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Der Bundestag hat die BAföG-Erhöhung und die Einführung eines nationalen Stipendienprogramms beschlossen. Die dazu von den Koalitionsfraktionen vorgelegten Gesetzentwürfe fanden am Freitag, 18. Juni 2010, eine Mehrheit unter den Abgeordneten. Für die BAföG-Novellierung (17/1551), die unter anderem eine Erhöhung der Bedarfssätze um zwei Prozent und der Freibeträge um drei Prozent vorsieht, stimmten neben CDU/CSU und FDP auch die Linksfraktion - SPD und Grüne enthielten sich.
Die Einführung eines Stipendienprogrammes (17/1552), wodurch bis zu acht Prozent der Studierenden an deutschen Hochschulen ein Stipendium von 300 Euro im Monat erhalten sollen, wurde von den Oppositionsfraktionen hingegen geschlossen abgelehnt. Union und FDP stimmten für die Einführung.
Abgelehnt wurden zudem Entschließungsanträge von SPD und Bündnis 90/Die Grünen sowie mehrere Oppositionsanträge, die sich zum einen für eine stärkere Erhöhung des BAföG ausgesprochen (SPD: 17/884; Die Linke: 17/1558; Grüne: 17/899) und zum anderen das Stipendienprogramm abgelehnt haben (Grüne: 17/1570).
Das letzte Wort zum Thema BAföG-Erhöhung und Stipendienprogramm-Einführung hat nun der Bundesrat, der sich voraussichtlich am 9. Juli mit den Gesetzen befassen wird.
Die Bundesregierung wolle junge Leute zur Bildung ermutigen, sagte Bundesbildungsministerin Dr. Annette Schavan (CDU) zu Beginn der Debatte vor dem Bundestag. Diejenigen, die sich für ein Studium entscheiden, sollten wissen, dass es "eine breite Vielfalt an Möglichkeiten der Studienfinanzierung gibt“. Die Bundesregierung wolle daher sowohl eine "weitere Entwicklung des BAföG als auch den Aufbau eines nationalen Stipendiensystems“.
Bildung, so die Ministerin, dürfe nicht vom "Geldbeutel der Eltern“ abhängig sein. Daher solle mit dem Stipendienprogramm, das "Investitionen der öffentlichen Hand und der Zivilgesellschaft“ beinhalte, ein neues Instrument geschaffen werden. "Damit geben wir ein überfälliges Signal“, sagte Schavan und verwies auf die seit über zehn Jahren andauernde Diskussion über Stipendiensysteme in Deutschland.
Dass dies erfolgreich sei könne und für mehr Studierende aus einkommensschwachen Familien an den Hochschulen sorgen könne, zeigten die Erfahrungen in Nordrhein-Westfalen, sagte die Ministerin.
Das zentrale Instrument bei der Ausbildungsförderung sei nach wie vor das BAföG, sagte der SPD-Abgeordnete Swen Schulz. Das Entscheidende dabei sei der Rechtsanspruch. "Alle können sich ausrechnen und sich darauf verlassen, was sie erhalten“, sagte Schulz. Nur so könne man Gerechtigkeit organisieren. "Das ist der entscheidende Unterschied zum Stipendienprogramm.“
Es sei im Übrigen die SPD gewesen, die das BAföG eingeführt und auch immer weiterentwickelt habe. Auch jetzt wolle seine Fraktion weitergehen, als die Koalition. "Wir wollen vor allem die Freibeträge um zehn Prozent erhöhen“, machte er deutlich. Darüber habe man mit der Koalition in den Dialog treten wollen, was aber nicht möglich gewesen sei.
Auch die Ergebnisse einer Expertenanhörung, wo deutlich geworden sei, dass die Regelung "zu kurz gesprungen ist“, habe die Koalition ignoriert, kritisierte Schulz. Er habe daher den Eindruck, dass die BAföG-Änderung lediglich als "Feigenblatt für das verkorkste Stipendienprogramm“ dienen solle.
