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Es gibt ein grundlegendes Prinzip, das die Menschenrechtspolitiker im Bundestag bei ihrer Arbeit leitet: „Sie müssen immer auf der Seite der Schwächsten stehen", betont Tom Koenigs (Bündnis 90/Die Grünen), Vorsitzender des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe. Die Menschenrechte seien gerade heute, obwohl von den meisten Staaten der Welt anerkannt, vielfach und häufig bedroht, so der 67-jährige Abgeordnete. „Die Menschenrechtspolitik hat das Problem, dass die Menschenechte zwar immer sehr prominent in der Verbalisierung sind, doch ihre Umsetzung schwer fällt. Diese Spannung, zwischen den großen Worten und der Realität, ist oft Thema im Ausschuss."
Ob der Umgang mit Flüchtlingen in Deutschland und an Europas Grenzen, die Situation von ethnischen, religiösen oder sexuellen Minderheiten im In- und Ausland, der Kampf gegen Folter und Todesstrafe oder die Weiterentwicklung der nationalen, europäischen und internationalen Instrumente des Menschenrechtsschutzes – das Spektrum der Themen, mit denen sich der Ausschuss befasst, ist breit.
Seit 1998 betont der Bundestag mit der Einrichtung eines eigenen ständigen Ausschusses, wie wichtig ihm das Thema Menschenrechte ist. In der laufenden 17. Legislaturperiode gehören dem Gremium 18 Mitglieder an. Sieben Abgeordnete stellt die Unionsfraktion, vier die SPD, drei die FDP. Zwei Parlamentarier gehören Bündnis 90/Die Grünen und zwei der Linksfraktion an. Stellvertretender Vorsitzender ist derzeit der CDU-Abgeordnete Michael Brand.
Zwei zentrale Aufgaben kennzeichnen die Arbeit der Abgeordneten: Zum einen lassen sie sich darüber berichten, wie die Bundesregierung Menschenrechtsprobleme im Inland behandelt und auf Menschenrechtsverletzungen im Ausland reagiert; zum anderen werden im Ausschuss alle parlamentarischen Initiativen beraten, die einen menschenrechtlichen Bezug aufweisen.
Die Ausschussmitglieder geben dazu Beschlussempfehlungen für die Abstimmungen im Plenum ab. Auch die humanitären Folgen von Naturkatastrophen und Kriegen stehen regelmäßig auf der Agenda des Ausschusses, um den sinnvollen Einsatz und die Effizienz von Hilfsmaßnahmen beurteilen zu können.
Die Zusammenarbeit zwischen Bundesregierung und Parlamentariern ist eng: Zu jeder Sitzung werden Vertreter der Ministerien eingeladen, um über den Ausschuss über aktuelle Themen zu unterrichten oder Fragen der Mitglieder zu beantworten. Mitunter sind auch die zuständigen Minister anwesend – „aber eher, wenn es eine kritische Debatte ist", fügt Koenigs hinzu. Auch Markus Löning, der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, nimmt oft an den Sitzungen teil.
Regelmäßig bittet der Ausschuss die Regierung zudem um schriftliche Berichte und Informationen – etwa, wenn dem Ausschuss Fälle von Menschrechtsverletzungen zugetragen werden: „Oft wenden sich Bürger oder Vereinigungen an uns und weisen auf Probleme hin, mit dem Wunsch, dass wir uns kümmern. Ganz viel des Schriftverkehrs des Ausschusses beruht auf solchen Anfragen."
Unter der Leitung Koenigs strebt das Gremium danach, Menschenrechtsthemen nicht nur mitzuberaten, sondern auch federführend in die Hand zu nehmen. So setzen sich die Menschrechtspolitiker zu Beginn jeder Legislaturperiode Schwerpunktthemen, denen sie sich abseits der Tagespolitik besonders widmen wollen. In den vergangenen Monaten beschäftigte sich der Ausschuss beispielsweise mit dem Thema Religionsfreiheit und ihrer Bedeutung für die europäische Identität, dem Internationalen Strafgerichtshof sowie der Verantwortung von Unternehmen für den Menschenrechtsschutz.
„Zu der Auseinandersetzung mit solchen Schwerpunkten gehört, dass wir eine Anhörung von Experten veranstalten", erläutert Koenigs. Diesem Ziel dienen auch die Delegationsreisen, die der Ausschuss ein- bis zweimal jährlich unternimmt. 2010 waren die Menschrechtspolitiker zum Thema „Religionsfreiheit und europäische Identität" in Frankreich und den Niederlanden unterwegs, um zu sehen, wie dort das Menschenrecht auf Religions- und Glaubensfreiheit regional und kommunal umgesetzt wird. Vom 28. Februar bis zum 3. März dieses Jahres besuchte eine Delegation darüber hinaus den Menschenrechtsrat in Genf.
