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Die Macht großer Anbieter im Lebensmitteleinzelhandel ist unter Experten umstritten. In einer Anhörung über die Nachfragemacht der Unternehmen und deren Konsequenzen prallten die Meinungen der Experten am Montag, 5. Juli 2010, im Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz hart aufeinander.
Von einer "Marktbalance“ sprach der Handelsverband Deutschland (HDE), gegen einen "Steinzeitkapitalismus“ wetterte Helmut Born vom Deutschen Bauernverband Während HDE-Vertreter Stefan Genth und der Einzelsachverständige Prof. Dr. Rainer Lademann eine Benachteiligung der Lebensmittelproduzenten durch Preisdiktate des Handels bestritten, beklagten die anderen Experten die Abhängigkeit der Hersteller von wenigen marktbeherrschenden Supermarktketten, deren Preisdruck sie ausgeliefert seien. Die Folge sei, so Franz-Josef Möllenberg von der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG), dass sich in der Ernährungsindustrie auch der Druck auf die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten zusehends erhöhe.
Genth wehrte sich dagegen, den Handel "einseitig anzugreifen“. Aus Sicht des HDE eröffnet der Einzelhandel der Konsumgüterbranche und den Erzeugern landwirtschaftlicher Produkte vielfältige Absatzchancen und "setzt dabei vor allem auf den Mittelstand“, so Genth. Die Hälfte der Frischwaren im Sortiment kämen aus Deutschland. Der Einzelhandel sei ein bedeutender, aber bei weitem nicht der einzige "Absatzkanal“ für die Produzenten, heißt es in einer beim Hearing vorgelegten HDE-Analyse.
Besonders der Export spiele für die Hersteller als Einnahmequelle eine große Rolle. Trotz der vermeintlich hohen Konzentration sei der Einzelhandel durch einen "funktionierenden Wettbewerb“ gekennzeichnet, die Verbraucher profitierten von Angebotsvielfalt. Genth verwies auf die niedrigen Lebensmittelpreise in Deutschland, die allerdings seit 2005 um immerhin elf Prozent gestiegen seien. Im Übrigen gebe es auch bei der Ernährungsindustrie Konzentrationsprozesse und in Teilen Überkapazitäten.
Lademann erklärte, ein Preisdruck laste nicht nur auf den Produzenten, sondern auch auf dem Einzelhandel, dessen Umsatzrendite laut Genth nur bei ein bis drei Prozent liegt. Nach Lademanns Aussagen haben die 500 großen Hersteller gegenüber dem Handel eine durchaus starke Nachfragemacht, während die 4.500 kleineren Produzenten oft von einzelnen Abnehmern abhängig seien.
Jürgen Abraham von der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie kritisierte entschieden die große Marktmacht der wenigen Supermarktketten. Deren ungerechtfertigtem Preisdruck sei ein Hersteller existenziell ausgeliefert, weil er keinen Abnehmer verlieren könne. Für die Verbraucher sei das günstige Preisniveau als Folge des "scharfen Wettbewerbs“ natürlich positiv, damit sei aber für die Konsumenten das Risiko eines Qualitätsverlusts beim Sortimentsangebot verbunden.
Born bezeichnete die Landwirte als "Kanonenfutter“ im Verdrängungswettbewerb der großen Handelsunternehmen. Die "verheerende Konsequenz“ des niedrigen Preisniveaus bei Lebensmitteln sei ein "immer stromlinienförmigeres Angebot“, mahnte der Sprecher des Bauernverbands. Der Einzelsachverstände Wolfgang Gutberlet plädierte für mehr Transparenz bei den Preisverhandlungen zwischen Handel und Anbietern.
Möllenberg monierte, dass die marktbeherrschenden Ketten den Herstellern finanzielle Zugeständnisse in vielfältiger Form abverlangten. Lasse sich ein Produzent auf diese Forderung nicht ein, werde er sehr schnell aus dem Sortiment ausgelistet. Der Gewerkschafter führte es nicht zuletzt auf diese Abhängigkeitsverhältnisse zurück, dass bei den Kartellbehörden kaum Anzeigen wegen Missbrauchs von Marktmacht eingingen.
Die niedrigen Preise für Lebensmittel zögen, wie Möllenberg kritisierte, einen "verstärkten Druck auf die Arbeits- und Einkommensbedingungen“ der Arbeitnehmer auf Herstellerseite nach sich.
Armin Valet von der Verbraucherzentrale Hamburg warnte, dass der Preiskampf im Handel eine "schleichende Qualitätsverschlechterung“ beim Lebensmittelangebot etwa durch die vermehrte Nutzung von Imitaten, von Geschmacksverstärkern oder künstlichen Aromen bewirke.
"Unfaire Einkaufspraktiken“ des Handels gegenüber den Produzenten beklagte Marita Wiggerthale von der marktkritischen Organisation Oxfam. Bei den Lieferanten herrsche ein "Klima der Angst“. Im Interesse menschenwürdiger Arbeitsbedingungen bei den Herstellern müssten diese die entsprechenden Kosten an den Handel weitergeben können.