Navigationspfad: Startseite > Dokumente > Web- und Textarchiv > 2011
Mit dem Europaausschuss des Deutschen Bundestages hat sich am Mittwoch, 7. Dezember 2011, erstmals ein Fachausschuss eines nationalen Parlaments aufgemacht, um in den Räumen des Europäischen Parlaments in Brüssel über den künftigen Finanzrahmen der EU von 2014 bis 2020 zu diskutieren. Der Ausschussvorsitzende Gunther Krichbaum (CDU/CSU) sprach von einer regulären Sitzung, mit der man den Brückenschlag nach Brüssel untermauern wolle. Die Mitglieder der EU-Volksvertretung lobten den Schritt als Modell für die Parlamente in allen EU-Mitgliedstaaten.
Bevor die Abgeordneten beider Parlamente in die inhaltliche Diskussion gingen, legte der stellvertretende Vorsitzende des Haushaltsauschusses des Europaparlaments, Ivailo Kalfin, die Position der Brüsseler Abgeordneten dar. Der bulgarische Sozialdemokrat betonte, die Höhe des EU-Haushalts habe jahrelang bei einem Prozent der EU-Wirtschaftsleistung gelegen.
Wenn sich die EU-Kommission mit ihren im Juni vorgelegten Vorschlägen zum mehrjährigen Finanzrahmen durchsetze, dann sinke das Unionsbudget auf unter ein Prozent der EU-Wirtschaftsleistung. Wenn man allerdings die in der Wachstumsstrategie 2020 gesteckten Ziele erreichen wolle, müssten die Mittel aufgestockt werden. „Wir brauchen dann einen Anstieg von fünf Prozent“, sagte Kalfin.
Sein Kollege im Europaparlament Reimer Böge (CDU) machte deutlich: „Wenn die EU-Staaten das Mehr von fünf Prozent nicht wollen, dann müssen sie sagen, welche der von ihnen gewünschten und vertraglich verankerten Ziele gestrichen werden sollen.“
Der Berichterstatter für den Finanzrahmen forderte parallele Verhandlungen sowohl auf Ebene der Parlamente als auch der Mitgliedstaaten. Man müsse versuchen, im zweiten Halbjahr 2012 zu einer Lösung zu kommen. Gleichzeitig betonte er, dass man nicht ins Leere falle, sollten die Verhandlungen scheitern: „Dann gelten die Vorgaben des Haushalts 2013 weiter.“
Europaabgeordnete der FDP plädierten für Umschichtungen innerhalb des Budgets. In Zeiten der Schuldenkrise müsse der Sparkurs auch für die EU gelten. Gleichzeitig wiesen sie darauf hin, dass viele EU-Mittel nicht abgerufen würden. Angesichts des Schuldenbergs, so warnten wiederum Abgeordnete der Grünen, würde es für die südlichen EU-Staaten künftig schwieriger, die für Infrastrukturprojekte notwendige Kofinanzierung aufzubringen. Viele verkehrspolitischen Projekte seien zu ambitioniert.
Im Zentrum der Debatte standen zudem die Eigenmittel der EU. Sie finanziert einen Teil ihres Budgets aus Zöllen, den Steuern, die auf die Gehälter der EU-Bediensteten erhoben werden, Beiträge von Drittländern zu bestimmten EU-Programmen und Bußgelder von Unternehmen, die gegen das Wettbewerbsrecht oder andere Rechtsvorschriften verstoßen. Geht es nach der Kommission, so sollen diese Eigenmittel nun ausgebaut werden: Zum einen durch einen Teiltransfer einer noch zu beschließenden Finanztransaktionssteuer, zum andern durch die Überweisung eines Anteils der in den EU-Staaten erhobenen Mehrwertsteuer.
