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Vertreter von Nichtregierungsorganisationen, der Vereinten Nationen und der Industrie haben sich in einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung unter Vorsitz von Dagmar Wöhrl (CDU/CSU) am Mittwoch, 16. Juni 2010, kritisch zu den Chancen, die Millenniumsentwicklungsziele der Vereinten Nationen bis 2015 erreichen zu können, geäußert. Auf der vor zehn Jahren von 189 Mitgliedstaaten verabschiedeten Agenda stehen unter anderem die Halbierung der Zahl an Armut leidender Menschen, die Senkung der Kindersterblichkeit um zwei Drittel, deutliche Verbesserungen der medizinischen Versorgung und mehr Bildung.
Die Ziele drohten weitgehend nicht erreicht zu werden, sagte etwa Renate Bähr von der Deutschen Stiftung Weltbevölkerung. Sie betonte, dass sie einander hochgradig gegenseitig bedingten. So spiele das Ziel zur Geschlechtergerechtigkeit "eine zentrale Rolle" beim Erreichen der Gesundheitsziele wie der Verringerung der Mütter- und Kindersterblichkeit oder der Vermeidung von Aids-Infektionen.
Der UN-Diplomat Thomas Stelzer bezeichnete die Bilanz als "geteilt“. Negative Auswirkungen der Wirtschafts- und Finanzkrise seien zum Teil noch nicht absehbar. Zur Frage der Abgeordneten, ob die Ziele noch erreichbar seien, meinte er: "Yes we can – unter bestimmten Bedingungen.“ Mit den gemachten Erfahrungen sei es möglich, mit besserer Effizienz "die verbleibenden fünf Jahre zu nutzen“.
Klaus Seitz von "Brot für die Welt“ bezweifelte, dass eine Halbierung des Hungers bis 2015 noch zu erreichen sei. Er wies darauf hin, dass auch Erwerbstätige häufig unter der Armutsgrenze lebten. Angesichts der verbleibenden Zeit forderte Seitz von der Bundesregierung einen "konkreten Aktionsplan und die volle Bereitstellung der zugesicherten Mittel“.
Antje Schultheis vom Global Policy Forum Europe kritisierte, Deutschland zeige angesichts der Tatsache, dass für 2010 ein Anteil von 0,51 Prozent des Bruttonationalproduktes für die Entwicklungszusammenarbeit angepeilt war, wahrscheinlich aber nur 0,35 Prozent erreicht würden, "ein blamables Defizit“.
Assibi Napoe, Vorsitzende der Global Campaign for Education, bemängelte vor allem große Finanzierungslücken im Bildungsbereich, die alle anderen MDGs gefährdeten. Die parlamentarische Staatssekretärin im Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Gudrun Kopp (FDP), sagte dazu, dass Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (CDU) zu den von Deutschland gemachten finanziellen Zusagen stehe.
Auch werde der Anteil des für Entwicklungszusammenarbeit ausgegebenen Geldes am Bruttoinlandprodukt 2010 nicht bei 0,35, sondern voraussichtlich bei 0,41 Prozent liegen. Dieter Ernst, Leiter der AG Entwicklungspolitik im Bundesverband der Deutschen Industrie, verwies auf von der Privatwirtschaft und ausländischen Investitionen getragene positive Entwicklungen in zahlreichen Ländern. Er nannte Mikrokredite und die Entwicklung des Mobilfunksektors als Beispiele. Die FDP-Fraktion wies in diesem Zusammenhang auf das Potenzial sogenannter Private-Public-Partnerships hin.
Die CDU/CSU-Fraktion merkte an, dass angesichts der derzeitigen Haushaltslage Forderungen nach mehr Geld nicht immer umsetzbar seien. Angesichts des Problems der "Working Poor“ betonte die SPD-Fraktion die Notwendigkeit, neben Beschäftigung auch funktionierende soziale Sicherungssysteme zu schaffen.
Die Fraktionen von Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke wiesen darauf hin, dass Armutsbekämpfung nicht primär durch Förderung der Privatwirtschaft erreicht werden könne und Entwicklungspolitik sich vor allem an den Bedürfnissen der Ärmsten orientieren müsse.
Im Vorfeld der Anhörung hatten die Mitglieder des Unterausschuss des Auswärtigen Ausschusses "Vereinte Nationen, internationale Organisationen und Globalisierung“ fraktionsübergreifend mehr politisches Engagement für die Umsetzung der Ziele gefordert.
Ein UN-Gipfel zum Thema ist im September in New York geplant.