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Es wird oft als Gedächtnis des Bundestages bezeichnet: das Parlamentsarchiv. Ein treffender Vergleich, denn ähnlich wie im menschlichen Gehirn sind hier Kenntnisse, Entwicklungen und Erfahrungen der Vergangenheit gespeichert. Und ebenso wie der Mensch sich in vielfältiger Form erinnert, beherbergt das Parlamentsarchiv neben Schriftgut wie Akten und eigens zusammengestellten Gesetzesdokumentationen auch Fotos, Ton- und Videobänder. Selbst das Internetangebot des Bundestages wird inzwischen in einem eigenen Webarchiv bewahrt.
Kein Wunder also, dass im 30-köpfigen Team des Parlamentsarchivs nicht nur Archivare arbeiten, sondern auch Techniker - wie Reyko Krasemann. Im Tonstudio, das sich wie das gesamte Archiv im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus vis-a-vis des Reichstagsgebäudes befindet, ist der Bild- und Tontechniker gerade dabei, eine große Tonbandspule in ein Abspielgerät einzulegen.
Die Hände in dünnen, weißen Stoffhandschuhen, führt der 30-Jährige das Magnetband am Tonkopf vorbei und fädelt es auf einer zweiten Spule auf. Die Handschuhe spielen dabei eine wichtige Rolle: "Fingerabdrücke können zu Abrieb und zu 'drop outs’, also Tonausfällen, führen", erklärt Krasemann. Und das wäre ärgerlich, schließlich stammt das Band aus der siebten Wahlperiode des Bundestages. Mehr als dreißig Jahre sind die darauf gespeicherten Reden inzwischen alt.
Ein behutsamer Umgang mit solch raren Aufnahmen versteht sich somit von selbst, doch geht es Krasemann und den Archivaren im Bundestag um mehr: Die Mitschnitte sollen langfristig für künftige Generationen gesichert und nutzbar gemacht werden. (sas)
Aus diesem Grund hat der Bundestag 2006 begonnen, alle analogen Tondokumente zu digitalisieren. Bei mehr als 4.000 Bändern, die sich bis heute seit der Konstituierung des ersten Deutschen Bundestages im Jahr 1949 angesammelt haben, eine Mammutaufgabe.
Zu viel für einen Techniker allein, weshalb eine private Firma mit der Digitalisierung beauftragt wurde. "Das wäre sonst eine Lebensaufgabe für mich geworden", seufzt Reyko Krasemann. So muss der Techniker nur in Einzelfällen, etwa wenn ein Abgeordneter sich für eine bestimmte Rede interessiert oder ein Radiosender um die Kopie einer historischen Plenardebatte bittet, selbst eine Tonbandaufnahme auf DVD überspielen.
Die Hauptaufgabe Krasemanns, der zuvor für diverse Fernsehsender gearbeitet hatte, bevor er vor drei Jahren zum Parlamentsarchiv kam, ist ohnehin die laufende Archivierung von digitalen Videoaufnahmen. Seit dem Jahr 2000 werden jede Plenarsitzung des Bundestages, jede Sonderveranstaltung - wie etwa zuletzt die Bundespräsidentenwahl - und nahezu alle öffentlichen Ausschusssitzungen in Bild und Ton, als digitale Videos aufgenommen.
Als Speichermedium dienen so genannte 'Digital Betacam’, digitale Bänder, wie sie auch im Fernsehbereich üblich sind. "Digibetas sind zwar nicht das Neueste, was es auf dem Markt gibt", sagt Krasemann und legt eine Kassette in den Recorder. Aber das sei im Parlamentsarchiv auch nicht entscheidend. "Uns geht es um die Dokumentation des parlamentarischen Geschehens. Daher setzen wir auf sichere, geprüfte Medien."
Im Tonstudio, in dem sich Jahrzehnte der Technikgeschichte anhand von unterschiedlichsten Abspielgeräten, Computern und Monitoren ablesen lassen, unterzieht Krasemann dann jede einzelne bespielte Videokassette vor der Archivierung einem inhaltlichen und technischen Check: Ist alles komplett? Stimmen Ton- und Bildqualität? Erst wenn er dies überprüft hat, wird die Original-Kassette 'gedubt’, also einmal kopiert. Verwendet wird danach nur noch diese Sicherheitskopie, um das Original zu schonen. Beide Kassetten erhalten schließlich eine Nummer und werden im Archivsystem vermerkt.
Ihren ersten, vorläufigen Standort bekommen die Kassetten im so genannten 'Naharchiv’, einem kleineren Magazin, das sich gleich neben dem Tonstudio befindet. "Unser Kühlschrank", scherzt Reyko Krasemann und öffnet die Tür zu einem Raum, in dem in vier Reihen Regal an Regal steht. Bei gleich bleibender Luftfeuchtigkeit und einer Temperatur von 16 Grad finden hier alle Aufnahmen der laufenden Legislaturperiode Platz, bevor sie in einem der großen Magazine im Kellergeschoss einen Platz zugewiesen bekommen.
Doch auch dieser ist nicht für immer: Die Lebensdauer einer Digital Betacam ist nämlich begrenzt. "Ungefähr alle 15 Jahre muss man sie kopieren, um Datenverluste zu vermeiden", sagt der Techniker. Die Zukunft, hofft er, sieht aber anders aus: "Da werden wir 'filebasiert’ archivieren, auf großen Festplatten." Dies könne man bereits bei den großen Fernsehanstalten beobachten: "Die haben die Digibetas ausrangiert und nutzen jetzt riesige Serversysteme."