Trotz schwieriger wirtschaftlicher Lage setze die Koalition mit der BAföG-Erhöhung ein Wahlversprechen um, sagte Martin Neumann (FDP). Das Ziel der "Bildungsrepublik Deutschland“ wolle man im Bereich der Studierenden durch einen Dreiklang aus BAföG, Stipendien und Bildungsdarlehen erreichen, "damit der Bildungsaufstieg nicht an finanziellen Hürden scheitert“, sagte er.
Die BAföG-Erhöhung würde zu einer "spürbaren Verbesserung“ führen und zugleich auch die soziale Komponente "angemessen würdigen“, da BAföG auch weiterhin nur denjenigen zugute komme, die auch tatsächlich bedürftig seien.
Die Ergänzung der Ausbildungsförderung durch Stipendien sorge für eine Unterstützung in der Breite und in der Spitze. Er hoffe nun, sagte der FDP-Politiker, dass der Bundesrat die Änderungen am 9. Juli tatsächlich auf den Weg bringe.
Die Abgeordnete der Linksfraktion, Nicole Gohlke, verwies auf die ihrer Ansicht nach "breite Kritik am Stipendienprogramm der Bundesregierung“. Selbst die derzeitigen Stipendiaten kritisierten den vorgelegten Gesetzentwurf, sagte Gohlke. Unter den wenigen Fürsprechern fänden sich hingegen vor allem Unternehmen, die jedoch "noch stärker an der Auswahl der zu Fördernden beteiligt werden wollen“.
An den Kosten würden sie sich hingegen nur zu einen Drittel beteiligen, kritisierte sie. „Den Rest holen sie über Steuerzuwendungen wieder rein.“ Besser wäre es aus Sicht der Abgeordneten, das BAföG deutlich auszubauen. Bisher jedoch sei noch nicht einmal die "Mini-Erhöhung“ gesichert. Die Ministerpräsidenten Koch (CDU) und Seehofer (CSU) hätten angekündigt, das Gesetz im Bundesrat zu blockieren und wollten so "die Finanznot der Länder auf dem Rücken der sozial Schwachen austragen“.
Wenn die Bundesregierung also wirklich die BAföG-Erhöhung wolle, müsse sie die Länderfinanzen stärken, etwa indem sie auf das "unsoziale und undemokratische Stipendienprogramm“ verzichte.
Auch aus Sicht von Kai Gehring (Bündnis 90/Die Grünen) geht das Paket der Bundesregierung an den meisten Studierenden vorbei. Es sei falsch, 160 Millionen Euro Steuergelder "in das Stipendienprogramm pumpen zu wollen“, statt damit das BAföG zu stärken. Es sei zudem ein "starkes Stück“, dass die "einhellig vernichtende Kritik der Fachwelt“ ignoriert werde.
"Ihr Stipendienmurks ist bei den Sachverständigen durchgefallen“, sagte Gehring. "Zurückziehen statt durchziehen“ müsse die Lehre daraus sein. Das Programm komme erneut den "Gutbetuchten“ zugute und verhindere eine "soziale Öffnung der Hochschulen“, kritisierte er.
Gleichzeitig vertiefe es regionale Unterschiede und benachteilige geistes- und sozialwissenschaftliche Studiengänge. Das habe sich schon in Nordrhein-Westfalen gezeigt. „Was in NRW nicht läuft, sollte nicht auf das ganze Land ausgedehnt werden“, befand der Grünen-Politiker.
Als einen "beachtlichen Wurf“ bezeichnete hingegen der Unionsabgeordnete Stefan Kaufmann die BAföG-Novellierung. Dies zeige, dass es der Koalition ernst sei mit dem Thema "Aufstieg durch Bildung“. Als "Ammenmärchen“ bezeichnete Kaufmann Aussagen der Opposition, finanzielle Gründe seien der Grund für viele jungen Menschen, kein Studium aufzunehmen.
Für eine solche Entscheidung, so der CDU-Politiker, gebe es viele weitere Gründe. Zudem müsse festgehalten werden, dass im Jahr 2008 330.000 junge Leute ein Studium aufgenommen hätten, und damit mehr als je zuvor. Ein ebenfalls "bemerkenswerter Befund“ sei: Dort wo Studiengebühren erhoben würden, wie etwa in Bayern und Baden Württemberg, seien die Zahlen der Studienanfänger zuletzt überproportional gestiegen, sagte Kaufmann.