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Die nach der Abgabenordnung mögliche strafbefreiende Selbstanzeige bei Steuerhinterziehung ist unter Sachverständigen völlig umstritten. "Wer die Selbstanzeige gänzlich abschaffen will, schießt über das Ziel hinaus“, erklärte Prof. Dr. Wolfgang Joecks von der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald in einer öffentlichen Anhörung des Finanzausschusses am Mittwoch, 7. Juli 2010. Dagegen betonte Martin Kemper, Richter am Finanzgericht München, "dass die Legitimation der Selbstanzeige nur schwach begründet ist und einer Streichung von Paragraf 371 der Abgabenordnung damit im Ergebnis keine gewichtigen Argumente entgegenstehen“.
In der Anhörung ging es um mehrere Anträge und Gesetzentwürfe der Fraktionen. So fordern die CDU/CSU- und FDP-Fraktion in einem gemeinsamen Antrag (17/1755), die Selbstanzeige dürfe nicht mehr als Gegenstand einer Hinterziehungsstrategie missbraucht werden. Strafbefreiung solle nur noch derjenige erhalten, der alle noch verfolgbaren Steuerhinterziehungen der Vergangenheit vollständig offenbare.
Ähnlich argumentieren die Ausschüsse des Bundesrates, deren Empfehlungen ebenfalls Gegenstand der Anhörung waren. Die Rückkehr in die Steuerehrlichkeit dürfe nur dann mit Strafbefreiung honoriert werden, wenn die Selbstanzeige freiwillig, vollständig und richtig erstattet werde.
Die SPD-Fraktion verfolgt dagegen mit einem Gesetzentwurf (17/1411) das Ziel, die Möglichkeit der Selbstanzeige abzuschaffen. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen fordert eine Verschärfung der Kriterien der Selbstanzeige (17/1765). Die Linksfraktion will unter anderem eine Meldepflicht für größere Auslandsüberweisungen (17/1149) zur Bekämpfung der Steuerhinterziehung.
Joecks erklärte, er habe die Selbstanzeige als Hinterziehungsstrategie in 30 Jahren Berufspraxis noch nicht erlebt. Er rate zu einem behutsamen Vorgehen. Man könne aber über die Vorschläge des Bundesrates reden, empfahl der Wissenschaftler. Der Steuerberater-Verband wies ebenfalls den Verdacht zurück, es könne Hinterziehungsstrategien geben. Vielmehr gebe es Fälle, dass Schwarzgeld irgendwann Probleme bereit, etwa weil es sich nicht vererben lasse und dann zum Instrument der Selbstanzeige gegriffen werde.
Ein Vertreter der Steuerberaterkammer erklärte, das bestehende System mit der Selbstanzeige habe sich in der Praxis bewährt. Hinterziehungsstrategien bei der Selbstanzeige konnte er ebenfalls nicht bestätigen. Er wies außerdem darauf hin, dass zum Beispiel in Fällen von unwissentlich falschen Angaben für den Kindergeldbezug - etwa wenn Einkünfte der Kinder nicht bekannt gewesen seien - das Instrument der Selbstanzeige notwendig sei, um Kriminalisierungen zu vermeiden.
Solchen Angaben widersprachen Deutsche Steuer-Gewerkschaft und Deutscher Gewerkschaftsbund (DGB) energisch. Der Vorsitzende der Steuer-Gewerkschaft, Dieter Ondracek, erklärte, unwissentlich gemachte falsche Angaben beim Kindergeld seien "nie und nimmer strafrechtlich relevant“. Dass jemand mit "null Strafe“ davonkommen könne, gebe es nur im Steuerbereich. Es habe mit dem Rechtsstaat nichts mehr zu tun, wenn sich der Staat die Pflicht zur Strafverfolgung abkaufen lasse.
Ondracek empfahl einen "klaren Schnitt“. Selbstanzeigen gebe es nur, wenn die Entdeckung unmittelbar bevorstehe: "Das ist das, was ich Strategie nenne.“ Auch Dr. Susanne Uhl vom DGB bestritt, dass Kindergeldfälle unter die Selbstanzeige fallen würden. Auf die Selbstanzeige könne problemlos verzichtet werden.
Prof. Dr. Rudolf Hickel vom Institut Arbeit und Wirtschaft der Universität Bremen sagte zu den in diesem Jahr bisher eingegangenen 21.000 Selbstanzeigen mit einem Volumen von 1,5 Milliarden Euro an entgangenen Steuern: "Das sind keine Kindergeldfälle“.
Wie Hickel sah auch die Organisation "Tax Justice Network“ Probleme mit Vereinbarungen zum besseren Informationsaustausch mit so genannten Steueroasen. Die geschlossenen Abkommen seien fast nur Placebos, so "Tax Justice Network“.
Prof Dr. Markus Jäger, Richter am Bundesgerichtshof, warnte davor, durch eine Abschaffung der Selbstanzeige "das Kind mit dem Bade auszuschütten“. Auch Steueranwalt Rainer Spatschek empfahl die Beibehaltung der Selbstanzeige. Oft sei es so, dass Mandaten, etwa aus Altersgründen, mit dem Schwarzgeld nichts mehr anzufangen wüssten und zum Instrument der Selbstanzeige greifen würden.
Der Zentrale Kreditausschuss, in dem die großen Bankenverbände zusammengeschlossen sind, hält die Selbstanzeige "für ein grundsätzlich geeignetes Instrument des Fiskus, um Kenntnis von bislang nicht bekannten steuerlich relevanten Sachverhalten zu erlangen und diese zu besteuern“.