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Der Atomausstieg, die Aussetzung der Wehrpflicht, die eingeschränkte Zulassung der Präimplantationsdiagnostik - der Deutsche Bundestag hat im Jahr 2011 eine Reihe bedeutender Gesetze verabschiedet. Weitere wichtige Beschlüsse betrafen die Reform der Hartz-IV-Regelsätze, eine Verbesserung des Kinderschutzes, Privilegien für Kinderlärm, die Änderung des Bundeswahlgesetzes, die Einführung der Familienpflegezeit und eine bessere ärztliche Versorgung auf dem Land. Darüber hinaus hat das Parlament Finanzhilfen an Portugal gesetzlich geregelt sowie eine Ausweitung des Euro-Rettungsschirms beschlossen und Bundeswehrmandate im Ausland verlängert.
Besonders kontrovers wurden die neuen Regelsätze für Hartz IV diskutiert. Im vergangenen Jahr war das Gesetz im Bundesrat gescheitert. Nach einem zweiten Vermittlungsverfahren im Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat haben sich Bund und Länder auf eine Reform der Hartz-IV-Regelsätze geeinigt. Am 25. Februar hat der Bundestag die Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses (17/4830) zu Änderungen der Hartz-IV-Reform angenommen.
Das Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch sieht unter anderem die rückwirkende Anhebung des Regelsatzes zum 1. Januar 2011 um fünf Euro, ab 2012 um weitere drei Euro und die weitere Aufstockung des Bildungspaket für bedürftige Kinder vor.
Grünes Licht gegeben hat der Bundestag am 17. März für eine Änderung des Lissabon-Vertrags, die nötig wird, damit der geplante Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) eingesetzt werden kann (17/4880). Dieser unbefristete Rettungsschirm soll den Euro-Rettungsschirm (EFSF) Mitte 2012 vollständig ablösen. Deutschland zahlt über fünf Jahre verteilt knapp 22 Milliarden Euro in den ESM ein und stellt Garantien in Höhe von 168,3 Milliarden Euro bereit.
Im Mai hat der Gesetzgeber die Bundesregierung ermächtigt, dem Vorschlag der EU-Kommission für Finanzhilfen an Portugal in Höhe von insgesamt 78 Milliarden Euro zuzustimmen (17/5797).
Um die Stabilität des Euro-Währungsgebietes besser schützen zu können, hat die EU die Instrumente der EFSF im Juli 2011 erweitert. Im September erteilte das Parlament dazu seine Zustimmung (17/7067, 17/7130).
Gleichzeitig beschlossen die Abgeordneten, dass die Bundesregierung in EFSF-Angelegenheiten, die die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages berühren, vor ihrer Zustimmung oder Enthaltung die Zustimmung des Bundestages benötigt. In EFSF-Angelegenheiten, in denen eine Entscheidung des Bundestages nicht vorgesehen ist, wird der Haushaltsausschuss beteiligt. Dieser hat das Recht zur Stellungnahme und überwacht den Vollzug der Vereinbarungen über Notmaßnahmen. Zustimmen muss der Haushaltsausschuss zum einen, wenn die Regierung die Leitlinien des Direktoriums der EFSF annehmen oder ändern will.
Deutschland beteiligt sich mit einem höheren Bürgschaftsanteil von 211,0459 Milliarden Euro statt mit bisher 123 Milliarden Euro am Euro-Rettungsschirm.
Der Bundestag hat am 24. März die Aussetzung der allgemeinen Wehrpflicht beschlossen (17/5239, 17/5245). Seit dem 1. Juli müssen prinzipiell wehrpflichtige Männer ihren Dienst nicht mehr antreten. Diese Regelung gilt in Friedenszeiten. Da die Wehrpflicht laut Artikel 12a des Grundgesetzes weiterhin besteht, kann sie im Spannungs- und Verteidigungsfall wieder aktiviert werden.
Mit der Aussetzung der Wehrpflicht entfällt der zivile Wehrersatzdienst. Als Ausgleich hat der Bundestag die Einführung eines Bundesfreiwilligendienstes beschlossen (17/4803).
Bis zu 35.000 Männer und Frauen aller Altersgruppen sollen einen gemeinwohlorientierten Dienst im sozialen, ökologischen und kulturellen Sektor oder im Bereich der Integration und des Zivil- und Katastrophenschutzes leisten können.
