleibe, seien gesellschaftlich wirkungslos. Das Gedenkbuch wurde vom Kunstbeirat des Deutschen Bundestages in Auftrag gegeben und geht auf das Werk "Die Todesopfer an der Berliner Mauer 1961 bis 1989" zurück, das von der Stiftung Berliner Mauer und dem Zentrum für Zeithistorische Forschung erarbeitet wurde. Es erinnert an die 136 Menschen, die zwischen 1961 und 1989 an der Berliner Mauer umgekommen sind. Dabei handelt es sich um DDR-Flüchtlinge und solche, die ohne Fluchtabsicht im Grenzgebiet ums Leben kamen. Auch acht im Dienst getötete Grenzsoldaten werden genannt.
"Die Grenze zwischen Täter und Opfer wird nicht verwischt", betonte Thierse. Er erinnerte daran, "mit welch widerwärtigem Eifer" die Mauer perfektioniert wurde – mit Betonplattenwand, Metallgitterzaun, Beobachtungstürme, Bunker, Panzersperren, Minen, Selbstschussanlagen.
Der 9. November sei ein "verflucht deutsches Datum", sagte Thierse. 1918 habe Philipp Scheidemann die Deutsche Republik verkündet, 1923 habe Hitler geputscht, 1938 markiere der 9. November die Reichsprogromnacht und im Jahr 1989 sei die Mauer gefallen. Der 9. November zeige, wie gefährdet Demokratie sein kann.
Anschließend erzählten die Mutter von Chris Gueffroy, der 20-jährig im Februar 1989 an der Sektorengrenze zwischen Berlin-Treptow und Berlin-Neukölln erschossen wurde, und die Lehrerin von Jörg Hartmann, der im März 1966 im Alter von zehn Jahren an der gleichen Sektorengrenze erschossen wurde, von den beiden Maueropfern.
Karin Gueffroy und Ursula Mörs berichteten, wie sie von dem jeweiligen Tod erfahren haben, wie das SED-Regime versuchte, die wahre Todesursache zu verschleiern, von der Beerdigung und der Zeit danach. Beide gingen danach in den Westen: Karin Gueffroy mit Erlaubnis der Behörden und der Urne ihres Sohnes als Pfand in Ost-Berlin, Ursula Mörs flüchtete in einem Wohnwagen über Bulgarien. Moderiert wurde das Zeitzeugengespräch von Dr. Maria Nooke von der Stiftung Berliner Mauer. "Es ist eine Tragödie, dass die Mauer so lange stand", sagte Dr. Hans-Hermann Hertle vom Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam. "Sie hat viele Leben zerstört."
Anschließend stellte Siegfried Kauder (CDU/CSU) als Mitglied des Kunstbeirates des Bundestages das "Virtuelle Mauer-Mahnmal" auf der Internetseite des Bundestages vor. "28 Jahre, zwei Monate und 28 Tage trennte die Mauer Berlin", sagte Kauder. Der 9. November sei ein guter Tag, das Projekt vorzustellen.
Das 3D-Modell bietet einen 360-Grad-Blick durch die Ausstellung, die Möglichkeit, an die Exponate heranzuzoomen, und zusätzliche Informationen zum jeweiligen Werk. Das nichtvirtuelle Mahnmal im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus ist dienstags bis sonntags von 11 bis 17 Uhr geöffnet. (tyh)