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Zum Teil heftige Kritik übten Mitglieder des 3. Untersuchungsausschusses (NSU II) am Donnerstag, 9. Juni 2016, an den Ermittlungen im Umfeld der Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU). So bemängelte der Ausschussvorsitzende Clemens Binninger, dass sich die Bundesanwaltschaft bei der Vernehmung eines zur rechten Szene gehörenden Nachbarn des Trios sogleich mit dessen Aussage zufriedengegeben habe, er kenne die NSU-Mitglieder nicht und habe sie auch nie bewusst gesehen.
Frank Tempel von der Linksfraktion sagte, er habe nicht den Eindruck, „dass alles getan wird, um das Umfeld des Trios wirklich auszuermitteln.“ Der NSU-Komplex wirke auf ihn wie „ein Nebel, in dem nur ermittelt wird, wenn ein goldener Henkel herausguckt“.
Der CDU-Abgeordnete Armin Schuster regte an, die Vernehmung des früheren Rechtsextremisten und V-Mannes Ralf Marschner noch einmal zu wiederholen, da es sich bei den beiden früheren Vernehmungen des in der Schweiz lebenden Mannes eher um „Vorstellungen“ gehandelt habe.
Der als Zeuge geladene Vertreter der Bundesanwaltschaft, Oberstaatsanwalt Jochen Weingarten, wies die Kritik zurück. Er versicherte aber auch, dass er mit seinen Mitarbeitern darüber diskutieren werde, welche Konsequenzen aus den Anregungen des Ausschusses gezogen werden könnten.
Sowohl aus rechtsstaatlichen wie auch aus personellen Gründen sei es aber nicht möglich, gegen die gesamte rechtsradikale Szene einer Stadt oder Region zu ermitteln, ohne konkrete Anhaltspunkte für die Verwicklung von einzelnen Personen in Straftaten zu haben. „Ich kann nicht nach einem Mittäter suchen, solange ich keine Anhaltspunkte dafür habe, dass es einen Mittäter gibt“, betonte Weingarten, der die Bundesanwaltschaft auch in dem Verfahren gegen Beate Zschäpe und andere Angeklagte vor dem Oberlandesgericht München vertritt.
Zu der von Binninger kritisierten Vernehmung eines Neonazis, der jahrelang als Nachbar des NSU-Trios in der Zwickauer Polenzstraße gelebt hatte, sagte Weingarten, der damalige Aufenthaltsort von Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe sei zum Zeitpunkt der Vernehmung bereits bekannt gewesen.
Nachdem der Zeuge klargemacht habe, dass er nicht mit der Polizei kooperieren wolle, habe es ihm gegenüber kein weiteres Ermittlungsinteresse geben. Neben Binninger vertraten auch andere Ausschussmitglieder den Standpunkt, dass man zumindest den Versuch hätte unternehmen können, in den Aussagen des Mannes Widersprüche aufzudecken.
Als wahrscheinliche Zufälle wertete es Weingarten, dass in einem Szene-Laden des Neonazis Marschner ein T-Shirt mit dem Aufdruck der Comic-Figur „Paulchen Panther“ und dem Schriftzug „Staatsfeind“ zu kaufen war. Die Figur spielt auch in dem Bekennervideo des NSU eine zentrale Rolle. Weingarten sagte, „Paulchen Panther“ sei aus bisher nicht geklärten Gründen in der rechtsradikalen Szene häufig anzutreffen gewesen.
Weingarten berichtete, dass Böhnhardt und Mundlos ihre späteren Opfer „sehr intensiv und kleinteilig“ ausgekundschaftet hätten. Dabei hätten sie regelmäßig Kioske und Imbissbuden besucht, um geeignete Orte für ihre Morde zu finden. Nach welchen Kriterien die individuellen Tatorte und Opfer ausgesucht wurden, sei noch immer unbekannt. Es gebe aber keine greifbaren Anhaltspunkte dafür, „dass die Zielauswahl nicht von Mundlos und Böhnhardt vorgenommen wurde“.
Ebenso wenig gebe es Hinweise darauf, dass der Zweck der Taten nach außen kommuniziert wurde. Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe hätten gewusst, dass es in der rechtsradikalen Szene sehr viele V-Leute gab. „Wegen des hohen Entdeckungsrisikos halten wir einen kommunikativen Akt in die Szene hinein für extrem unwahrscheinlich“, so Weingarten.
