Navigationspfad: Startseite > Dokumente > Web- und Textarchiv > 2010
Gegen den scharfen Protest der drei Oppositionsfraktionen hat am Donnerstag, 17. Juni 2010, im Kundus- Untersuchungsausschuss die Koalitionsmehrheit entschieden, dass künftig die Öffentlichkeit im Prinzip von Zeugenvernehmungen ausgeschlossen wird und von dieser Regel nur aufgrund eines speziellen Votums im konkreten Einzelfall abgewichen werden darf.
Damit hoben Union und FDP einen zu Beginn des Ausschusses gemeinsam mit SPD, Linksfraktion und Bündnis 90/Die Grünen gefassten Beschluss auf, wonach Mitglieder der Regierung, Staatssekretäre, Abteilungsleiter und Pressesprecher sowie der Generalinspekteur der Bundeswehr und dessen Vize "grundsätzlich in öffentlicher Sitzung einvernommen werden“.
Der Obmann der CDU/CSU-Fraktion, Ernst-Reinhard Beck, begründete die Aufkündigung dieser Vereinbarung mit einer zwischenzeitlich erfolgten rechtlichen Prüfung durch den CDU-Abgeordneten Siegfried Kauder, wonach diese pauschale Verfahrensregel nicht mit der Geschäftsordnung des Bundestags zu vereinbaren sei.
Das Gremium soll Hintergründe und Konsequenzen des von Oberst Klein in der Nacht zum 4. September 2010 befohlenen und von zwei US-Piloten ausgeführten Bombardements zweier von den Taliban entführter Tanklaster aufklären, bei dem in der afghanischen Kundusregion bis zu 142 Tote und Verletzte samt vielen zivilen Opfern zu beklagen waren.
Beck erinnerte daran, dass sich im Fall Kundus der Verteidigungsausschuss, der generell nichtöffentlich tage, in einen Untersuchungsausschuss umgewandelt habe. Bei der Sitzung am 17. Juni lehnte die Koalition auch den Antrag der Opposition ab, Verteidigungsminister Dr. Karl-Theodor zu Guttenberg sowie die von dem CSU-Politiker entlassenen Topbeamten Wolfgang Schneiderhan, seinerzeit Generalinspekteur, und Dr. Peter Wichert, damals Staatssekretär, zu einer Gegenüberstellung zu laden. SPD, Linke und Grüne begründen ihre Forderung nach dieser Zeugenkonfrontation mit dem Argument, zwischen den Aussagen Guttenbergs sowie Schneiderhans und Wicherts hätten sich Widersprüche aufgetan.
Die Union hingegen erklärt, zur Erhellung dieser Differenzen sei eine Gegenüberstellung nicht geboten, wie dies die Ausschussregeln verlangten. Die Opposition warf der Koalition vor, eine "transparente Aufklärung verhindern zu wollen“ (SPD-Obmann Rainer Arnold), "auf Obstruktionskurs zu gehen“ (Linke-Sprecher Paul Schäfer) und "Tricksereien“ zu betreiben (Grünen-Obmann Omid Nouripour). Mit der Union seien offenbar keine "verlässlichen Verabredungen“ mehr möglich, sagte Arnold.
Die Vertreter der Opposition kritisierten, dass die Koalition plötzlich die gemeinsame Vereinbarung aufkündige, wonach Zeugen aus einer bestimmten Leitungsebene in der Regierung und der Bundeswehr generell öffentlich befragt werden. Nur auf dieser Basis habe man auf die Einrichtung eines normalen Untersuchungsgremiums nach Artikel 44 des Grundgesetzes verzichtet und der Umwandlung des Verteidigungsausschusses in einen Untersuchungsausschuss zugestimmt.
Arnold, Schäfer und Nouripour wollen nun die Einberufung eines üblichen Untersuchungsgremiums prüfen, um ein Höchstmaß an Öffentlichkeit herzustellen und die Minderheitenrechte zu wahren.
Arnold kündigte diesen Schritt für den Fall an, dass die vorgesehene Klage vor dem Bundesgerichtshof gegen die Ablehnung der Zeugengegenüberstellung Erfolg haben sollte und die Koalition die erneute Vernehmung zu Guttenbergs, Schneiderhans und Wicherts dann nur nichtöffentlich zulassen wolle.
Im Verlauf der ebenfalls in nichtöffentlicher Sitzung ausgetragenen Verfahrensstreitereien blieb zunächst offen, ob der für den 17. Juni zur öffentlichen Befragung geladene Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium, Rüdiger Wolf, noch angehört wird und ob dies in diesem Fall öffentlich geschieht.
Aus Zeitgründen verzichtet wurde von vornherein auf die ursprünglich geplante Vernehmung von Ministerialdirigent Ulrich Schlie und von Thomas Raabe, des ehemaligen Sprechers des früheren CDU-Verteidigungsministers Franz-Josef Jung.