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Der Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, Dr. Gregor Gysi, macht die Sozialdemokraten in Nordrhein-Westfalen für das Scheitern des Sondierungsgesprächs über rot-rot-grüne Koalitionsverhandlungen im bevölkerungsreichsten Bundesland verantwortlich. Das Sondierungsgespräch sei nur geplatzt, weil die SPD-Landesvorsitzende Hannelore Kraft "wusste, dass sie in ihrer Fraktion keine ausreichende Mehrheit gewinnt“, sagt Gysi in einem am Dienstag, 25. Mai 2010, erschienenen Interview mit der Wochenzeitung "Das Parlament". Mit Blick auf mögliche rot-rot-grüne Perspektiven auf Bundesebene sagt Gysi, für den Bund sei damit "eine Chance verpasst worden, mehr aber auch nicht“. Das Interview im Wortlaut:
Herr Gysi, in der Griechenlanddebatte Anfang Mai haben Sie im Bundestag eine Finanztransaktionssteuer gefordert. Jetzt macht sich die Koalition für eine Finanzmarktsteuer stark. Zufrieden?
Ja. Ich bin überhaupt erstaunt, dass immer mehr Forderungen von Oskar Lafontaine und mir- und damit von der Linken - übernommen werden. Das betrifft etwa die Forderung nach einem Primat der Politik über die Finanzwelt oder die Finanztransaktionssteuer: Das sind schon gewaltige Veränderungen. Aber bei der Finanztransaktionssteuer wissen wir erstens noch nicht, ob sie auch kommt, und zweitens, ob die Koalition eine Gewinnsteuer macht, die die FDP will und die Spekulation gar nicht reduzieren würde, oder ob wir wirklich auf nationale und internationale Finanzgeschäfte eine Steuer erheben. Das würde nicht nur mehr Einnahmen bringen, sondern auch die Spekulation deutlich reduzieren.
Eine Finanztransaktionssteuer halten viele für international kaum durchsetzbar und fürchten, dass bei einem Alleingang Europas das Geld dort angelegt wird, wo die Steuer nicht gilt.
Österreichs Regierungschef Werner Faymann hat das zu Recht als faule Ausrede bezeichnet. Die Finanzwelt kann gar nicht der Börse von Frankfurt am Main ausweichen oder der von London, wo es eine Börsenumsatzsteuer gibt. Außerdem muss eine Bank, die irgendwie mit Euro handeln will, von der Europäischen Zentralbank zugelassen werden. Wenn diese Bank einer Finanztransaktionssteuer in der Euro-Zone ausweicht und abhaut, könnten wir ihr doch die Lizenz entziehen: Dann könnten sie mit keinem einzigen Euro mehr handeln und wären am Ende ihres Lateins.
Was schwebt Ihnen noch vor?
Zu einer wirklichen Regulierung der Finanzmärkte gehört auch ein Verbot der Leerverkäufe, der Kreditausfallversicherungen und der Hedgefonds sowie eine Kontrolle der Zweckgesellschaften und vieles mehr - und gleichzeitig müssen wir Steuergerechtigkeit herstellen: Dazu brauchen wir wenigstens eine Bankenabgabe, wie sie US-Präsident Barack Obama vorgeschlagen hat, und die Transaktionssteuer einschließlich einer Börsenumsatzsteuer. Wenn wir dann noch eine gerechte Vermögensteuer einführen - auch in Griechenland, Portugal, Spanien - würde die Politik endlich die Verursacher der Krise zu deren Bewältigung heranziehen.
Unter diesen Bedingungen hätte Ihre Fraktion am 21. Mai dem Euro-Rettungspaket zustimmen können?
Wenn diese Schritte gegangen und nicht nur angekündigt werden, kann man auch über ein Paket reden, das in sich stimmen muss. Aber alles läuft darauf hinaus, die Mehrwertsteuer zu erhöhen oder ähnliches, womit Leute, die nichts damit zu tun haben, das Ganze bezahlen müssen. Hinzu kommt: Das Ganze soll ja über eine Zweckgesellschaft geschehen...
...die gegebenenfalls die für den neuen Stabilisierungsmechanismus notwendigen Kredite aufnehmen soll.
Die Kanzlerin hat den Fraktionsvorsitzenden versprochen, dass wir vor der zweiten Lesung des Gesetzes den Vertrag über die Gründung der Zweckgesellschaft sehen können. Wir konnten ihn nicht sehen - trotzdem kam die zweite Lesung. Höchst problematisch ist auch, dass allein die Regierung über die Vergabe der Kredite von bis zu 123 Milliarden Euro entscheidet. Ich will aber wissen, wann und warum an welches Land Geld fließt und unter welchen Bedingungen. Das geht doch den Bundestag etwas an.
