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Eigentlich waren sich alle Fraktionen im Grunde einig: Die Aussetzung der Wehrpflicht sei eine richtige Entscheidung und der von der Bundesregierung dazu vorgelegte Entwurf eines Wehrrechtsänderungsgesetzes 2011 (17/4821) zu unterstützen. Dennoch geriet die erste Lesung der Gesetzesnovelle am Donnerstag, 24. Februar 2011, zu einer heftigen Auseinandersetzung zwischen Koalition und Opposition. Insbesondere der Bundesverteidigungsminister, Karl-Theodor zu Guttenberg (CDU/CSU), der zu Beginn der Debatte im Plenum die Kernelemente des Gesetzentwurfs vorstellte, musste sich harsche Kritik gefallen lassen.
Redner von SPD, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen warfen dem Minister vor, diese Neuausrichtung der Bundeswehr nicht gründlich vorbereitet zu haben. Wichtige Fragen, etwa nach deren künftigen Strukturen, der Nachwuchsgewinnung oder dem Finanzierungskonzept seien nicht hinreichend geklärt. Zu Guttenberg laufe Gefahr, diese wichtige Reform zu verpfuschen.
Karl-Theodor zu Guttenberg hatte zuvor die Aussetzung der Wehrpflicht einen Schritt genannt, der auch ihm "persönlich schwer gefallen“ sei. Über 50 Jahre sei die Wehrpflicht die richtige Wehrform gewesen, doch in der gegenwärtigen sicherheitspolitischen Lage könne sie nicht mehr vertreten werden.
Zudem stoße die Bundeswehr in ihrer jetzigen Struktur an ihre Leistungsgrenze. Sie habe sich zu einer Armee im Einsatz entwickelt, betonte zu Guttenberg. Diese Situation erfordere nicht mehr in erster Linie eine so große Zahl von Soldaten, sondern hochprofessionelle Streitkräfte.
Aus diesem Grund habe sich die Bundesregierung dazu entschieden, die Wehrpflicht auszusetzen und den Pflichtdienst in einen Freiwilligendienst umzuwandeln. Die verfassungsrechtliche Grundlage sowie das Wehrpflichtgesetz blieben jedoch weiterhin bestehen - "mit Blick auf Szenarien, die wir nicht absehen können“, so der CSU-Politiker.
Die Gewinnung von Freiwilligen bezeichnete er als die "größte Herausforderung der Zukunft“. Ziel müsse es sein, mit Maßnahmen wie unter anderem einem höheren Wehrsold und Verpflichtungsprämien die Attraktivität der Bundeswehr zu steigern.
Sigmar Gabriel, Vorsitzender der SPD, nannte die Bundeswehr eine "Erfolgsgeschichte“, die untrennbar mit der Wehrpflicht verbunden sei. "Sie sorgte dafür, dass der Durchschnitt der Bevölkerung dort vertreten war.“ Die Wehrpflicht nun auszusetzen, sei von "weitreichender Bedeutung“, so Gabriel.
Die Erfolgsgeschichte der deutschen Streitkräfte müsse trotzdem fortgesetzt werden und dazu gehöre, weiterhin den Nachwuchs aus allen Schichten der Bundeswehr zu rekrutieren. Gabriel signalisierte zwar die Zustimmung seiner Fraktion zur Aussetzung der Wehrpflicht, kritisierte aber massiv die konkrete Ausgestaltung der Reform: Es fehle ein Konzept für den Freiwilligendienst, zudem bleibe der Minister Antworten auf so wichtige Fragen wie nach den künftigen Strukturen und der Art der Nachwuchsgewinnung schuldig.
"Was wir hier lesen sind alles Floskeln“, monierte der SPD-Chef. "Das ist ein hohles Gesetz ohne Realitätsbezug!“ Selbst der Heeresinspekteur sei, so Gabriel, besorgt: Es zeichne sich bereits jetzt ab, dass es im kommenden Jahr zu wenig Rekruten geben werde. "Die Armee ist nur bedingt abwehr- und einsatzfähig.“
Auch für die geplanten Einsparungen fand Gabriel klare Worte: "Sie machen die Bundeswehr zu Sparschwein Ihrer Haushaltspolitik. Das ist ein Fehler und gefährlich!“
Elke Hoff, verteidigungspolitische Sprecherin der FDP, sagte, die Bundeswehr stehe vor einer "historischen Zäsur“. Mit der Umwandlung des Wehrpflichtdienstes in einen freiwilligen Wehrdienst schaffe die Bundesregierung die Vorraussetzungen für die gegenwärtigen und künftigen sicherheitspolitischen Herausforderungen. Diese erforderten eben heute eine "kleinere, schnellere und flexiblere“ Truppe.