Der Vorsitzende des Haushaltsausschusses im Europaparlament, Alain Lamassoure, erinnerte in der Diskussion daran, dass bereits die Römischen Verträge 1957 festlegten, Ausgaben der Gemeinschaft seien durch die Gemeinschaft zu finanzieren. Vor der Aufnahme der Mittelmeerländer sei man von diesem Prinzip abgewichen und habe 1984 beschlossen, den anwachsenden Bedarf durch die Zuflüsse aus den nationalen Haushalten zu decken. „Wir haben das System geändert, ohne jemals darüber zu diskutieren“, meinte der französische Konservative. Heute würden 85 Prozent der EU-Budgets von den Mitgliedstaaten finanziert.
„Unser Ziel muss eine gänzliche Rückführung der nationalen Mittel sein“, sagte Lamassoure. Wer verantwortlich sei für die Ausgaben, so warben auch die Europaabgeordnete aller Fraktionen, müsse auch verantwortlich sein für die Einnahmen.
In diesem Punkt hatte der Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union im Deutschen Bundestag im Vorfeld einen anderen Standpunkt bezogen: Am 30. November hatte sich eine Mehrheit der Abgeordneten gegen die Einführung einer europäischen Steuer ausgesprochen.
Ein entsprechender Koalitionsantrag zum mehrjährigen Finanzrahmen der EU von 2014 bis 2020 (17/7767) fand im Ausschuss eine Mehrheit, der Antrag der SPD-Fraktion (17/7808) wurde abgelehnt.
Union und FDP machen sich für eine Begrenzung des EU-Haushaltes auf ein Prozent des Bruttonationaleinkommens der EU stark. Gerade vor dem Hintergrund der aktuellen „noch nie dagewesenen Staatsschuldenkrise“ sei es nötig, dass die EU die richtigen Prioritäten setze und die Wettbewerbsfähigkeit der Mitgliedsländer stärke, betonte die Unionsfraktion in der Sitzung der vergangenen Woche.
Der Schwerpunkt müsse auf Investitionen liegen. Eine eigene EU-Steuer im Haushaltsplan, zum Beispiel eine Finanzmarkttransaktionssteuer, sei aber nicht das richtige Mittel, um den Handlungsspielraum der EU zu erweitern. Dies würde nach Ansicht der Berliner Koalitionsfraktionen die Akzeptanz der Bürger für die EU schwächen.
Auch die SPD-Fraktion hatte in der Sitzung vom 30. November „erhebliche Zweifel“ an einer originären EU-Steuer. Wichtig sei es vielmehr, Verbesserungen der Infrastruktur in den schwächeren Mitgliedsländern zu erreichen. „Das kriegen sie nur, wenn sie die Subventionen für die Landwirtschaft nachhaltig kürzen“, hieß es aus der SPD-Fraktion.
Sie kritisierte, dass über 40 Prozent der EU-Mittel in die Landwirtschaft fließen und verlangte unter anderem eine Konzentration auf die Bereiche Bildung und Forschung. Die FDP betonte dagegen, dass der Antrag sehr wohl eine Absenkung der Mittel für die Landwirtschaft fordere. So würden Kapazitäten für den Investitionsbedarf an der Peripherie frei.
Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen störten sich an der Ein-Prozent-Deckelung des EU-Haushalts. Dies sei nicht mit dem Solidargedanken vereinbar, stellte Die Linke fest. Kürzungen am Agrarhaushalt lehnte sie ab. Stattdessen sei es wichtig, die regionalen Kreisläufe im Blick zu haben, aber das sei mit Sparen nicht zu machen, so die Fraktion.
Die Grünen nannten die Deckelung „politisch falsch“, da sie letztlich auf eine drastische Kürzung der Mittel hinauslaufe. Als einzige Fraktion sprachen sie sich für eine eigene EU-Steuer aus, da eigene Einnahmen der EU durchaus ein Weg sein können, die künftigen Herausforderungen zu meistern. Außerdem könnten so die nationalen Beiträge abgesenkt werden. (see/che)