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Vor dem Gorleben-Unter- suchungsausschuss unter Vorsitz von Dr. Maria Flachsbarth (CDU/CSU) hat am Donnerstag, 15. Dezember 2011, der ehemalige Pastor der Gemeinde Gartow, Gottfried Mahlke, über die Stimmungslage in der Gorlebener Bevölkerung Ende der siebziger Jahre berichtet. "Die erste Reaktion war: Überall kann das hin, aber nicht hier." Später habe sich dann Angst vor Atomkraft mit der Furcht vor Demonstrationen vermischt.
Im Februar 1977 war Gorleben erstmals öffentlich als möglicher Standort eines Nationalen Entsorgungszentrums (NEZ) samt Wiederaufarbeitungsanlage und Endlager für Atommüll genannt worden. Mahlke sagte, die bald darauf erfolgten Kaufangebote hätten die Grundstücksbesitzer in Gorleben aus heiterem Himmel getroffen. "Die Landesregierung hatte doch noch von einer Vorläufigkeit gesprochen."
Der evangelischen Kirchengemeinde gehört ein Teil jenes Gebiets über dem Salzstock, der für eine Eignung erkundet werden soll. So wurden die Gemeinde und zahlreiche weitere Eigentümer konsultiert. "Es gab ein Kaufangebot von 4,10 Mark pro Quadratmeter", sagte Mahlke. "Der Verkehrswert wurde von den Anbietern mit 41 Pfennig beziffert."
Der Pastor kritisierte, dass für eine Verkaufsentscheidung den Besitzern eine Frist von 40 Tagen eingeräumt wurde. "Einige Bauern lebten am Existenzminimum, zwei Jahre zuvor war der Waldboden abgebrannt. Es herrschte Angst, dass bei einer Verweigerung sofort für einen Appel und Ei enteignet wird." So hätten dann 60 Eigentümer dem Kaufangebot zugestimmt. "Ist die Fristsetzung ein Element zur Durchsetzung eines Großprojekts oder zur Verschleierung dessen? Das müssen sich die Politiker fragen." Die Kirchengemeinde weigert sich bis heute, ihren Grund der Erkundung zur Verfügung zu stellen.
Ferner berichtete Mahlke von einem Brief des damaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten Ernst Albrecht (CDU) an den Bürgermeister Gartows vom 21. Mai 1981. "Darin bestätigte Albrecht, dass die Landesregierung einem Antrag auf eine Wiederaufarbeitungsanlage keinesfalls zustimmen werde", zitierte der 64-Jährige.
Vorher hatte Albrecht von den Plänen eines NEZ Abstand genommen, weil dies politisch nicht durchsetzungsfähig sei. Er verfocht seitdem die Fortführung des Projekts als Endlager. "Am 1. November 1982 nannte Albrecht aber einen anderen Ort im Landkreis als möglichen Standort einer Wiederaufarbeitungsanlage." Dies hätten er und die anderen Pastoren der Region als unverantwortlichen Umgang mit derWahrheit kritisiert.
Abgeordnete hielten Mahlke eine Antwort der evangelisch-lutherischen Kirche auf ein Schreiben der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) aus dem Jahr 1987 vor, wonach ein Verkaufspreis von zwei Mark pro Quadratmeter gefordert werde.
"Für uns als Kirchengemeinde vor Ort spielte die Preisfrage keine Rolle", erwiderte Mahlke. "1987 war eine Positionierung der Landeskirche in Hannover noch unklar. Erst Anfang der neunziger Jahre änderte sich das."
Der Untersuchungsausschuss geht der Frage nach, ob es bei der Entscheidung der Bundesregierung im Jahr 1983, sich bei der Suche nach einem Endlager für radioaktive Abfälle auf Gorleben als möglichen Standort zu beschränken, zu Manipulationen oder politischen Einflussnahmen auf Wissenschaftler gekommen ist.
Der Deutsche Bundestag hatte auf Antrag der Abgeordneten der SPD, der Linken und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen am 26. März 2010 den 1. Untersuchungsausschuss zu Gorleben eingesetzt.
Zum zweiten Mal sagte am 15. Dezember Prof. Dr. Helmut Röthemeyer vor dem Ausschuss aus. Der ehemalige Abteilungsleiter der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) berichtete den Abgeordneten seine Einschätzungen einer Endlagersuche. „Man kann keinen sichersten Standort finden“, sagte der 73-Jährige. „Nur einen geeigneten kann man finden, vielleicht den am meisten geeigneten unter anderen.“
Zur Erkundung des Salzstocks Gorleben forderte Röthemeyer, das gesamte Areal des Stocks solle erkundet werden. „Je größer die Fläche für die Erkundung, desto geringer der Eingriff in den Boden.“ Der Wissenschaftler war einer der Autoren des PTB-Zwischenberichts, auf Grund dessen die Bundesregierung 1983 entschied, sich bei der Suche nach einem Endlager für Atommüll auf den Standort Gorleben zu beschränken.
Die Entscheidung der Behörden, sich bei der untertägigen Erkundung wegen fehlender Salzrechte vorerst auf die Nordostpassage zu beschränken, hatte Röthemeyer mit Bedenken quittiert. „Umfahrungen sind nicht nur eine Frage der Optimierung, sondern der Sicherheit.“ Zu den in der Nordpassage ausgemachten Schichten von Anhydrit sagte Röthemeyer: „Es sollte möglichst keine Experimente mit Anhydrit geben.“
Im Bergbau können aufquellende Anhydritschichten die Stollen verengen und die anliegenden Gesteinsschichten sprengen. „Sie können Wegsamkeiten schaffen und auch zu späterem Zeitpunkt zu Gefährdungen führen“, sagte Röthemeyer. „Ohne die Erkundung der Südwestpassage kann keine belastende Aussage gemacht werden.“
Auf die Frage, wie auf Behördenseite mit seinen geäußerten Bedenken umgegangen sei, antwortete Röthemeyer: „Mit mir wurde nicht diskutiert.“ Er habe einen Vermerk an die Amtsleitung geschickt, „von daher kann ich nichts dazu sagen“.
Auf Vorhalt einer Äußerung Henning Rösels vor dem Ausschuss, wonach der ehemalige Vizepräsident des Bundesamts für Strahlenschutz sagte, aus einem Diskussionsprozess auch mit widerstreitenden Positionen sei die Meinung für eine Erkundung der Nordostpassage entstanden, erwiderte Röthemeyer: „Das muss kein Widerspruch sein, weil ich es für verkraftbar halte, den Salzstock so lange zu erkunden, bis die bisherigen Probleme für die weitere Erkundung ausgeräumt sind.“
Der ehemalige PTB-Abteilungsleiter sagte, der Bund sei zuständig für die Lagerung. Gorleben sei der PTB vorgegeben worden. „Unter diesen Rahmenbedingungen ist es Aufgabe des Gesetzgebers, für umfassende Bedingungen zu sorgen.“ (jr)