Kinderlärm, der von Kindertageseinrichtungen, Spielplätzen und ähnlichen Einrichtungen hervorgerufen wird, gilt im Regelfall nicht mehr als schädliche Umwelteinwirkung. Das haben die Parlamentarier am 26. Mai einstimmig beschlossen (17/5709, 17/4836).
Am 30. Juni hat der Bundestag den Ausstieg aus der Kernenergie und die so genannte Energiewende beschlossen. Die Nutzung der Kernenergie zur gewerblichen Erzeugung von Elektrizität soll zeitlich gestaffelt bis Ende 2022 beendet werden (17/6070, 17/6361).
Der Anteil der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien soll kontinuierlich erhöht werden und bis 2020 auf mindestens 35 Prozent, bis 2030 auf mindestens 50 Prozent, bis 2040 auf mindestens 65 Prozent und bis 2050 auf mindestens 80 Prozent steigen (17/6071, 17/6363).
Erst im Oktober 2010 hatte die Regierungskoalition eine Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke um durchschnittlich 12 Jahre beschlossen. Zu einem Umdenken hatte die Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima geführt.
Die Präimplantationsdiagnostik (PID) ist eingeschränkt erlaubt. Für einen entsprechenden Gesetzentwurf (17/5451) hatte am 7. Juli die Mehrheit der Parlamentarier votiert. Dem Plenum hatten drei Gesetzentwürfe fraktionsübergreifender Parlamentariergruppen vorgelegen. Die PID soll an zugelassenen Zentren solchen Paaren ermöglicht werden, die die Veranlagung für eine schwerwiegende Erbkrankheit in sich tragen oder bei denen mit einer Tot- oder Fehlgeburt zu rechnen ist.
Das Ziel, die Kohlendioxidemissionen in Deutschland bis zum Jahr 2050 um 80 bis 95 Prozent gegenüber 1990 zu senken, soll nach dem Willen der Regierungskoalition unter anderem durch die unterirdische Speicherung des Treibhausgases erreicht werden. Um für die Erprobung entsprechender Technologien einen Rechtsrahmen zu schaffen, hat die Koalition am 7. Juli einen Gesetzentwurf zur Demonstration und Anwendung von Technologien zur Abscheidung, zum Transport und zur dauerhaften Speicherung von Kohlendioxid (17/5750, 17/6264) verabschiedet. Das Gesetz scheiterte bisher an der fehlenden Zustimmung im Bundesrat.
43 Einsprüche gegen die Gültigkeit der Wahl zum 17. Deutschen Bundestag am 27. September 2009 haben die Abgeordneten am 7. Juli zurückgewiesen. Insgesamt waren 163 Wahleinsprüche eingegangen. 120 Wahlprüfungsverfahren hatte der Deutsche Bundestag bereits abgeschlossen
Die Abgeordnetenentschädigung steigt zum 1. Januar 2012 um 292 Euro auf 7.960 Euro und zum 1. Januar 2013 ebenfalls um 292 Euro auf 8.252 Euro. Entsprechende Änderung des Parteiengesetzes und des Abgeordnetengesetzes (17/6291) hat das Parlament am 7. Juli angenommen. Zugleich wird die absolute Obergrenze für das Gesamtvolumen staatlicher Mittel, das allen Parteien höchstens ausgezahlt wird, von 133 Millionen Euro für 2011 auf 141,9 Millionen Euro und für das Jahr 2012 auf 150,8 Millionen Euro angehoben.
Aufgrund einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts am 3. Juli 2008 waren die Abgeordneten aufgefordert, bis zum 30. Juni 2011 ein verfassungskonformes Bundeswahlgesetz zu schaffen.
Am 29. September hat das Plenum den Gesetzentwurf von CDU/CSU und FDP zur Änderung des Bundeswahlgesetzes (17/6290, 17/7069) angenommen. Die Möglichkeit der Listenverbindung wird abgeschafft. Das Verfahren für die Verteilung der nach Landeslisten zu besetzenden Sitze bleibt zweistufig: Im ersten Schritt wird die Zahl der Sitze ermittelt, die von der Gesamtzahl der Sitze im Bundestag auf jedes Land entfällt. Im zweiten Schritt werden die auf ein Land entfallenden Sitze auf die dort zu berücksichtigenden Landeslisten verteilt.
