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Die Frage, ob der Bundesrat einer Verlängerung von Atomkraftwerkslaufzeiten zustimmen muss oder nicht, hat am Mittwoch, 19. Mai 2010, im Bundestag erneut zu Streit zwischen Koalition und Opposition geführt. Die SPD, die eigens zu dem Thema eine Aktuelle Stunde beantragt hatte, um über die "unterschiedlichen verfassungsrechtlichen Auffassungen in der Bundesregierung zur Verlängerung von Atomkraftwerkslaufzeiten“ zu diskutieren, warf CDU/CSU und FDP vor, "aus Liebe zu den Lobbyisten auf eine windige verfassungsrechtliche Konstruktion“ zu setzen. Auch Linksfraktion und Bündnis 90/Die Grünen bestanden darauf, dass die Länder einer Änderung des Atomausstiegsgesetzes zustimmen müssten. Ohne ihre Zustimmung sei eine Laufzeitverlängerung nicht möglich.
Ulrich Kelber, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der SPD, griff die schwarz-gelbe Koalition scharf an: Aus "Verbrüderung“ mit den Atomkonzernen sei diese bereit, sich auf eine "windige verfassungsrechtliche Konstruktion“ einzulassen. Mit ihren Überlegungen, eine Änderung des Atomausstiegsgesetzes ohne die Beteiligung des Bundesrates auf den Weg zu bringen, versuche insbesondere die Union, die Verfassung zu umgehen.
Kelber bezichtigte Schwarz-Gelb zudem des Wortbruchs. Im Koalitionsvertrag habe die Koalition eine Verlängerung der Laufzeiten von Atomkraftwerken nur unter der Bedingung erhöhter Sicherheitsanforderungen vereinbart. Diese aber begründeten die Zustimmungspflicht der Länder, so der Sozialdemokrat.
Bundesumweltminister Dr. Norbert Röttgen bestand darauf, die Debatte zu versachlichen. Die Frage der Zustimmungspflicht der Länder sei eine "rein verfassungsrechtliche Frage“, betonte der CDU-Politiker, der mit seiner Äußerung, längere Laufzeiten bedürften "tendenziell der Zustimmung des Bundesrates“, gerade erst heftigen Streit in der eigenen Partei provoziert hatte.
So waren führende Unionspolitiker auf Distanz zum Umweltminister gegangen, der baden-württembergische Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) hatte ihm gar den Rücktritt nahegelegt.
Röttgen warnte im Plenum davor, die Debatte um die Laufzeitverlängerungen zu politisieren. "Bei solchen Fragen sollte man nicht eifern und geifern“, so der Minister. Vielmehr müsse es darum gehen, "verfassungsrechtliche Risiken“ zu umgehen. Daher habe die Bundesregierung auch die Ministerien des Inneren und der Justiz um Stellungnahmen gebeten.
Anfang Juni werde sich die Koalition dann über das weitere Vorgehen verständigen. Ihm sei an Klarheit der politischen Entscheidung gelegen, betonte Röttgen. Insbesondere die Energiewirtschaft habe ein berechtigtes Interesse an "Klarheit und Sicherheit“, damit wichtige Investitionen getätigt werden könnten.
Gerade diese "Klarheit der Politik“ sprach Dorothee Menzner, parlamentarische Geschäftsführerin der Fraktion Die Linke, dem Umweltminister jedoch ab: Sein "Schlingerkurs“ verunsichere zunehmend die Bevölkerung. Die spreche sich Umfragen zufolge klar gegen Laufzeitverlängerungen von Atomkraftwerken aus, sogar Unions- und FDP-Anhänger lehnte diese mehrheitlich ab.
"Sie machen Politik gegen die Mehrheit der Bürger“, sagte Menzner in Richtung der Regierungsbank. Der Union warf sie zudem vor, in der Frage der Zustimmungspflicht des Bundesrates zu Laufzeitverlängerungen das Grundgesetz je nach "politischer Opportunität“ auszulegen. Nach der Wahl in Nordrhein-Westfalen seien bezeichnenderweise genau die Länder dagegen, die vorher auf eine Zustimmung gepocht hätten.
Michael Kauch, umweltpolitischer Sprecher der FDP, wies solche Vorwürfe strikt zurück: "Wir brauchen keine Nachhilfe, wie man verfassungsfeste Gesetze macht.“ Insbesondere nicht von der SPD, betonte er. Der Liberale zeigte sich zudem zuversichtlich, dass auch in der Frage der Laufzeitverlängerungen eine verfassungskonforme Lösung gefunden werde: „Wir werden dafür sorgen!“
Die Frage der Zustimmung des Bundesrates sei aber umstritten und eine "juristisch komplexe Frage“, gab Kauch zu. Daher sei es gut, dass Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) um ihre Expertise gebeten worden sein. Eine "populistische Debatte“ sei dagegen nicht hilfreich.
Für Sylvia Kotting-Uhl (Bündnis 90/Die Grünen) stand jedoch außer Frage, dass die Länder einer Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke zustimmen müssen. Mit einer Laufzeitverlängerung kämen auf die Länder schließlich gerade durch die vereinbarten "massive Sicherheitsmaßnahmen“ neue Aufgaben zu, argumentierte die atompolitische Sprecherin der Grünen. Daher bestehe eine Zustimmungspflicht des Bundesrates.
Die Politikerin warnte den Umweltminister zudem, sich mit der Debatte um verlängerte Laufzeiten kein "Verliererthema ans Bein zu binden“. "Bleiben Sie beim Ausstieg. Das Gesetz war gut uns richtig!“
Die Zustimmungspflicht der Länder sah Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) nicht so klar wie seine Vorrednerin: Alle wissenschaftliche Gutachten zu dieser Frage sähen einen "Ausgestaltungspielraum“, so der stellvertretende Vorsitzende der Energiekoordinationsgruppe in der Union: "Die Zustimmung hängt von der Ausgestaltung ab.“
Laufzeitverlängerungen befürwortete der Abgeordnete zudem ausdrücklich. Die Atomkraft sei als "Brückentechnologie“ notwendig. Außerdem sei es doch schon aus Klimaschutzgründen sinnvoller, zunächst die Kohlendioxid-Produzenten abzuschalten und nicht die Kernkraftwerke.