So wies Hoff auch Kritik an den geplanten Einsparungen zurück: „Es ist in Ordnung, wenn wir auch vom Bundesminister der Verteidigung Einsparungen erwarten.“ Die Liberale betonte aber auch die dringende Notwendigkeit, die Attraktivität der Bundeswehr zu erhöhen.
Dazu gehört aus ihrer Sicht auch, dass Soldaten, die verwundet oder traumatisiert aus dem Einsatz zurückkehrten, und ihre Angehörigen auf die Hilfe der Bundeswehr vertrauen könnten.
Insgesamt sei die bevorstehende Reform ein gesamtgesellschaftlicher Auftrag- "nicht allein der des Verteidigungsministers“.
Christine Buchholz, friedenspolitische Sprecherin der Linksfraktion, begrüßte grundsätzlich die Aussetzung der Wehrpflicht. Sie kritisierte jedoch den Zweck, der hinter der Reform stehe: "Die Bundeswehr soll zu einer schlagkräftigen Einsatzarmee gemacht werden.“ Das lehne ihre Fraktion ab.
Die Abgeordnete hob hervor, dass zwar die Wehrpflicht "Zwang“ gewesen sein, dass aber Zwang, sich zu verpflichten, auch aus anderen Gründen entstehen könne - Armut etwa.
So komme schon jetzt die Mehrheit der einfachen Soldaten aus strukturschwachen Gegenden. "Sie gehen zur Bundeswehr, weil sie sonst keine Arbeit haben!"
Dass das Verteidigungsministerium angeblich auch verstärkt diejenigen für einen Militärdienst gewinnen wolle, die keinen Schulabschluss und keine anderen beruflichen Perspektiven hätten, verurteilte die Linkspolitikerin als "amerikanische Verhältnisse“: "Die Armen werden zum Kanonenfutter!“
Agnes Malczak, Sprecherin von Bündnis 90/Die Grünen für Abrüstungspolitik, ging in ihrer Rede insbesondere den Verteidigungsminister heftig an. Im "System Guttenberg“ zähle das einmal gegebene Wort nichts, rügte Malczak. Das habe auch Guttenbergs Haltung zur Wehrpflicht gezeigt: Zuerst habe er sie abgelehnt, nun sei er doch dafür.
Die Entscheidung für die Aussetzung der Wehrpflicht sei aber nicht aus Überzeugung gefallen, sondern aus "Geldnot“. Das merke man der geplante Reform an.
Der Minister habe sich nicht grundsätzlich die Frage gestellt, welche Aufgaben die Bundeswehr künftig übernehmen solle und wo ihre Grenzen lägen, monierte die Abgeordnete.
Das vorliegende Gesetz regle nicht alle Herausforderungen. Wie etwa Gewinnung und Ausbildung der Freiwilligen organisiert werden solle, sei nicht klar. Dies gehe zulasten der Bundeswehr, warnte Malczak. "Herr Minister, Sie sind dabei, diese Reform zu verpfuschen!“
Markus Grübel (CDU/CSU) bekannte, die "Trennung von einer Institution wie der Wehrpflicht“ löse Wehmut aus. Die Entscheidung, sie auszusetzen sei "schmerzhaft“.
Grübel, Mitglied im Verteidigungsausschuss, betonte aber, das "Bewährte der Wehrpflicht“ solle erhalten bleiben - das Prinzip der Inneren Führung der Bundeswehr ebenso wie ihre Offenheit für alle Schichten der Bevölkerung.
Der CDU-Abgeordnete begrüßte, dass die Wehrpflicht nur ausgesetzt und nicht abgeschafft werde. Die verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Grundlagen müssten bestehen bleiben, erklärte Grübel, insbesondere auch für den Fall, dass die Bundeswehr ihren Bedarf an Freiwilligen nicht decken könne.
Nichtsdestoweniger müsse nun aber schnell ein Maßnahmenpaket auf den Weg gebracht werden, um die richtigen ideellen und materielle Anreize zu schaffen, damit sich genügend Frauen und Männer für den freiwilligen Wehrdienst bei der Bundeswehr entschieden, sagte Grübel. (sas)