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Der Finanzmarkt wird reguliert. Am Freitag, 2. Juli 2010, hat der Bundestag die von den Koalitionsfraktionen vorgeschlagenen Regelungen zur Eindämmung von Finanzmarktspekulationen beschlossen. Entsprechend der durch den Finanzausschuss abgeänderten Fassung des Gesetzes zur Vorbeugung gegen missbräuchliche Wertpapier- und Derivatgeschäfte (17/1952, 17/2336) sind nun ungedeckte Leerverkäufe von Schuldtiteln von Staaten der Eurozone, die an einer inländischen Börse zum Handel im regulierten Markt zugelassen sind, ebenso untersagt wie der Handel mit Kreditausfallversicherungen (CDS), soweit die Referenzverbindlichkeit zumindest auch eine Verbindlichkeit eines Staates der Eurozone ist und sie nicht der Absicherung von Ausfallrisiken dienen.
Anders als in der ursprünglichen Fassung des Entwurfes werden jedoch so genannte Intraday-Geschäfte - also Geschäfte, die innerhalb eines Tages abgeschlossen werden - von dem Leerverkaufsverbot ausgenommen. Außerdem fällt die geplante Ermächtigung für das Bundesfinanzministerium (BMF) weg, bestimmte schädliche Finanzinstrumente per Verordnung verbieten zu können.
Stattdessen soll darüber künftig der Bundestag entscheiden. Union und FDP stimmten dem Gesetz zu. Die SPD lehnte die Vorlage ab - Grüne und Linksfraktion enthielten sich. Im Anschluss an die Debatte wurden zudem zwei Anträge der Linksfraktion (17/1151, 17/2336; 17/1733, 17/2097) auf Empfehlung des Finanzausschusses abgelehnt.
Während sich Redner der Koalition zufrieden über das Gesetz in seiner abgeänderten Fassung zeigten und damit die "Handlungsfähigkeit der Koalition“ bestätigt sahen, wie der Unionsabgeordnete Leo Dautzenberg sagte, gab es Kritik von der Opposition. Das Gesetz sei "verwässert“ und somit "völlig wirkungslos“, sagte Manfred Zöllmer (SPD). Es habe "zu viele Lücken“, um die Probleme zu beseitigen, befand auch der Grünen-Finanzexperte Dr. Gerhard Schick.
Mit dem Gesetz werde eine "Notwendigkeit“ auf den Weg gebracht, sagte Leo Dautzenberg (CDU/CSU). Ungedeckte Leerverkäufe hätten dazu geführt, dass negative Entwicklungen auf den Märkten beschleunigt würden: "Dem muss Einhalt geboten werden“, sagte Dautzenberg.
Die Expertenanhörung zum Thema habe gezeigt, dass der Weg der Koalition "vom Grundsatz her“ richtig sei. Folge dieser Anhörung sei auch, die Herausnahme der Verbotsermächtigung für das Bundesfinanzministerium. Damit sei man dem "gerechtfertigtem Petitum der Industrie“, die um die Möglichkeit von langfristigen Absicherungsgeschäften gefürchtet habe, nachgekommen.
Einen ganz anderen Eindruck von der Anhörung hatte hingegen der SPD-Abgeordnete Manfred Zöllmer gewonnen. Seiner Ansicht nach haben die Experten bestätigt, dass es sich bei dem Gesetz um ein "Placebo“ handele, mit dem die Koalition reine "Symbolpolitik“ betreibe, sagte Zöllmer. Dies gelte erst recht nach den von der Koalition im Finanzausschuss durchgesetzten "Verwässerungen“.
So sei die Einschränkung des Leerverkauf-Verbots auf "Titel der Eurozone“, die auf "regulären Märkten“ gehandelt werden, nicht ausreichend. Tatsächlich finde der Handel zumeist an "außerbörslichen Orten“ statt, sagte Zöllmer. Auch würde durch die Aufhebung des Verbotes von Leerverkäufen, die an einem Tag abgewickelt werden, "möglicher Missbrauch wieder zugelassen“. Insgesamt zeige das Gesetz die "Hilflosigkeit der Koalition im Umgang mit der Finanzlobby“, befand der SPD-Finanzpolitiker.
