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Manuela Schwesig, Ministerin für Soziales und Gesundheit in Mecklenburg-Vorpommern © DBT/photothek.net
Die Ausgestaltung bedarfsgerechter Regelsätze beim Arbeitslosengeld II ("Hartz IV") hat am Mittwoch, 29. September 2010, im Bundestag erneut zu Streit zwischen Koalition und Opposition geführt. CDU/CSU und FDP hatten die Aktuelle Stunde zum Thema "Einen fairen Interessenausgleich zwischen Beschäftigten und Arbeitsuchenden mit bedarfsgerechten Regelsätzen schaffen" beantragt hatten. Sie verteidigten ihre Berechnung der Hartz-IV-Sätze als transparent und nachvollziehbar und luden die Opposition ein, sich an einer sachgerechten Lösung zu beteiligen.
Anlass der Aktuellen Stunde war der Beschluss der Bundesregierung zur Neuregelung der Berechnung der Hartz-IV-Leistungen. Der Hartz-IV-Regelsatz soll ab dem 1. Januar 2011 um fünf Euro von 359 auf 364 Euro im Monat steigen. Die Opposition warf der Koalition mangelnde Transparenz und eine Umsetzung des Bundesverfassungsgerichtsbeschlusses vom Februar 2010 nach Kassenlage vor und forderte einen Mindestlohn.
Bundessozialministerin Dr. Ursula von der Leyen (CDU) verteidigte als erste Rednerin der Debatte die Neuberechnung des Regelsatzes. Alle Kriterien des Bundesverfassungsgerichts seien eingehalten, umfassende Berechnungen und alle Entscheidungen detailliert dargelegt worden. Es gehe aber nicht allein um Existenzsicherung
Das Vertrauen der Menschen auf Aufstiegsmöglichkeiten in der Gesellschaft dürfe nicht verloren gehen, so die Ministerin. Dafür sei das Bildungspaket in Höhe von 620 Millionen Euro ein deutliches Zeichen. Politik müsse den Menschen etwas zutrauen und Perspektiven schaffen.
Hier sei eine große Chance vertan worden, warf Manuela Schwesig(SPD), Ministerin für Soziales und Gesundheit in Mecklenburg-Vorpommern, von der Leyen vor. Sie vermisse den beherzten Kampf gegen Kinderarmut und Antworten darauf,wie Menschen wieder in den Job kommen. Ein menschenwürdiges Existenzminimum dürfe nicht im Hinterzimmer ausgekungelt werden.
Um das Lohnabstandsgebot einzuhalten, müsste man die Löhne erhöhen, sagte Schwesig. Erforderlich sei ein Bildungspaket und nicht ein" Bildungspäckchen". Kinder brauchten einen Rechtsanspruch auf Teilhabe. Schwesig bedauert, dass bisher nicht mit den Kommunen und Ländern zusammengearbeitet worden sei.
Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) bezeichnete das Verhalten der SPD als unangebracht. Sie solle die Ärmel hochkrempeln, selbst mithelfen und mit "gebotener Demut" den Gesetzgebungsprozess begleiten. Die SPD mache sich lächerlich, schließlich seien die aktuellen Regelsätze von einem SPD-Minister ermittelt worden, sagte Kolb.
Sparen bei den Ärmsten sei keine sozialgerechte Politik, verurteilte Diana Golze (Die Linke) das Vorgehen der Koalition. Die Regelsätze seien "heruntergerechnet" worden. Ein Verfahren ohne Beteiligung der Öffentlichkeit sei nicht sachgerecht.
Auch Renate Künast (Bündnis 90/Die Grünen) kritisierte mangelnde Transparenz. Dem Ausschuss seien Zahlen vorenthalten worden. Sachleitend für die Entscheidung seien nicht die Kriterien des Bundesverfassungsgerichts gewesen, sondern nur das Lohnabstandsgebot. Das Ergebnis habe schon vorher festgestanden, betonte die Fraktionsvorsitzende der Grünen. Erforderlich wären eine Qualifizierungsoffensive und Maßnahmen zur Wiedereingliederung.
Als "Verwirrungsaktion“ bezeichnete Karl Schiewerling (CDU/CSU) die Äußerungen Künasts. Es gebe einen gemeinsamen Konsens zur Grundsicherung. Die Daten seien sehr sorgfältig erhoben worden. Noch nie habe es bei der Regelung der Bedarfssätze so viel Transparenz gegeben. Kinder erhielten Teilhabechancen. SPD und Bündnis 90/Die Grünen sollten mithelfen wie bei der Jobcenter-Reform, das, was sie selbst miterschaffen hätten, wieder in Ordnung zu bringen.
Elke Ferner (SPD) warf der Koalition vor, mit aller Gewalt die Regelsätze niedrig zu halten. Der Zahlenwirrwarr sei nicht tranparent. Das Grundproblem der Arbeitslosigkeit werde nicht gelöst, im Gegenteil: Bei der Arbeitsmarktpolitik werde gekürzt, Kombilöhne würden ausgeweitet, ein Mindestlohn nicht eingeführt.
Mit Ländern und Kommunen werde nicht gesprochen, einen Rechtsanspruch für Kinder auf Teilhabe gebe es nicht, so die SPD-Abgeordnete. Der Zuschuss für Schulessen betreffe gerade mal 20 Prozent der Kinder.
Als vorhersehbar und für jedermann durchschaubar bezeichnete hingegen Pascal Kober (FDP) die Reaktion der Opposition. Die Koalition habe klar und nachvollziehbar dargelegt, was Bestandteil der Regelleistung sei und was nicht und dies sogar begründet. Der Regelsatz von Kindern und Jugendlichen werde eigenständig berechnet. Ihre Entwicklungs- und Teilhabechancen würden gestärkt. Endlich werde auch der Bildungsbedarf von Kindern in Arbeitslosengeld-II-Haushalten berücksichtigt.
Annette Kramme (SPD) kritisierte das Teilhabepaket als viel zu klein und die Berechnung der Bedarfsgrundlage als nicht nachvollziehbar. Das sogenannte Schulstarterpaket habe es bisher schon gegeben. Die Bezugsgruppe für die Bedarfsberechnung sei von bisher 20 auf 15 Prozent verkleinert worden. Dafür gebe es keinerlei Erläuterungen, Alternativberechnungen seien nicht vorgelegt worden. Kramme forderte den Ausbau einer Infrastruktur, etwa den Ausbau von Ganztagsschulen.
Ingrid Fischbach (CDU/CSU) verteidigte den Entwurf der Koalition. Erstmals seien Internet und Praxisgebühr bei den Berechnungen berücksichtigt worden. Es solle doch konkret gesagt werden, wo man mehr wolle, sagte sie an die Opposition gewandt.
Den Auftrag, die Grundsicherung transparent und nachvollziehbar zu gestalten, formulierte der CSU-Abgeordnete Max Straubinger. Hartz IV sei nicht mit Armut gleichzusetzen, sondern Grundlage eines menschenwürdigen Lebens und eine großartige Leistung des Sozialstaats.
Als bürokratisches Monstergesetz bezeichnete hingegen Gabriele Hiller-Ohm (SPD) den Koalitionsentwurf. Es sei schlampig gemacht, die Verfassungskonformität sei fraglich.
Die Opposition würde machtpolitische Debatten auf dem Rücken derjenigen austragen, die das Geld brauchen, kritisierte Carsten Linnemann (CDU/CSU). (klz)