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Werner: Teilhabegesetz verdient den Namen nicht

Die Bundesregierung nennt es ihr „wichtigstes sozialpolitisches Reformvorhaben“: Der von Sozialministerin Andrea Nahles (SPD) vorgelegte Entwurf für ein Bundesteilhabegesetz, auf den sich die Koalition geeinigt hat, soll die Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen auf eine neue Basis stellen. So sollen Betroffene, die Leistungen beziehen, künftig von ihrem Verdienst mehr Geld behalten können, ohne dass es mit der staatlichen Hilfe verrechnet wird. Der Gesetzentwurf bleibe vollkommen hinter den Erwartungen zurück, kritisiert Katrin Werner, behindertenpolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke. Die in der UN-Behindertenrechtskonvention verbindlich vorgegebene Gleichberechtigung von Menschen mit Behinderung werde nicht umgesetzt. „Die Teilhabe wird so nicht verbessert  – und deshalb verdient das Gesetz auch den Namen nicht.“ In der Fragestunde des Bundestages am Mittwoch, 8. Juni 2016, will Werner von der Bundesregierung erfahren, wie viele Menschen mit Behinderungen von der Anrechnung ihres Einkommens und Vermögens auf staatliche Leistungen betroffen sind. Warum sie das wissen will, erklärt die Abgeordnete aus Trier im Interview:


Frau Werner, bisher dürfen Menschen mit Behinderungen nur 2.600 Euro ansparen, ohne dass die staatliche Hilfe gekürzt wird. Ab 2017 soll der Freibetrag nun auf 25.000, von 2020 an auf knapp 50.000 Euro steigen. Das ist doch eine deutliche Verbesserung – trotzdem üben Sie Kritik, warum?

Die Zahlen hören sich vielleicht vergleichsweise gut an, aber wenn man in Betracht zieht, wie wenig vielen Betroffenen von ihrem Einkommen nach der Anrechnung auf die staatliche Leistung bleibt, dann ist ihre Sorge, im Alter an der Armutsgrenze leben zu müssen, sehr berechtigt. Auch 25.000 oder 50.000 Euro sind nicht viel, wenn man sich davon im Alter finanzieren soll.

Was fordern Sie stattdessen?

Die Abschaffung der Anrechnung. Wir unterstützen die von Selbstvertretungsorganisationen und Betroffenen erhobene Forderung nach einer komplett einkommens- und vermögensunabhängigen staatlichen Teilhabeleistung.

In der Fragestunde wollen Sie sich erkundigen, wie viele Menschen mit Behinderungen derzeit von der Anrechnung ihres Einkommens und Vermögens auf die Eingliederungshilfe betroffen sind. Warum interessieren Sie diese Zahlen?

Die Bundesregierung hat in der Vergangenheit oft argumentiert, dass eine einkommens- und vermögensunabhängige staatliche Teilhabeleistung zu enorm hohen Mehrkosten führen würde. Diese Sorge teile ich nicht: Ich bin überzeugt, dass sich zum Beispiel durch Streichung aller Sonderregeln, wie es sie auch im Entwurf des Teilhabegesetzes gibt, der Verwaltungsaufwand und damit auch die Kosten deutlich senken ließen. Allerdings habe ich die Vermutung, dass die Bundesregierung den Gesetzentwurf vorgelegt hat, ohne überhaupt über belegbare Daten zu verfügen. Deshalb frage ich nach – wir wollen schon wissen, auf welche Zahlen sie sich bezieht.

Um Menschen mit Behinderungen den Übergang von einer speziellen Werkstatt in einen Job auf dem regulären Arbeitsmarkt zu erleichtern, soll es künftig ein „Budget für Arbeit“ geben – also einen Lohnzuschuss für Arbeitgeber, die einen Arbeitnehmer mit Behinderungen einstellen. Damit entspricht die Bundesregierung einer Forderung der Betroffenen, die auch Ihre Fraktion unterstützt hat.

Ja, im Prinzip schon. Doch wer den Gesetzentwurf genauer liest, stellt fest, dass das Budget für Arbeit gleich doppelt gedeckelt werden soll. Der Zuschuss beträgt 75 Prozent des vom Arbeitgeber gezahlten Entgeltes, höchstens aber 40 Prozent der monatlichen Bezugsgröße nach Paragraf 18 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch – das sind maximal 1.162 Euro. Je nach Landesrecht kann auch von dem Prozentsatz der Bezugsgröße wieder abgewichen werden.

Sie befürchten also von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich hohe Zuschüsse?

Ja, und wenn die Schuldenbremse 2020 greift, werden womöglich noch niedrigere Prozentsätze die Regel sein, weil jedes Land auf seine Haushaltslage verweisen kann.

Schon in der Vergangenheit gab es Fördermöglichkeiten für Unternehmen, die Menschen mit Behinderungen einstellten. Die Arbeitslosenquote von Schwerbehinderten ist dennoch mit rund 14 Prozent mehr als doppelt so hoch wie die von Menschen ohne Behinderungen. Was wäre in dieser Hinsicht der Vorteil eines Budgets für Arbeit?

Wenn es genauso umgesetzt würde, wie es gedacht ist, dann ist das Budget für Arbeit ein für den Einzelnen individuell und bedarfsgerecht zugeschnittenes Instrument, das zum Beispiel denjenigen, die in einer speziellen Werkstatt für behinderte Menschen arbeiten, den Übergang auf den allgemeinen Arbeitsmarkt ermöglichen kann. Das ist der große Vorteil. Doch so wie der Zuschuss im Entwurf ausgestaltet wurde, befürchte ich, dass mit der Beantragung ein großer bürokratischer Aufwand verbunden ist und das Budget für Arbeit deshalb seine Wirkung nicht entfalten kann.  

Betroffene und Verbände haben den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf breiter Front kritisiert. Was ist aus Ihrer Sicht das Hauptproblem?

Ziel des geplanten Teilhabegesetzes war es doch, die in der UN-Behindertenrechtskonvention verbindlich vorgegebene Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen umsetzen. Doch genau dieses Ziel erreicht der vorliegende Entwurf nicht. Die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am gesellschaftlichen Leben wird so nicht verbessert  – und deshalb verdient das Gesetz auch den Namen nicht. Punktuell enthält der Entwurf zwar Verbesserungen. An anderer Stelle befürchten wir jedoch sogar, dass es für die Betroffenen zu einer Verschlechterung der Situation kommt. Nehmen wir die geplante Einschränkung des anspruchsberechtigten Personenkreises: Künftig müssen Betroffene nachweisen, dass sie in fünf von neun Lebensbereichen ohne Unterstützung nicht teilhaben können. Erst dann sind sie berechtigt, Eingliederungshilfe zu beziehen. Deshalb verlangen schon jetzt einige Selbstvertretungsorganisationen und Verbände, positive Regelungen wie etwa zum Budget für Arbeit einfach ins Neunte Buch Sozialgesetzbuch aufzunehmen – und ansonsten das Bundesteilhabegesetz zu stoppen. Wenn die Bundesregierung nicht schnell nachbessert, schließen wir Linke uns dieser Forderung an.

(sas/07.06.2016)