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„Girokonto für alle?“ In Frageform gekleidet, fordert dies die SPD mit dem Antrag „Recht auf ein Guthabenkonto einführen – Kontopfändungsschutz sichern“ (17/7823), der am Freitag, 2. Dezember 2011, im Plenum des Deutschen Bundestags debattiert wurde. Die Fraktion vertritt die Ansicht, dass die Teilhabe am sozialen und wirtschaftlichen Leben den Zugang zu den wichtigsten Finanzdienstleistungen voraussetzt: „Ohne Girokonto und damit angewiesen auf die Verwendung von Bargeld, können Bürgerinnen und Bürger nur schwer eine Wohnung und einen Arbeitsplatz finden, Steuern zahlen und staatliche Geldleistungen beziehen. Eine breite Teilnahme am bargeldlosen Zahlungsverkehr fördert die Eingliederung einkommensschwächerer Bevölkerungsschichten und den sozialen Zusammenhalt in Deutschland“, heißt es in dem Antrag, den der Bundestag im Anschluss der Debatte zusammen mit einem Antrag von Bündnis 90/Die Grünen, das "Verbraucherrecht auf Basisgirokonto" für jedermann gesetzlich zu verankern (17/7954), zur weiteren Beratung an die Ausschüsse überwies.
„Wir wollen, dass die Menschen in unserem Lande die gleichberechtigte Möglichkeit haben, am Geldverkehr teilzunehmen“, sagte Dr. Carsten Sieling (SPD) und machte die aus seiner Sicht bestehende Notwendigkeit anhand eines aktuellen Beispiels deutlich: „Man muss sich mal vorstellen: Es steht Weihnachten vor der Tür. Wir kaufen Geschenke und zahlen sie mit Kredit- und EC-Karte. Genau das ist einem großen Teil der Bevölkerung nicht möglich. Sie müssen bar zahlen oder überweisen. Wenn das nicht geht, können sie keine Zeitung abonnieren, oftmals keinen Handyvertrag abschließen.“
Weiter führte er aus, dass diese Problematik nicht allein in Deutschland existiere, sondern europaweit verbreitet sei. „Deshalb wäre es gut, wenn wir mit einer schnellen, klaren Regelung vorangehen“, argumentierte Sieling und erklärte die Eckpunkte des Antrags: Jeder solle die Möglichkeit erhalten, ein Girokonto zu bekommen. Die "Preistreiberei" bei Gebühren müsse begrenzt werden, und es müsse eine funktionierende und aktive Schuldnerberatung in den Ländern geben.
Ralph Brinkhaus (CDU/CSU) stimmte Sieling insofern zu, als hier „tatsächlich ein ernstes Thema“ vorliege: „Wenn man in der heutigen Welt nicht bargeldlos zahlen kann, macht es das Leben schwerer und erschwert in manchen Bereichen die Teilhabe“, stellte Brinkmann fest. Wie sein Vorredner betonte er, dass eine sechsstellige Zahl von Bundesbürgern gegen ihren Willen kein Girokonto habe.
Allerdings fragte Brinkhaus, ob ein Gesetz notwendig sei. An Sieling gerichtet fügte er hinzu, seine Fraktion lehne es ab, die Schuldnerberatung in den Ländern zu erweitern. Abschließend hielt er fest, dass die CDU/CSU-Fraktion „insgesamt in vielen Punkten“ mit dem Antrag der SPD übereinstimme, aber erst einmal ein parlamentarisches Verfahren auf den Weg bringen wolle. Im Übrigen seien „die meisten Verbraucher in Deutschland zufrieden“.
Anschließend fragte Caren Lay für die Fraktion Die Linke: „Können Sie sich ein Leben ohne Bankkonto vorstellen?“ In einem erschwerten Zugang zum Girokonto sah sie eine gleich doppelte Benachteiligung von sozial Schwachen. Denn: „Wer knapp bei Kasse ist, wird zusätzlich belastet. Wir als Linke halten das für ungerecht und unzumutbar“, so Lay.
Nicht nur beim Abschluss von Mobilfunk- oder Mietverträgen werde ein Girokonto vorausgesetzt. Bei der Arbeits- und Wohnungssuche entstünden ohne Konto Nachteile und zusätzliche Kosten. An Brinkmann gerichtet, der die Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung infrage gestellt hatte, meinte Lay: „ Ein Gesetz ist nicht ultima ratio, sondern unumgänglich“.
Dr. Daniel Volk von der FDP-Fraktion betonte wie seine Vorredner, dass ein „Girokonto heutzutage im Zahlungsverkehr unerlässlich“ sei. Allerdings brauche man, entgegen den Forderungen der SPD-Fraktion, „keine Schuldnerberatung“. Bei Bedarf, sagte Volk, könnten Bedürftige eine anwaltliche Beratung in Anspruch nehmen.
Was die Notwendigkeit eines Gesetzes angeht, stimmte er seinem Koalitionskollegen Brinkmann zu: „Wir wären gut beraten, wenn wir keine bundeseinheitliche Gesetzgebung machen, sondern die Zuständigkeit den Bundesländern überlassen.“
Für Bündnis 90/Die Grünen sprach Nicole Maisch in dieser Angelegenheit. Sie bezifferte die Zahl derer, die ein Girokonto wollen, aber nicht bekommen, auf etwa 670.000 Menschen in der Bundesrepublik. Als weitere numerische Größe führte Maisch die Zahl „17 Millionen“ an. Soviel nämlich müsse die öffentliche Hand jährlich für Barauszahlungen und Bareinzahlungen übernehmen.
Anhand eines fiktiven Beispiels einer alleinerziehenden Mutter in Berlin zeigte sie alle möglichen Probleme auf: Gebühren für Bareinzahlungen betrügen zwischen fünf und sieben Euro, und eBay und andere Online-Einkaufsmöglichkeiten ließen sich gar nicht nutzen. Die Mutter wäre auf ein Mobiltelefon mit Prepaid-Tarif angewiesen und müsste und somit zu „völlig überhöhten Gesprächskosten“ telefonieren. Und zuletzt, so Maisch: „Überlegen Sie mal: Sie sagen im Vorstellungsgespräch, sie möchten ihr Geld nicht auf ihr Konto, sondern in der guten alten Lohntüte.“