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Eine Erzählung über den Grünen-Abgeordneten Wolfgang Wieland sollte vielleicht nicht mit seinem Ausstieg beginnen. Sondern mit seinem Einstieg. Denn der kam so spät, dass nicht wenige Weggefährten bereits häufig den Kopf geschüttelt hatten. Entweder sagten sie dann: "Der fühlt sich in der Landespolitik wohl" oder "Ich verstehe es auch nicht".
Weit länger als andere Altvordere der Berliner Grünen – Renate Künast zum Beispiel, oder Hans Christian Ströbele – blieb der Mitbegründer der Alternativen Liste Berlin 1978 der Landespolitik verhaftet. Seit 1987 saß Wolfgang Wieland – mit Unterbrechungen – im Abgeordnetenhaus.
Nach einer kurzen Zeit als Justizsenator im Jahre 2001 trat er noch einmal als Spitzenkandidat in Brandenburg an, wo die Grünen, nicht ganz überraschend, den Einzug ins Parlament verpassten. Erst danach, 2005, kandidierte der studierte Jurist für den Deutschen Bundestag.
Warum so spät? Da hat Wieland, der nun nach acht Jahren und damit mit 65 Jahren in den Ruhestand tritt, zwei Antworten parat: "Ich wollte nie nach Bonn", sagt er – was weniger ein Plädoyer gegen die ehemalige Bundeshauptstadt ist als gegen das ständige Pendeln zwischen Lebensmittelpunkt und Plenarsaal: "Immer verreist, weg von der Familie, abends an der Bar – das konnte ich mir nicht vorstellen."
Zweitens stand dem Innen- und Rechtsexperten in Berlin aber auch gleich eine doppelte Quote im Weg. Als in einem Landesverband einer Zehn-Prozent-Partei die oberen Listenplätze für Frauen und Kandidaten aus den neuen Ländern reserviert waren, standen die Chancen für ein männliches West-Berliner Urgestein lange schlecht.
Als er schließlich doch kandidierte, ging die erste rot-grüne Koalition auf Bundesebene soeben zu Ende. Wolfgang Wieland zog in die Opposition, radelte fortan mit dem Fahrrad in den Bundestag, den Wahlkreis Berlin-Mitte gleich nebenan: eine Mischung aus dem alten West- und Ost-Berlin, aus Arbeiterkiez, der schick sanierten neuen Berliner Mitte und Plattenbauten im Osten.
"Berlin im Kleinen," sagt er, "ein richtig spannender Kiez." Und wie war der Schritt vom Landes- in ein Bundesparlament? "Wie vom Familienbetrieb in den Großkonzern", lacht er, "früher in Berlin haben wir uns zu viert einen Assistenten geteilt. Hier standen mir vier Mitarbeiter zur Seite. Das macht schon einen Unterschied." Der zweite große Unterschied: "Im Abgeordnetenhaus waren Ausschusssitzungen grundsätzlich öffentlich. Das schafft zwar Transparenz – aber auch eine Tendenz zu Fensterreden und Salbader."
Neben der normalen Ausschussarbeit – aktuell als Obmann der Grünen im Innenausschuss und als Stellvertreter in den Ausschüssen für Verteidigung sowie Kultur und Medien – hat Wieland seit 2005 mehrere Untersuchungsausschüsse begleitet: den zur Beinahe-Pleite des Immobilienfinanziers Hypo Real Estate (HRE), der klären sollte, ob das Bundesfinanzministerium und seine Behörden zu den Missständen bei der Bank beigetragen hatten.
Den BND-Untersuchungsausschuss, der Vorwürfe gegen die Bundesregierung im Zusammenhang mit dem Irak-Krieg, dem Antiterror-Kampf der USA, der Verschleppung auch Deutscher als Terror-Verdächtige nach Guantánamo und anderswo und der Bespitzelung von Journalisten überprüft hatte.
Spätestens seit dem vergangenen Jahr ist der Berliner Geheimdienstexperte nun auch der breiten bundesweiten Öffentlichkeit bekannt: als grüner Obmann im NSU-Untersuchungsausschuss, der noch bis September die Zusammenarbeit der Behörden im Falle der rechtsextremen Anschlagserie des "Nationalsozialistischen Untergrunds" untersucht.
Immer wieder prangert Wieland seither das "Kommunikationsdesaster" zwischen Polizei und Nachrichtendiensten an, das verhinderte, der Mordserie ein Ende zu setzen. "Die Terrorserie der NSU ist unser zweiter elfter September," erklärt Wieland, "und anders als 2001 können wir nationale Antworten geben. Und wir müssen sie auch geben".
Fragt man ihn, warum er nicht weitermacht, guckt er einen schmunzelnd an: "Warum muss man eigentlich erklären, dass man mit Erreichen des Rentenalters aufhört?" Jedenfalls damit, kaum noch Hoheit über seinen Terminkalender und eher willkürlich hier und da einmal Feierabend zu haben, ist nun Schluss. Dass das weite Feld der Bürger- und Menschenrechte ihn, in welcher Form auch immer, weiter beschäftigen wird, schließt er nicht aus. Auch nicht, dass er als Rechtsanwalt noch einmal den ein oder anderen größeren Prozess führt; am liebsten vor dem Verfassungsgericht.
Insgesamt aber wünscht er sich einen "Lebensabschnitt mit deutlich weniger Arbeit". Und auch mit weniger Ausschüssen: "Seit 1987 saß ich in jedem Innenausschuss der für mich irgendwie erreichbar war. Auch das ist irgendwann einmal genug." (god/29.04.2013)