Dem Thema Menschenhandel, ebenfalls ein Thema, das sich die Parlamentarier selbst gesetzt haben, widmete sich der Ausschuss Ende November mit einer Anhörung. Das Ziel: sich zusammen mit den Sachverständigen von Menschenrechtsorganisationen, Beratungsstellen und Polizei einen Überblick zu verschaffen über die gegenwärtige Entwicklung und Gesetzeslage, Möglichkeiten des Opferschutzes sowie mögliche Maßnahmen der Bekämpfung des Menschenhandel.
Solche Expertenanhörungen sind für die Parlamentarier zur Gewinnung von Informationen und Meinungsbildung sehr wertvoll. „Durch die Stellungnahmen und die Verhandlung im Ausschuss entsteht ein umfassendes Bild, das uns das Weiterarbeiten ermöglicht", erklärt der Ausschussvorsitzende.
Darüber hinaus empfängt der Ausschuss sehr häufig Gäste – viele davon aus dem Ausland, zum Beispiel Vertreter von Nichtregierungsorganisationen oder Diplomaten. Ein weit verzweigtes Netz von Kontakten ist für die Arbeit der Politiker äußerst hilfreich. Koenigs, der bevor er 2009 in den Bundestag einzog, sechs Jahre für die UN im Kosovo, in Guatemala und in Afghanistan tätig war, kann Kontakte aus dieser Zeit auch für den Ausschuss zu nutzen: „Es hilft, dass ich in manchen Bereichen viele Leute kenne – und auch die Leute hin und wieder mich noch kennen."
Als etwa im Ausschuss über das Prinzip der „Responsibility to protect" (R2P), also die Schutzverantwortung der Staatengemeinschaft, diskutiert wurde, habe er so Professor Edward C. Luck, Sonderberater des UN-Generalsekretärs Ban Ki-moon für R2P, für einen Besuch im Ausschuss gewinnen können.
Oft geht aber eine Anhörung über den bloßen Zweck der Informationsgewinnung hinaus und wird zum wichtigen Signal: „Gerade wenn es Opfer von Menschenrechtsverletzungen, Betroffene oder Menschenrechtsaktivisten sind, die wir anhören, dann stärken wir sie auch – dadurch, dass sie ihr Anliegen bei der Bundesrepublik Deutschland vortragen und Gehör finden", sagt Koenigs. Das sei unter Umständen sehr wichtig.
„Das Anhören ist für die Ausschüsse und die Parlamentarier ein wichtiger Punkt. Wir heißen zwar Parlament, aber wir hören auch zu", betont er. Insbesondere, wenn es um die Menschenwürde gehe, gewinne die Arbeit des Menschenrechtsausschusses einen Teil ihrer Wirksamkeit durch das „Hören von Menschenrechtsverletzungen".
Doch die Ausschussmitglieder ergreifen auch Initiative – etwa mit dem Programm „Parlamentarier schützen Parlamentarier", das der Bundestag 2003 gestartet hat, um sich für bedrohte Politiker einzusetzen. „Es ist wohl das einzige Programm, in dem das Parlament selbst zum Menschenrechtsaktivisten wird", erklärt Koenigs. Und das einzige seiner Art in Europa noch dazu.
Herzstück des Programms sind die Patenschaften, die viele der Ausschussmitglieder für einen verfolgten oder inhaftierten Oppositionspolitiker übernommen haben. Als Pate setzen sie sich persönlich für ihn ein – etwa indem sie auf das Schicksal öffentlich hinweisen. Im März 2011 kam so etwa der syrische Oppositionspolitiker Riad Seif nach drei Jahren Haft wieder frei.
Beigetragen hat dazu sicher auch das Engagement der Abgeordneten Angelika Graf (SPD), die immer wieder zum Beispiel beim syrischen Botschafter in Deutschland mit Nachdruck seine Freilassung forderte. „Die Menschenrechtsarbeit ist an den erstaunlichsten Punkten wirkungsvoll", sagt Koenigs.
„Manchmal hilft es bereits, wenn man im Ausland die Stimme erhebt und die parlamentarischen Institutionen in dem Land, in dem ein Parlamentarier verfolgt wird, darauf hinweist, dass das ein Bruch der gemeinsamen Vorstellungen von Demokratie ist." (sas)