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Nach Ansicht von Bildungsexperten muss sich das deutsche Bildungssystem nach den Bedürfnissen der Kinder richten, statt die Kinder anzupassen. "Wenn die Inklusion erfolgreich durchgesetzt wird, dann wird es die unterschiedlichen Schultypen in Deutschland nicht mehr geben", sagte der Sachverständige Wolfgang Blaschke am Mittwoch, 10. November 2010, in der öffentlichen Anhörung der Kinderkommission zum Thema "Inklusive Bildung". Einig war er sich mit weiteren sieben eingeladenen Bildungsexperten, die den Fachpolitikern des Unterausschusses des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend über die Umsetzung und die Folgen der UN-Konvention über die Rechte behinderter Menschen und die Bedeutung für das Bildungswesen informierten.
Seit März 2009 ist die UN-Behindertenrechtskonvention in Kraft. Die Konvention ist ein völkerrechtlicher Vertrag, der von Deutschland ratifiziert wurde. Eine zentrale Forderung ist die soziale Inklusion behinderter Menschen in den Alltag und damit auch in der Bildung. Eine Konsequenz: Nach Ansicht der Experten benachteiligt das stark selektiv ausgerichtete deutsche Schulsystem Behinderte und verstoße gegen die Konvention. Aus Elternsicht bilde die Konvention eine "Riesenchance", denn die Jahrzehnte des Aussonderns von Kindern aus den überforderten Regelschulen in Förderschulen seien endlich vorbei, sagte Martin Eckert vom Verband der Körper- und Mehrfachbehinderten.
"Das gegliederte Schulsystem wird auf lange Sicht durch die Inklusion unterlaufen", analysierte Norbert Hocke von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. Ein Umstand, den Experten begrüßen. "Denn 85 Prozent aller Behinderten besuchen Förderschulen", verdeutlichte Prof. Dr. Hans Wocken von der Universität Hamburg. Das deutsche Schulsystem benachteilige Behinderte systematisch. "Deutschland verschenkt Begabungen." Für Wocken auffällig: "Wenn wir von Inklusion sprechen, dann dürfen wir nicht nur von Behinderten sprechen, denn Migranten und Arme sind auch benachteiligt."
Die Lern- und Sprachbehinderten blieben per se als größte Gruppe von vornherein ausgeschlossen, weil die Regelschulen überfordert seien, ein adäquates Bildungsangebot zu gewährleisten. "Spezielle und sehr betreuungsintensive Behinderungen sind selten", sagte Wocken. Er fordert als Sofortmaßnahme die Abschaffung von Sonderschulen und die flächendeckende Zuteilung von Sonderpädagogen an Regelschulen.
"Die Durchlässigkeit der Schulen muss für alle Schüler gelten", forderte auch Gerhard Zupp von der Bundesarbeitsgemeinschaft Behindertenpädagogik. So würden Sprachbehinderte Barrieren erfahren, die einfach abzubauen seien: "Räumliche Verhältnisse, das Vermeiden von Hintergrundgeräuschen, angepasste Arbeitsmaterialien und visuelle Angebote wären einfache Lösungen."
Einen bedeutenden Schub, der durch die Konvention ausgelöst wurde, sah Dr. Edna Rasch vom Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge. "Inklusion bedeutet: Keine Diskriminierung mehr. Sonderzuweisungen von Kindern in Förderschulen gegen den Willen der Eltern werden nicht mehr möglich sein", erklärte sie. Ein Umstand, der auch in der Rechtsprechung noch nicht angekommen sei. Die bisher praktizierte "Segregation" müsse überwunden werden.
"Die Schulen brauchen jetzt unsere Unterstützung", sagte Rainer Dillenberg von der Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung. "Schon unter den heutigen Rahmenbedingungen ist inklusive Schulbildung möglich", sagte er und forderte umfassende Änderungen aller Schulgesetze ohne Einschränkungen. Als Problem bei der Umsetzung der "inklusiven Bildung" machten die Experten einstimmig die föderale Struktur des Bildungswesens aus. Jedes Bundesland interpretiere die Konvention unterschiedlich.
"Wir brauchen ein einheitliches Leitbild", forderte Wolfgang Blaschke in Richtung Kinderkommission im Hinblick auf bundespolitische Initiativen, das Thema voranzubringen.
"Aber ich freue mich, dass die Kinderkommission und nicht eine Behindertenkommission sich des Themas angenommen hat", lobte Sachverständiger Hans Wocken und unterstrich, dass "inklusive Bildung“ Chancengleichheit für alle Kinder meine. (eis)
Wolfgang Blaschke, "Eine Schule für Alle"
Rainer Dillenberg, Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung e.V.
Martin Eckert, Verband der Körper- und mehrfach Behinderten
Inge Hirschmann, Heinrich-Zille-Grundschule, Berlin
Norbert Hocke, Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft,
Dr. Edna Rasch, Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge e.V.
Prof. em. Dr. paed. Hans Wocken, Lernbehinderten- und Integrationspädagogik an der Universität Hamburg,
Gerhard Zupp, Bundesarbeitsgemeinschaft Behindertenpädagogik