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Auslandsdeutsche sind künftig wieder wahlberechtigt, wenn sie entweder nach dem vollendeten 14. Lebensjahr mindestens drei Monate ununterbrochen in Deutschland gelebt haben und dieser Aufenthalt nicht länger als 25 Jahre zurückliegt oder wenn sie aus anderen Gründen persönlich und unmittelbar mit den politischen Verhältnissen in der Bundesrepublik vertraut geworden und von ihnen betroffen sind. Dies gilt, wenn alle sonstigen Voraussetzungen des Wahlrechts vorliegen. Einstimmig beschlossen hat dies der Bundestag am 31. Januar 2013 mit seiner 21. Änderung des Bundeswahlgesetzes. Den gemeinsamen Gesetzentwurf von CDU/CSU, SPD, FDP, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen (17/11820) nahm er in der vom Innenausschuss geänderten Fassung (17/12174) an.
Auslöser der Gesetzesänderung war ein Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Juli 2012 (2 BvC 1 / 11, 2 BvC 2 / 11). Sie führte dazu, dass dauerhaft im Ausland lebene Deutsche nicht mehr an Bundestagswahlen teilnehmen konnten, weil Karlsruhe die maßgebliche Wahlrechtsregelung für nicht erklärt hatte.
Es verletze den Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl, dass die Wahlberechtigung von Auslandsdeutschen allein von einem früheren dreimonatigen Daueraufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland abhängig sei, entschied das Gericht.
Das Ziel des Gesetzgebers, Vertrautheit der Auslanddeutschen mit den politischen Verhältnissen hierzulande zu sichern, werde durch diese Regelung nicht erreicht. Danach seien selbst jene wahlberechtigt, die Deutschland bereits im Säuglingsalter verlassen hätten.
Zugleich blieben Auslandsdeutsche ausgeschlossen, die typischerweise mit den politischen Verhältnissen vertraut und von ihnen betroffen seien, etwa, weil sie als "Grenzgänger" in Deutschland arbeiteten, rügte der Zweite Senat in dem Beschluss, der mit sieben zu eins Stimmen erging.
Die Verfassungsrichterin Prof. Dr. Gertrude Lübbe-Wolff widersprach der Entscheidung. Die Dreimonatsregel sei dadurch gerechtfertigt, dass das notwendige Mindestmaß an realer Verbindung zur Bundesrepublik Deutschland gewahrt werden solle, argumentierte sie in einem Sondervotum.
Die Richterin kritisierte, dass der Senatsbeschluss "in überraschender und inhaltlich nicht überzeugender Weise" von der bisherigen ständigen Karlsruher Rechtsprechung abweiche; weitaus restriktivere Beschränkungen des Wahlrechts der Auslandsdeutschen seien von dem Gericht gebilligt worden.
Gegen das Erfordernis eines dreimonatigen Daueraufenthalts hatten zwei deutsche Staatsangehörige Wahlprüfungsbeschwerde erhoben, die 1982 in Belgien geboren worden waren und dort leben. Beide Frauen hatten an der Bundestagswahl 2009 teilnehmen wollen, durften dies aber nicht, da sie nie mindestens drei Monate ununterbrochen in Deutschland gewohnt hatten.
Mit der Neuregelung des Wahlrechts für Auslanddeutsche, auf die sich alle fünf Fraktionen geeinigt hatten, wurde das kontroverse Sesshaftigkeitserfordernis nicht abgeschafft, sondern um weitere Kriterien ergänzt, die das Verfassungsgericht vorgeschlagen hatte.
Mit der nun beschlossenen Alters- und Fortzugsgrenze hat der Gesetzgeber frühere restriktivere Regelungen wieder aufgegriffen, die im Zuge der Lockerung des Wahlrechts für Auslandsdeutsche abgeschafft worden waren. Zugleich wird der Kreis der im Ausland lebenden Deutschen, die künftig an Bundestagswahlen teilnehmen können, aber auch erweitert.
Wahlberechtigt sind nun auch diejenigen Deutschen, die zwar nie hierzulande gelebt haben oder schon vor ihrem 14. Lebensjahr beziehungsweise vor mehr als 25 Jahren fortzogen, die aber "aus anderen Gründen persönlich und unmittelbar Vertrautheit mit den politischen Verhältnissen in der Bundesrepublik Deutschland erworben haben und von ihnen betroffen sind".
Dazu heißt es, die erforderliche Vertrautheit müsse "im Einzelfall persönlich aufgrund eigener Erfahrung und unmittelbar erworben worden sein"; eine rein passive Kommunikationsteilnahme, etwa durch den Konsum deutschsprachiger Medien im Ausland, genüge nicht.
Vor allem folgende Personengruppen können nach den Erläuterungen des Gesetzgebers künftig aufgrund persönlicher Vertrautheit und Betroffenheit wahlberechtigt sein: deutsche Ortskräfte an deutschen Auslandsvertretungen, deutsche Mitarbeiter an deutschen Auslandsschulen und anderen deutschen Institutionen im Ausland sowie Korrespondenten deutscher Medien. Ferner werden Auslandsdeutsche genannt, die durch ihr Engagement in Verbänden, Parteien und sonstigen Organisationen in erheblichem Umfang am gesellschaftlichen Leben hierzulande teilnehmen.
Wie viele Deutsche insgesamt im Ausland leben, ist nicht bekannt. Im europäischen Ausland betrug ihre Zahl 2010 nach Erhebungen des EU-Statistikamtes Eurostat rund 1,14 Millionen, wobei die meisten Deutschen in der Schweiz (252.000), Spanien (194.00), Österreich (130.000) und im Vereinigten Königreich (100.000) lebten. Für die Bundestagswahl 2009 ließen sich 65.731 Auslandsdeutsche registrieren.
Die vom Innenausschuss am Gesetzentwurf vorgenommene Änderung bezieht sich auf die amtliche Wahlstatistik. Seit 1953 werden bei Bundestagswahlen etwa 2.700 zufällig ausgesuchte Wahlbezirke für Stichproben ausgesucht, um Aussagen zur Wahlbeteiligung und über die Stimmabgabe nach Alter und Geschlecht für eine repräsentative Wahlstatistik zu ermöglichen.
Um die Wahlentscheidung in anonymisierter Form erfassen zu können, werden zurzeit fünf Geburtsjahresgruppen von jeweils mindestens sieben Jahren erfasst (18 bis 24, 25 bis 34, 35 bis 34, 45 bis 59 Jahre sowie 60 und mehr Jahre).
Die über 60-Jährigen bildeten bei der Bundestagswahl 2009 mit 34,7 Prozent die größte der erhobenen Geburtsjahresgruppen und zählten etwa 15,3 Millionen Wählerinnen und Wähler. Aus Sicht des Innenausschusses kann das Wahlverhalten so nicht mehr hinreichend differenziert erfasst werden, zumal dieser Altersgruppe künftig immer mehr Wählerinnen und Wähler angehören werden.
Demoskopische Forschungsinstitute unterteilen üblicherweise in die Altersgruppen der 60- bis 69-Jährigen und der über 70-Jährigen. Der Beschluss des Bundestages ermöglicht nun, eine solche Unterteilung auch bei der amtlichen Wahlstatistik vorzunehmen und eine weitere Geburtsjahresgruppe bilden zu können.
Damit würden die Daten aussagekräftiger, weil sie nicht auf Umfragen, sondern auf der tatsächlichen Stimmabgabe der Wähler einschließlich der Briefwähler sowie auf einer wesentlich größeren Stichprobe beruhen, heißt es zur Begründung. (gel/vom/12.02.2013)