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Lammert: Visafreiheit für Georgien europäisch lösen

Bundestagspräsident Prof. Dr. Norbert Lammert und der georgische Parlamentspräsident David Usupashvili haben am Mittwoch, 8. Juni 2016, das gute und vertrauensvolle Verhältnis beider Länder auch auf der Ebene der parlamentarischen Zusammenarbeit gewürdigt. Im Mittelpunkt mehrerer Begegnungen beider Parlamentspräsidenten stand neben der Erörterung der internationalen und europäischen Lage und der innenpolitischen Situation in Georgien vor den dortigen Parlamentswahlen im Herbst die noch ungelöste Frage der Visafreiheit zwischen der EU und Georgien.

„Keine bilaterale Angelegenheit“ 

Lammert unterstrich, dies sei keine bilaterale Angelegenheit zwischen Deutschland und Georgien. Vielmehr brauche man eine Lösung im europäischen Maßstab. Deutschland wolle die Georgien zugesagte Visafreiheit ermöglichen, nachdem Georgien die entsprechenden Voraussetzungen auch aus Sicht der EU-Kommission erfüllt habe, und sicherstellen, dass der Wahlkampf in Georgien ohne die Belastung durch das offene Thema der Visafreiheit stattfinden könne.

Usupashvili, der sich auf Einladung Lammerts zu einem mehrtägigen Besuch in Berlin und Magdeburg aufhält, nahm am Donnerstag, 9. Juni,  an einer Sitzung des Deutschen Bundestages teil. Auf dem Programm standen unter anderem auch Besuche des EU-Ausschusses sowie des Verteidigungsausschusses. In einem am Montag, 13. Juni, in der Wochenzeitung "Das Parlament" erscheinenden Interview äußert sich der georgische Parlamentspräsident zur Politik seines Landes. Das Interview im Wortlaut: 

Herr Präsident, wenn vom Verhältnis zwischen Russland und der EU die Rede ist, bezieht sich das fast immer auf den Konflikt um die Ukraine. Hat Europa den Konflikt zwischen Russland und Georgien im August 2008 vergessen oder damals nicht ernst genug genommen?

Russland weiß ganz genau, was es 2008 in Georgien verbrochen hat. Aber die restliche Welt hat das leider vergessen. Alle haben so getan, als wäre nichts gewesen. Das hat Russland in seiner Haltung bestätigt. In der Ukraine haben die Russen sich dann noch einmal so benommen.

Wie ist heute die Beziehung zwischen Georgien und Russland?

Die okkupierten Gebiete Abchasien und Südossetien wurden bis jetzt genau von zwei Staaten anerkannt: Venezuela und Nicaragua. Der Rest der Welt betrachtet die Gebiete als Teil des georgischen Staates. Russland versucht den Eindruck zu erwecken, die Gebiete seien selbstständig, und hat mit ihnen Verträge im militärischen Bereich abgeschlossen. Auf Basis dieser Verträge versucht Russland nun, seinen militärischen Einfluss in diesem Bereich zu erweitern und zu stärken. Zwischen Georgien und Russland gibt es derzeit keine diplomatischen Beziehungen. Allerdings gibt es seit den Wahlen vor drei Jahren regelmäßig Gespräche zwischen Vertretern des georgischen Premiers und des russischen Präsidenten über humanitäre und wirtschaftliche Fragen. Jährlich kommen Tausende russische Touristen nach Georgien. Das zeigt, dass es bei uns keinerlei antirussische Stimmung gibt. Umgekehrt funktioniert das leider nicht so gut: Georgier brauchen ein Visum für Russland. Generell reagiert Russland außerordentlich gereizt auf unsere euro-atlantischen Integrationsbemühungen. Unter dem Strich glauben wir, dass Russland nur auf einen geeigneten Zeitpunkt wartet, um die eigene Kontrolle in Georgien und im Kaukasus wiederherzustellen.

In Bezug auf den Ukraine-Konflikt mehren sich die Stimmen in der deutschen Regierung, die eine Lockerung der Sanktionen gegenüber Russland fordern. Halten Sie das für eine gute Idee?

Und was sagen diese Stimmen weiter? Sagen sie auch, dass anschließend die Hälfte der Ukraine und die Hälfte Georgiens an Russland abgegeben werden muss? Wenn das so wäre, muss man wohl auch darauf gefasst sein, dass Russland eines Tages auch wieder eine Hälfte Deutschlands begehrt.

Seit 2014 gibt es ein Assoziierungsabkommen zwischen der EU und Georgien. Welches sind die wichtigsten Reformen, die in diesem Rahmen umgesetzt worden sind, und was hat Ihr Parteibündnis bisher in Georgien bewegen können?

Zur Vorbereitung des Assoziierungsabkommens mussten wir 150 Gesetze verabschieden oder verändern. Zum Beispiel haben wir ein neues Arbeitsgesetzbuch verabschiedet, neue Gesetze für den öffentlichen Dienst und die kommunale Selbstverwaltung gemacht. Außerdem haben wir sehr wichtige Reformen in der Strafprozessordnung und für den Strafvollzug durchgeführt. Darüber hinaus gibt es ein neues Antidiskriminierungsgesetz zum Schutz von Minderheiten.       