Der Bundestag hat am 30. September die Novellierung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes (17/5894, 17/7170) beschlossen. Das Gesetz wird bis zum 31. Dezember 2019 verlängert, das Recht auf Akteneinsicht erweitert. Die Möglichkeiten für eine Überprüfung von Beschäftigten im öffentlichen Dienst werden ausgeweitet. Zudem wurde ein Beschäftigungsverbot für ehemalige Stasi-Mitarbeiter in der Stasi-Unterlagen-Behörde beschlossen.
Um Berufstätigen die Pflege von nahen Angehörigen zu erleichtern und neben der häuslichen Pflege mit reduzierter Stundenzahl weiterzuarbeiten, haben die Abgeordneten am 20. Oktober die Familienpflegezeit beschlossen (17/6000, 17/7387). Als Familienpflegezeit gilt die "förderfähige Verringerung der Arbeitszeit von Beschäftigten, die einen pflegebedürftigen nahen Angehörigen in häuslicher Umgebung pflegen, für die Dauer von längstens 24 Monaten bei gleichzeitiger Aufstockung des Arbeitsentgelts durch den Arbeitgeber".
Das Parlament hat am 27. Oktober für die Verlängerung der so genannten Antiterrorgesetze gestimmt (17/7523). Das 2007 beschlossene Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz wird damit um vier Jahre verlängert. Die Befugnisse waren bislang bis zum 10. Januar 2012 befristet.
Am 25. November verabschiedete der Bundestag das Haushaltsgesetz 2012 (17/6600, 17/6602). Der Etat umfasst Ausgaben von 306,2 Milliarden Euro und eine Nettokreditaufnahme von 26,1 Milliarden Euro.
Bürger sollen künftig schneller durch die Behörden informiert und Auskünfte in Zukunft unbürokratischer erteilt werden. Das hat der Bundestag am 2. Dezember mit der die Neuregelung des Verbraucherinfomationsgesetzes beschlossen (17/7993, 17/7374).
Mit den Stimmen aller Fraktionen hat der Bundestag am 1. Dezember die Einrichtung eines Hilfetelefons für Frauen beschlossen (17/8008, 17/8005).
Das Gesetz enthält finanzielle Anreize für Mediziner, sich in unterversorgten Gebieten neu niederzulassen oder Praxen zu übernehmen. Schrittweise soll eine "ambulante spezialfachärztliche Versorgung" aufgebaut werden. Abgebaut werden soll die ärztliche Überversorgung in einigen Großstädten.
Eingeführt wird eine bundesweit einheitliche Notdienstrufnummer. Wer außerhalb der Sprechzeiten dringend einen Arzt braucht, kann künftig die Nummer 116 117 wählen. Auf Antrag der Versicherten können die gesetzlichen Krankenkassen ihre Patienten über in Anspruch genommenen Leistungen und deren Kosten informieren.
Zur Stärkung eines aktiven Schutzes von Kindern und Jugendlichen hat der Bundestag am 15. Dezember das Bundeskinderschutzgesetz in der Version des Vermittlungsausschusses von Bundestag und Bundesrat (17/8130) zum Bundeskinderschutzgesetz (17/6256) beschlossen.
Künftig soll es bundeseinheitliche Regelungen zur Befugnis von "kinder- und jugendnahen Berufsgeheimnisträgern" geben, damit diese ihre Informationen an das Jugendamt weitergeben können. Das Gesetz sieht unter anderem Mindeststandards des Kinderschutzes, eine bessere Zusammenarbeit der Jugendämter und die Unterstützung junger Familien in schwierigen Lebenslagen vor.
Mit dem Ziel die Mediation und andere Verfahren der außergerichtlichen Konfliktbeilegung zu fördern, indem unter anderem die Vertraulichkeit des Mediationsverfahrens durch eine Verschwiegenheitspflicht von Mediatorinnen und Mediatoren geschützt und die Vollstreckbarkeit von Vereinbarungen, die in Mediationen getroffen wurden, erleichtert wird, hat der Bundestag am 15. Dezember einstimmig einen Gesetzentwurf zur Förderung der Mediation und anderer Verfahren der außergerichtlichen Konfliktbeilegung (17/8058) verabschiedet.
Der Bundestag hat 2011 die Mandate der Bundeswehr in Afghanistan (Isaf) (17/4402), im Kosovo (KFOR) (17/5706), im Libanon (Unifil) (17/5864), in Bosnien und Herzegowina (Althea) (17/7577), vor der Küste Somalias (Atalanta) (17/7742), im Mittelmeerraum (Active Endeavour) (17/7743), in Darfur (Unamid) (17/6509) und im Südsudan (Unmiss) (17/6987) verlängert. (klz)