Im Vergleich dazu erscheint die Archivierung von Papier gerade zu einfach: Zumindest ist sie seit Jahrhunderten erprobt. Mit der optimalen Luftfeuchtigkeit, Temperatur und bei richtigen Lichtverhältnissen bleibt Papier relativ lange stabil. Doch auch hier müssen Sicherungsmaßnahmen ergriffen werden. So hat das Parlamentsarchiv damit begonnen, erste Bestände zusätzlich auf Mikrofilm zu sichern.
Darüber hinaus haben die Archivare im Parlamentsarchiv bei der Bewahrung von Schriftgut weitere Herausforderungen zu meistern. Die größte ist sicher die Datenflut, aus der es gilt, das Wichtige und Bewahrenswerte herauszufiltern. Bei einer Institution wie dem Bundestag, die Tonnen von Papier produziert, keine leichte Aufgabe.
Hilfe bietet dabei der so genannte 'Aktenplan’. Seit 2003 in Anwendung, gibt er der Bundestagsverwaltung eine Systematik an die Hand, nach der die Akten schon dort, wo sie entstehen, vorsortiert werden können. Während etwa mit "K" gekennzeichnete Akten nach Ablauf der jeweiligen Aufbewahrungsfrist und Zustimmung des Parlamentsarchivs meist in den Reißwolf wandern können, zeigt die Markierung mit "A" an, dass diese archiviert werden sollen. Das sind pro Jahr etwa 350 Meter.
In den Jahren seit seinem Bestehen hat dort auch so manch wertvolles Dokument seinen Platz gefunden. Da seine Wurzeln noch auf die Zeit vor der Gründung der Bundesrepublik zurückgehen, befinden sich unter den hier gesammelten Unterlagen sogar Bestände aus der Zeit vor der konstituierenden Sitzung des ersten Deutschen Bundestages im September 1949.
Seitdem ist das Archiv natürlich deutlich gewachsen: Es beherbergt heute neben den 11.000 Ton- und Videobändern sowie -kassetten mehr als 12.000 Meter Akten, etwa 7.100 Gesetzesdokumentationen sowie 90.000 Bilder.
Die größte Herausforderung der letzten Jahre war für die Archivmitarbeiter die digitale Revolution. Die Nutzung des Internets sowie digitaler Medien und Geräte machte schließlich nicht vor dem Bundestag halt - und stellte das Parlamentsarchiv vor neue Probleme.
Seit 2002 wird im Bundestag fast ausschließlich digital fotografiert. Doch wie diese Bilder am besten archiviert werden sollten, war zunächst unklar. Jahrzehntelang lang wurde analog fotografiert - und Papierabzüge, Negative und Dias ließen sich relativ einfach aufbewahren.
Bis heute werden dafür so genannte Rotomaten verwendet. So werden die Archivschränke genannt, in denen sich Paternoster verbergen, durch die sich die Hängeregister mit den gefüllten Fotomappen bewegen lassen. Doch wie digitale Fotos sicher ohne Datenverlust speichern? Welches Format und welche Auflösung verwenden?
"Es gab kein anderes Archiv, das schon Erfahrung im Aufbau eines digitalen Bildarchivs hatte, auf die wir zurückgreifen konnten", erinnert sich Angela Ullmann, die den Bereich Audiovisuelle Medien im Parlamentsarchiv leitet. "Wir waren die Ersten." Heute nutzen dafür andere Archive im In- und Ausland gern die Expertise des Bundestages.
Pionierarbeit haben die Mitarbeiter des Archivs sowie der Informationstechnologie im Bundestag aber auch auf anderen Feldern geleistet: Seit 2003 steht das Konzept für die Archivierung elektronischer Akten, seit 2004 verfügt der Bundestag unter www.bundestag.de zudem über ein Webarchiv. In dieser Online-Datenbank werden kontinuierlich die kompletten parlamentarische Internetangebote gespeichert und so für Jedermann einfach per Mausklick zur Verfügung gestellt.
Seit etwa einem Jahr gehört zum Internet-Angebot des Bundestages darüber hinaus eine Mediathek. Hier können die Nutzer auf eigene Faust in den Videoaufzeichnungen stöbern. Ein guter Service, findet Reyko Krasemann: "Wer will, kann sich Plenarsitzungen, einzelnen Reden oder Sonderveranstaltungen selbst in DVD-Qualität herunterladen."
Doch damit nicht genug: Die Mitarbeiter des Parlamentsarchivs widmen sich bereits dem nächsten Großprojekt - der Entwicklung eines neuen Archivverwaltungssystems. Ziel ist es dabei, die Auffindbarkeit der verwahrten Dokumente zu verbessern.
"Früher wurden die Ton- und Videoaufzeichnungen teilweise nach unterschiedlichen Systemen beschriftet", erklärt Krasemann. Das erschwert die Suche bis heute. Deshalb haben die Archivare im vergangenen Jahr damit begonnen, eine neue Systematik zu erstellen, nach der nun sukzessive der Archivbestand geordnet wird.
Wie auch für die anderen Mitarbeiter bedeutet das für Krasemann vor allem eins: Vieles muss neu nummeriert werden. "Eine Riesenaufgabe", sagt er. Doch die Arbeit wird sich lohnen: Nicht nur sollen die einzelnen Dokumente im Archiv schneller auffindbar sein, auch ist geplant, bei der Suche im elektronischen Archivverwaltungssystem alle Dokumentarten zu bündeln: "Wenn man dann nach einem Stichwort sucht, findet man alles, was dazu archiviert wurde, egal ob es Akten, Bilder oder eben Videos sind."