Die EU-Kommission sagt, Georgien sei bereit für eine Visa-Liberalisierung. Wann wird es so weit sein? Noch in diesem Jahr?

Sobald der Bericht der  Kommission von einigen Mitgliedstaaten der Europäischen Union, darunter Deutschland, gebilligt wird. Wir hatten eigentlich keine großen Probleme erwartet. Insbesondere hatten wir nicht damit gerechnet, dass die Frage von Kriminellen mit georgischem Hintergrund jetzt als das größte Hindernis für die Visa-Liberalisierung eingestuft wird. Bei meinen Gesprächen hier in Deutschland mit dem Bundestagspräsidenten, Vertretern unterschiedlicher Parlamentsfraktionen und Repräsentanten der Exekutive bin ich darin bestärkt worden, dass wir eine tragfähige Lösung finden werden. Deutschland ist und bleibt wichtig für uns, ja ist ein      strategischer Partner. Wir haben sehr ambitionierte Pläne, was deutsch-georgische Beziehungen angeht. Die Frage der Visa-Liberalisierung wird sich dabei schnell lösen.

Im Herbst wählen die Georgier ein neues Parlament. Welche Rolle spielen die Visa-Liberalisierung oder generell die Beziehungen zur EU im Wahlkampf?

Die Visa-Frage spielt durchaus eine wichtige Rolle. Sie hat einen Wert an sich, aber darüber hinaus auch eine hohe symbolische Bedeutung. Russland baut seine Propaganda sehr effektiv auf solchen Themen auf. Mit Nachdruck wird auf die vermeintlich mangelnde Effizienz der Europäischen Union hingewiesen, auf fehlende  Organisiertheit und auch darauf, dass Versprechen nicht eingehalten werden. Eine weitere Verzögerung der Visa-Liberalisierung für Georgien würde die russische Argumentation stärken und die antieuropäischen Parteien im georgischen Wahlkampf stützen. Mir liegen Erkenntnisse vor, dass Kriminelle mit georgischer Staatsbürgerschaft  nicht aus Georgien, sondern aus Russland nach Deutschland einreisen. Und auch die gut orchestrierte russische Medienkampagne, die betont, Georgien erhalte wegen dieser Kriminellen keine Visa-Liberalisierung, wirft doch Fragen auf. Ich darf daran erinnern, dass die Ereignisse in der Ukraine auch mit dem Assoziierungsabkommen begannen. Ich glaube fest daran, dass etwas Vergleichbares in Georgien nicht möglich sein wird. Aber ich schließe keineswegs aus, dass das Thema Visa-Liberalisierung dafür genutzt wird, um Georgien und die EU zu spalten.

Spielt der ehemalige georgische Präsident Micheil Saakashvili im Wahlkampf eine Rolle? Es ist ja bemerkenswert, dass er als Ex-Präsident mit dem Staatsanwalt zu tun hatte und jetzt in der Ukraine als Gouverneur und Korruptionsbekämpfer gefeiert wird.

Micheil Saakashvili ist kein georgischer Staatsbürger, sondern Bürger der Ukraine. Dort bekleidet er ein hohes politisches Amt. Daher könnte meine Antwort auf Ihre Frage als Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines befreundeten Landes gewertet werden. Deswegen will ich mich nicht so verhalten wie Herr Saakashvili, wenn er sich in die Angelegenheiten Georgiens einmischt.

Georgien möchte Mitglied der Nato sein, Russland will das verhindern. Gibt es da in absehbarer Zeit eine Lösung?

Es ist ja nicht so, dass Russland einen Konflikt mit Georgien hat, weil Georgien in die Nato will. Sondern Georgien will Mitglied in der Nato werden, weil es einen Konflikt mit Russland hat, das große Teile des georgischen Staatsgebietes besetzt hält. Nebenbei bemerkt: Nato ist übrigens ein georgischer Frauenname. Als Russland die georgischen Gebiete besetzt hatte, haben die Georgier Zeit gebraucht, um zu realisieren, dass Nato kein Frauenname, sondern ein Militärbündnis ist. Die Nato-Staaten haben Georgien doch eine Aufnahme nicht zugesagt, um unbedingt die Sicherheit Georgiens zu garantieren. Sondern sie sehen in Georgien einen Partner, der zur gemeinsamen Sicherheit im Bündnis beitragen kann. Abgesehen davon war Russland auch gegen die Aufnahme von Polen, Bulgarien und den baltischen Staaten in die Nato und wäre wohl außerordentlich glücklich, wenn sich das Bündnis  eines Tages auflöst. Die regionale Stabilität ist nur zu gewährleisten ist, wenn Russland keine Illusionen mehr hat, dass es den südlichen Kaukasus und den kaspischen Raum kontrollieren kann. Leider glaubt die russische politische Elite, dass das Land expandieren muss. Deswegen täte die Nato Russland sogar einen Gefallen, wenn sie bis an russische Grenzen reichte: Dann wäre das Land von seinen imperialen Ambitionen befreit und könnte sich auf innere Angelegenheiten konzentrieren.  

(eh/jbi/ahe/10.06.2016)