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Der wirtschaftspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Garrelt Duin, sieht den Atomausstieg in Deutschland nach dem Beschluss im Bundestag am 30. Juni 2011 als endgültig an. "Ich glaube nicht, dass es in Zukunft noch einmal eine Mehrheit für den Ausstieg aus dem Ausstieg aus dem Ausstieg geben wird“, sagt Duin in einem am Montag, 4. Juli 2011, erschienenen Interview der Wochenzeitung "Das Parlament“. Der Beschluss sei "sogar eine Weiterentwicklung des rot-grünen Ausstiegs, weil Reststrom-Mengen nicht mehr übertragen werden können“. Das Interview im Wortlaut:
Der Bundesrat hat in einer Stellungnahme die Novelle des Atomgesetzes der Regierung als "Chance zu einem echten und dauerhaften Energiekonsens" bezeichnet. Ist es ein Konsens oder ein Kompromiss?
Das Atomgesetz ist überwiegend Konsens. Ich bin überzeugt, dass der Atomausstieg endgültig ist. Deshalb ist er zustimmungsfähig. Ich glaube nicht, dass es in Zukunft noch einmal eine Mehrheit für den Ausstieg aus dem Ausstieg aus dem Ausstieg geben wird.
Was ist vom rot-grünen Atomkonsens aus dem Jahr 2000 übrig?
Wir sind jetzt diesem Modell wieder sehr nahe. Es gibt ein Fix-Datum für den endgültigen Ausstieg. Es ist sogar eine Weiterentwicklung des rot-grünen Ausstiegs, weil Reststrom-Mengen nicht mehr übertragen werden können. Und das ist ein Argument dafür, dem neuen Atomgesetz zuzustimmen.
Aber handelt es sich trotzdem oder gerade deshalb um eine Sternstunde des Bundestags, um ein historisches Ereignis?
Mit dem Gebrauch des Wortes "historisch“ bin ich vorsichtig. Aber es ist schon ein sehr bemerkenswerter Tag - gerade vor dem Hintergrund der 180-Grad-Kehrtwende der aktuellen parlamentarischen Mehrheit und allen voran der Bundeskanzlerin. Eine solche Kehrtwende innerhalb eines halben Jahres hat es meiner Erinnerung nach in der Geschichte der Bundesrepublik noch nicht gegeben.
Sie sind Sprecher des Seeheimer Kreises. Sehen Sie Ihre Position besser in den neuen Gesetzen vertreten als die der Parlamentarischen Linken Ihrer Fraktion?
Die SPD ist sich in diesen Fragen sehr einig. Es hat in der Abstimmung weniger Probleme untereinander gegeben, als wir es bei CDU, CSU und FDP gerade erleben. Wir hatten ein paar Grundsätze, die wir erfüllt sehen wollten. Dazu gehören der unumkehrbare Ausstieg, die Stärkung der erneuerbaren Energien und die offene Suche nach einem geeigneten Endlager. Diese Punkte erfüllt die Regierung. In der SPD herrscht große Einigkeit in diesen Fragen.
Sie waren fünf Jahre lang Abgeordneter im Europa-Parlament. Haben Sie schon Resonanz aus dem Ausland vernommen?
Ja, natürlich habe ich noch Beziehungen in die europäischen Nachbarländer. Der deutsche Ausstieg wird als mutiger Schritt gesehen. Manche sagen zu mutig. Insbesondere der Osten Europas sieht den deutschen Ausstieg mit Skepsis. Aber ich argumentiere dann immer, dass wir auch mit den erneuerbaren Energien immer eine Vorreiterrolle gespielt haben. Heute ist das Erneuerbare-Energien-Gesetz ein Exportschlager. Genauso wird es über kurz oder lang mit dem Atomausstieg sein. Atom ist keine Technologie für die Zukunft.
Werden Ihrer Einschätzung nach andere EU-Mitgliedsstaaten jetzt auch den Mut fassen, aus der Kernenergie auszusteigen?
Ich glaube nicht, dass es in den nächsten Monaten dazu kommen wird. Aber wir werden in den nächsten Jahren sehen, auch wegen der Europäisierung der Energiepolitik und der gemeinsamen Klimaziele, wie sich die Energiepolitik weiter vereinheitlichen wird. Das Alleinstellungsmerkmal des Atomausstiegs werden wir auf der Strecke bis 2022 verlieren.
Nun sind Sie ja auch wirtschaftspolitischer Sprecher und Mitglied der Arbeitsgruppe Wirtschaft und Technologie Ihrer Fraktion und wollen den Kurs der Wirtschaft ins Zeitalter der Energie- und Rohstoffeffizienz steuern. Haben Sie konkrete Pläne?