Der FDP-Abgeordnete Björn Sänger warf der SPD vor, wohl nicht verwunden zu haben, dass "wir regulieren, während Sie jahrelang nicht reguliert haben“. "Sie waren elf Jahre lang untätig“, so Sänger an die Sozialdemokraten gewandt. Die Koalition handele hingegen und suche zugleich auch die Abstimmung auf EU- wie auch auf G20-Ebene.
Sänger räumte ein, dass ein grundsätzliches Handelsverbot für Freidemokraten "starker Tobak“ sei. Zudem sei insbesondere am Bankenstandort Frankfurt am Main immer wieder zu hören, dass ein Nachweis für die "Krisenursächlichkeit“ von Leerverkäufen bislang nicht erbracht worden sei.
Stattdessen seien diese Instrumente auch für die Liquidität am Markt wichtig. "Die Antwort darauf kann immer nur sein: Damit wurde Missbrauch betrieben“, sagte Sänger. Dies zu verhindern sei Ziel des Gesetzes. Die FDP habe aus der Krise gelernt und folge dem Grundsatz, dass "kein Akteur und kein Produkt aus der Finanzbranche ohne klare Regeln auskommt“.
Dr. Barbara Höll, Abgeordnete der Linksfraktion, verwies auf einen "Konstruktionsfehler des Euro“, der zu den heutigen Problemen geführt habe. Wenn man nämlich heute Griechenland, Spanien und Portugal vorwerfe, über ihre Verhältnisse gelebt zu haben, werde eines vergessen: "Wir haben schon 1998 darauf hingewiesen, dass die Grundlagen einer gemeinsamen Währung in der Angleichung der realwirtschaftlichen und sozialen Entwicklung der Mitglieder bestehen“, erinnerte Höll.
Nach wie vor existierten jedoch wesentliche Produktivitätsunterschiede, sagte sie. Das bedeute: ohne abgestimmte Wirtschaftspolitik kein langfristiger Erfolg. Die jetzige Krise, so Höll sei keine "kurzfristige Finanzkrise“, sondern "das Ergebnis ihrer damaligen kurzsichtigen Politik“.
Mit dem vorgelegten Gesetz wolle die Bundesregierung nun "halbherzig“ regulieren. Ziel müsse es hingegen sein, eine Finanztransaktionsteuer einzuführen, Transparenz auf den Märkten herzustellen und einen Finanz-TÜV zu schaffen.
Es sei "richtig und wichtig“, ungedeckte Leerverkäufe zu verbieten, sagte der Dr. Gerhard Schick von den Grünen. So könne man den "Herdentrieb“ am Markt begrenzen. Gleichwohl offenbare das Gesetz Lücken. Wenn in ihm der Handel nur an börslichen Plätzen verboten werde, sei doch schon klar, wie das Verbot umgangen werden könne. Auch dass nur der Handel mit Papieren, die in Euro notiert sind, von dem Verbot betroffen seien, zeige eine "riesengroße Lücke“.
Einzig guter Teil in dem Gesetz, so der Finanzexperte der Grünen, seien die vorgesehenen Meldepflichten, die zu mehr Transparenz führen sollen. Hier stelle sich die Frage, warum die SPD das in den vergangenen elf Jahren nicht gemacht habe. Wenn nun aber die FDP dazu applaudiere, so Schick, müsse daran erinnert werden, dass es die Freidemokraten gewesen seien, die jahrelang "freie Fahrt für Finanzmärkte“ gefordert hätten.
Kritik übte Schick auch an der seiner Ansicht nach fehlenden europäischen Abstimmung bei der Festlegung auf ein Leerverkaufsverbot in Deutschland. "Vorangehen ist gut - Europa brüskieren aber nicht“, sagte er. Dies habe zu "Chaos auf den Finanzmärkten“ geführt. "So gewinnt man keine Partner“, befand Schick.