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Julia Botschkowskaja hat in den vergangenen Wochen und Monaten wahrlich viel erlebt. Da ist zum einen die Mitarbeit als Praktikantin im Büro des Bundestagsabgeordneten Wolfgang Börnsen (CDU/CSU) im Rahmen des Internationalen Parlamentsstipendien Programms (IPS). Dann durfte sich die 25-Jährige aus Kasachstan als Preisträgerin des IPS-Medienwettbewerbes feiern lassen und wurde zur Mitgründerin eines deutschen Vereins. Und als ob das nicht genug wäre, hat sie während ihrer Zeit in Berlin auch noch von ihrer bis dahin unbekannt gebliebenen jüdischen Herkunft erfahren und für eine nicht mehr erhoffte Familienzusammenführung gesorgt.
Es hat sich also gelohnt, dass sich die 25-Jährige für das IPS-Programm beworben hat, obgleich sie anfangs von Selbstzweifeln geplagt war. "Als ich noch in Astana für eine Deutsch-Kasachische Kooperation gearbeitet habe, dachte ich immer, ich bin noch nicht soweit. Und dann habe ich auch noch eine ehemalige Mitstudentin getroffen, die beim Auswahlgespräch durchgefallen war", erzählt sie.
Erste berufliche Erfahrungen als Dolmetscherin und die Entscheidung, an der deutschsprachigen Universität von Budapest einen Masterstudiengang zu beginnen, ließen sie sicherer werden. An der Uni in Budapest habe sie viele ehemalige IPSler getroffen. "Sie haben mir alle Mut gemacht." Schließlich bewirbt sie sich, wird zum Auswahlgespräch in die deutsche Botschaft nach Astana eingeladen und bekommt einen Platz im IPS-Programm. Zugegen bei dem Auswahlgespräch in der kasachischen Hauptstadt war als Vertreter des Bundestages der Unionsabgeordnete Wolfgang Börnsen.
Als sie schließlich ihr Praktikum in Berlin beginnt, landet sie im Büro des Flensburgers. "Ich war ziemlich aufgeregt und empfand das als große Ehre", sagt sie. Schließlich genießt Börnsen, der sich schon seit vielen Jahren besonders für das IPS-Programm engagiert, unter den Stipendiaten einen ausgezeichneten Ruf. "Wenn es irgendwelche Probleme gibt, wenden sich die Stipendiaten meist an ihn."
Julia Botschkowskaja lernt nun "echte Demokratie" kennen. "Demokratie heißt für mich, dass die Arbeit der Politiker dem Volk gewidmet ist", macht sie deutlich. Im Büro Börnsen etwa werde jede Bürgeranfrage zeitnah beantwortet. Börnsen sei ein "Arbeitnehmer des Volkes", sagt sie. Dass so ein Arbeitnehmer viel zu tun hat erfährt sie recht schnell. Zwischen 80 und 90 Stunden würde Börnsen in Sitzungswochen arbeiten. Die Wahlkreisarbeit ist nicht weniger anstrengend, wie Julia Botschkowskaja selbst erfahren durfte, als sie gemeinsam mit vier weiteren Stipendiatinnen Börnsen in dessen Wahlkreis begleitet hat.
In ihrem Heimatland Kasachstan gebe es im Bereich der parlamentarischen Demokratie noch Nachholbedarf, räumt sie ein. Auf der anderen Seite lebten in Kasachstan 130 Ethnien friedlich zusammen. "Das ist gelebte Völkerverständigung", sagt Julia Botschkowskaja.
Sie selbst will künftig ihre in Berlin gemachten Erfahrungen in den Dienst ihres Landes stellen. "Die Brücke Astana – Berlin zu festigen ist mir ganz wichtig", sagt sie. Das hängt sicherlich nicht zuletzt damit zusammen, dass Julia Botschkowskaja und ihre Familie zu der deutschen Minderheit in Kasachstan zählen. Viele seien nach der Wende nach Deutschland gegangen, sagt sie. Ihre Oma etwa lebe seit 15 Jahren in der Nähe von Köln. Doch zuletzt war eine Umkehrbewegung zu verzeichnen. "Jede Woche kehren ein bis zwei Emigranten wieder zurück", sagt sie. Das sei gut für Kasachstan und ein Zeichen dafür, dass sich das Land positiv entwickle.
In wenigen Wochen wird auch Julia aus Deutschland weg gehen. Mit einem bisschen Wehmut, wie sie sagt. Schließlich habe sie hier viele neue Freunde gefunden. Mit diesen wird sie aber auch weiterhin in Kontakt bleiben, sei es über den gemeinsam mit sechs weiteren Stipendiaten neu gegründeten Verein - die Gesellschaft für Internationalen Parlamentarismus - oder über das Internet.
Ein Beispiel dafür, wie sich die Stipendiaten gegenseitig unterstützen ist die Geschichte ihrer Oma, die auch die Geschichte ihrer eigenen Herkunft ist. Alles fing mit einer russischen Fernsehsendung an, in der vermisste Angehörige gesucht werden. "Als meine Mutter auf der Homepage der Sendung das Bild einer Frau sah, die auf der Suche nach ihrer Schwester war, von der sie in den Kriegswirren vor 70 Jahren getrennt wurde, stellte sie eine extreme Ähnlichkeit mit ihrer eigenen Mutter fest", erzählt Julia Botschkowskaja. Dem Sender habe man dann ein Bild der inzwischen in Deutschland lebenden Großmutter geschickt. Einem Treffen der beiden habe jedoch die Weigerung der Oma im Weg gestanden, zu der Fernsehshow nach Moskau zu fahren. Daraufhin habe sich auch der Sender geweigert, die Kontaktdaten der in Israel lebenden Schwester heraus zu geben.
"Hier in Berlin habe ich dann die israelischen Stipendiaten gefragt, ob sie mir helfen würden", sagt sie. Das taten Aaron Kirill und Omer sofort. "Ich kannte nur den Namen der Schwester meiner Oma", sagt Julia Botschkowskaja. Den habe dann Aaron Kirill auf Hebräisch im Internet eingegeben und tatsächlich die Kontaktdaten erfahren. Ein weiterer Stipendiat aus Israel habe dann vorgeschlagen, in der Administration der Stadt anzurufen. Und in der Tat: "Die 84-jährige Schwester meiner Oma war dort bekannt und man wusste auch, dass sie schon seit Jahren nach ihrer Schwester sucht." Jetzt ist ein großes Familientreffen in der Ukraine geplant. "Die Tickets sind schon gebucht", sagt sie. (hau)