Wir müssen darauf achten, dass Deutschland ein Industrieland bleibt. Die Entwicklung der Strompreise muss auch für die Industrie überschaubar bleiben. Wir haben beispielsweise in der Chemieindustrie die Grenze des Zumutbaren erreicht. Durch den Emissionshandel wird das noch weiter verschärft. Die Regierung hat unsere Forderungen nach Ausnahmetatbeständen und Steuererleichterungen nicht erfüllt. Uns ist ja nicht damit gedient, wenn wir jetzt eine Preisänderung fördern würden, die wir dann mit der Abwanderung von Arbeitsplätzen bezahlen müssten.
Ihre Arbeitsgruppe will Forschungsausgaben intensivieren und Forschung steuerlich fördern. Welches Potenzial vermuten Sie in der Erforschung erneuerbarer Energien?
Auf jeden Fall liegen dort große Potenziale. In der Speichertechnologie der erneuerbaren Energien müssen wir die Forschung deutlich vorantreiben. Aber es geht auch darum, die Effizienzpotenziale zu nutzen, beispielsweise intelligentere Netze zu entwickeln. Wir müssen es schaffen, effizienter mit vorhandener Energie umzugehen. Das ist ein riesiges Feld. Das Geld, das die Bundesregierung dafür ausgeben will, reicht nicht.
Wie wollen Sie in der Energiebranche den Mittelstand schützen und fördern, auf den Sie ja, so schreiben Sie auf Ihrer Homepage, "ein besonderes Augenmerk" legen?
Auch der Mittelstand braucht Entlastungen bei den Strompreisen. Denn nicht nur große Chemiekonzerne sind von höheren Strompreisen betroffen, sondern oft auch international agierende mittelständische Unternehmen. Deshalb darf man sie bei der Planung finanzieller Entlastung nicht vergessen. Ich habe Bundeswirtschaftsminister Rösler aufgefordert, auf europäischer Ebene als starker Akteur aufzutreten und für die Interessen des Standortes Deutschland zu kämpfen. Wenn er das so nachlässig angeht wie sein Vorgänger, wird es nicht von Erfolg gekrönt sein. Denn Herr Brüderle hat sich darum nicht gekümmert.
Lassen sich die Ziele der Arbeitsgruppe Wirtschaft und Technologie der SPD-Fraktion, nämlich die Sicherung der industriellen Basis und die Bekämpfung des Klimawandels, miteinander vereinbaren?
Ich will kein Ausschlussprinzip. Die Aluminium- und die Zementindustrie sollen aus Deutschland nicht verschwinden. Im Gegenteil: Ich möchte, dass sie langfristig hier bleiben. Dazu ist die Einhaltung bestimmter Umweltstandards unausweichlich. Wir müssen dafür sorgen, dass diese Unternehmen eine Perspektive in Deutschland haben. Mein Eindruck ist, dass die Bundesregierung die Dramatik, die auf uns zukommt, noch nicht erkannt hat. Bei den Grünen ist das auch so extrem. Wenn eine Aluminiumhütte weg ist, dann haben sie das Gefühl, es gehen nur 300 Arbeitsplätze verloren, als wenn das nicht allein schon schlimm genug ist. Der Industriestandort Deutschland ist so erfolgreich, weil wir die gesamte Wertschöpfungskette hier noch haben. Wenn da einzelne Bausteine herausfallen, man sie abwandern lässt, dann gehen auch die anderen früher oder später verloren.
Aber ist nicht gerade die aluminiumverarbeitende Industrie schwer mit Umweltschutz zu vereinbaren?
Ja, aber sie ist notwendig. Ein Industriestandort kann nicht so tun, als wenn es nur eine komplett emissionsfreie, schöne hightech- und iPad-gesteuerte Industrie gäbe. Wir müssen auch diesen anderen Bereich haben, der übrigens immer sauberer wird. Je mehr wir in Forschung investieren, desto sauberer kann die Industrie werden.
Wie lässt sich eine verlässliche Regional- und Strukturpolitik mit den neuen Gesetzen vereinbaren?
Ein Webfehler der weiteren Gesetze ist, dass sie nicht konsequent auf dezentrale Versorgung setzen, was unsere Ablehnung in diesen Fällen auch begründet. Wir sehen in der dezentralen Versorgung die Zukunft unseres Landes. Wir dürfen uns nicht länger von drei oder vier großen Versorgern abhängig machen. Ich bin nicht dafür, sie zu zerschlagen. Die Großen werden auch weiterhin eine wichtige Rolle innehaben, vor allem im Offshore-Bereich. Langfristig werden wir aber viel autarker in den Regionen werden. Das ist eine sehr positive Entwicklung, die durch die Energiewende gefördert wird. (ver)