Für eine Überraschung sorgte am Ende der öffentlichen Sitzung der Zwickauer Sozialarbeiter Jörg Banitz, der als Sachverständiger für das rechtsradikale Umfeld der Stadt vor den Ausschuss geladen war. Er berichtete, dass Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe im Jahr 2004 ein öffentliches Fest in Zwickau besucht hätten, das Trepppenfest der dortigen Hochschule.
In der rechtsradikalen Szene habe man vom NSU gewusst und es sei gemunkelt worden, das Trio habe „was Krasses vor“. Diese brisanten Informationen habe er erst vor Kurzem von Arbeitskollegen erfahren, sagte Banitz. Der Ausschussvorsitzende Binninger bat ihn, bis zur nächsten Sitzung Namen seiner Informanten zu nennen, da der Ausschuss diesen Angaben nachgehen wolle.
Zuvor hatte Weingarten mitgeteilt, dass die Bundesanwaltschaft keine Hinweise darauf habe und es auch nicht für plausibel halte, dass der NSU-Terrorist Uwe Mundlos in den Jahren 2000 bis 2002 im Abrissunternehmen des Zwickauer Neonazis und damaligen V-Manns Ralf Marschner beschäftigt gewesen sein soll.
Anderslautende Medienberichte von Anfang April dieses Jahres habe man in der Bundesanwaltschaft ,,relativ gelassen" zur Kenntnis genommen. ,,Die Wiedererkennungsleistung erschien uns als höchst problematisch, weil eine solche Lichtbildvorlage bestimmte Anforderungen erfüllen muss", kommentierte Weingarten den Bericht der Tageszeitung ,,Die Welt". Er basiert auf Angaben eines früheren Auftraggebers von Marschner, der Mundlos auf einem Foto wiedererkannt haben will.
Wie Weingarten weiter sagte, halte es die Bundesanwaltschaft auch nicht für plausibel, dass Mundlos nach seinem Untertauchen im Januar 1998 auf einer Baustelle gearbeitet haben soll. Denn Baustellen seien ,,kontrollintensive Bereiche", wo man ständig mit der Anwesenheit von Polizeibeamten oder von Mitarbeitern der Arbeitsagentur oder des Zolls rechnen müsse.
Als Arbeiter auf einer Baustelle sei das Entdeckungsrisiko für eine im Untergrund lebende Person enorm. Nach dem Bericht der ,,Welt" soll Mundlos von 2000 bis 2002 unter dem Decknamen Max Burckhardt für Marschners damalige Abrissfirma gearbeitet haben. Zur gleichen Zeit begann die Mordserie des ,,Nationalsozialistischen Untergrunds".
Weingarten bezeichnete Marschner als eine ,,Zentralfigur der rechtsextremistischen Szene" in Zwickau, wo er bis zu seinem plötzlichen Wegzug in die Schweiz 2007 lebte und zahlreiche, meist kurzlebige Firmen betrieb. Sein Personal habe sich ,,im Wesentlichen aus harten Rechtsextremisten rekrutiert".
Auf die Frage, wie glaubwürdig er die 16 ehemaligen Mitarbeiter Marschners halte, die eine Beschäftigung von NSU-Mitgliedern in dem Abrissunternehmen bestritten hatten, sagte Weingarten, man könne bei einer Aussage ,,nicht automatisch das Gegenteil zugrunde legen, weil einem die politische Verortung eines Zeugen zuwider ist". Dass Marschner bis 2002 V-Mann war, habe bei den Ermittlungen keine Rolle gespielt.
Zu Beginn der öffentlichen Zeugenvernehmung hatte der pensionierte sächsische Kriminalbeamte Klaus Böttrich berichtet, dass der Rechtsextremist bei polizeilichen Durchsuchungen seiner Privat- und Geschäftsräume oft den Eindruck erweckt habe, sehr gut vorbereitet gewesen zu sein. Das habe in der Polizei schon früh zu der Vermutung geführt, dass Marschner möglicherweise mit dem Verfassungsschutz zusammenarbeite und von seinem V-Mann-Führer gewarnt worden sei. (rik/10.06.2016)