Oskar Lafontaine führt seinen Rücktritt als Finanzminister 1999 auch auf die Widerstände gegen die von ihm damals geforderte Finanzmarktregulierung zurück - eine Forderung, die heute in aller Munde ist. Wie sehr fehlt er Ihrer Partei nach seinem Abschied aus der Bundespolitik?
Natürlich fehlt er der Partei. Noch kann man es nicht genau einschätzen - er war ja bis 15. Mai Parteivorsitzender. Und als Vorsitzender unserer Landtagsfraktion im Saarland wird er sich auch künftig einmischen.
Auf dem Rostocker Parteitag, der mit Gesine Lötzsch und Klaus Ernst als neue Vorsitzende wieder eine Ost-West-Doppelspitze installierte, haben Sie die Landesverbände aufgerufen, auf einander zuzugehen, statt sich Fehler vorzuwerfen. Wie tief ist der Graben zwischen den ost- und den westdeutschen Landesverbänden?
Das erste Problem besteht darin, dass in der PDS Strukturen entstanden sind mit völlig überlegenen Ost- und kleinen Westverbänden. Wenn sich das nun plötzlich ändert, ist das natürlich eine gewaltige Umstellung. Zweitens sind wir im Osten eine Volkspartei und im Westen eine Interessenpartei. Meine Erfahrung ist: Man kann übereinander reden - dann verfestigt sich das alles - oder man redet miteinander. Deshalb bin ich froh, dass wir jetzt zwei Parteibildungsbeauftragte haben, die das zu organisieren haben. Und der Austausch hat in letzter Zeit auch begonnen. Wichtig ist die Herausbildung eines Zentrums: Es kann nicht um den Kompromiss zwischen verschiedenen Strömungen gehen. Es muss ein Zentrum geben, das die große Mehrheit der nicht strömenden Mitglieder und auch die Wählerschaft widerspiegelt.
Von den bisherigen Spitzenleuten stehen Sie als Einziger weiter in der ersten Reihe und gelten vielen als der heimliche Parteichef. Eine Bürde für Lötzsch und Ernst?
Als Lothar Bisky und ich schon einmal abgetreten waren und wirklich nicht mehr zur Verfügung standen, ist das nicht gut gegangen. Letztlich ist es für Gesine und Klaus besser, dass Lothar in Brüssel, Oskar in Saarbrücken und ich in Berlin noch zur Verfügung stehen. Natürlich kann das auch einmal nerven, aber ich bin da sehr optimistisch. Sie müssen ja erst in die Führung hineinwachsen, und daran bin ich doch interessiert. Ich weiß doch, wie alt ich bin, und ich weiß auch, wann ich spätestens aufhöre -
Verraten Sie uns das?
Nein, auf keinen Fall. Ich will nur sagen: Ich bin daran interessiert, dass der Übergang funktioniert, und dazu brauchen wir eine funktionierende Leitung. Diesbezüglich ist der Parteitag gut verlaufen.
Dass Ihrer Partei in Nordrhein-Westfalen erneut der Sprung in einen westdeutschen Landtag geglückt ist, haben Sie als Durchbruch gewertet. Im Vergleich zur Bundestagswahl 2009 hat Die Linke dort ein Minus von gut 350.000 Stimmen eingefahren: ein Durchbruch?
Ja - ein gewaltiger Durchbruch. Erstens sind viel weniger Leute zur Wahl gegangen als bei der Bundestagswahl, was auch bei uns Folgen hat. Und zweitens standen nicht Bundespolitiker zur Wahl, sondern weitgehend noch unbekannte Landespolitiker. Das kann man überhaupt nicht vergleichen. Und unser Landesverband dort ist ja noch in der Entwicklung, das muss man auch sehen.
Für die SPD-Landesvorsitzende Hannelore Kraft ist Ihre Partei in Nordrhein-Westfalen "weder regierungs- noch koalitionsfähig". Schon das erste Sondierungsgespräch über Rot-Rot-Grün in Düsseldorf ist geplatzt...
Ja, aber nur weil Frau Kraft wusste, dass sie in ihrer Fraktion keine ausreichende Mehrheit gewinnt. Ihr fehlt die Kraft für eine alternative Regierung und Politik. Wir waren sogar zurückhaltend. Es ist dasselbe Problem wie in Thüringen und Hessen - der SPD fehlt der Mut. Ihr steht, zumindest noch, die CDU näher als Die Linke.
Welche Auswirkungen hat das Scheitern der Sondierungsgespräche in Nordrhein-Westfalen für mögliche rot-rot-grüne Perspektiven im Bund?
Für den Bund ist eine Chance verpasst worden, mehr aber auch nicht. Hinsichtlich der parteipolitischen Konstellation nach der Bundestagswahl 2013 fragen Sie mich bitte in zwei Jahren wieder. Inhaltlich steht die SPD vor vielen Positionsentscheidungen.