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Opposition und Koalition haben sich in der Energiedebatte des Bundestages am Donnerstag, 27. Oktober 2011 gegenseitig vorgeworfen, zu wenig für die Energieeffizienz zu tun. Während die Fraktionen von SPD, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen höhere Energieeinsparungen sowie mehr Effizienz beim Energieeinsatz forderten, warfen Redner von CDU/CSU- und FDP-Fraktion den von rot-grünen Koalitionen regierten Ländern vor, das Gesetz zur energetischen Gebäudesanierung im Bundesrat zu blockieren.
Ingrid Nestle (Bündnis 90/Die Grünen) warf der Regierung vor, trotz steigender Energiepreise die Hände in den Schoß zu legen. Das angeblich so revolutionären Energiekonzept der Regierung enthalte weniger als Kanzlerin Angela Merkel noch vor einigen Jahren selbst gefordert habe. "Das ist keine Energiewende. Das ist Rückschritt", stellte Nestle fest, die der Bundesregierung außerdem vorwarf, doppelt so viel Geld für die Förderung fossiler Kraftwerke als für Energieeffizienzanwendungen zur Verfügung zu stellen.
Wirtschaftsminister Dr. Philip Rösler (FDP) verkenne die Chancen, die die neue Energieeffizienzrichtlinie der EU bringe. Die Einsparung von 1,5 Prozent des Verbrauchs aller Energieversorger könne einen Markt für Energieeffizienz schaffen. "Allein diese Maßnahme entscheidet darüber, ob wir im Jahr 2020 50 Milliarden Euro zu viel für Import von Öl und Gas ausgeben oder ob wir dieses Geld investieren in den europäischen Effizienzmarkt."
Die FDP fördere jedoch lieber die Ölscheichs statt die deutsche Wirtschaft. Insgesamt stellte Nestle fest, bisher habe die Regierung nur die von Gesellschaft geforderte Atomwende geschafft. "Zur Energiewende gehöre jedoch auch die Effizienz. Hier haben sie kläglich versagt."
Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU) betonte die Einigkeit im Bundestag, dass Energieeffizienz der "Königsweg" sei. Andererseits wies Pfeiffer aber auf Erfolge bei der Energieeinsparung hin: Das Bruttoinlandsprodukt sei seit 1990 um 30 Prozent gestiegen, während der Primärenergieverbrauch real um zehn Prozent gesunken sei. "Damit gehört Deutschland nicht nur zu den produktivsten, sondern auch zu den energieeffizientesten Ländern der Welt." In den Privathaushalten sei der Energieverbauch um 18 Prozent zurückgegangen. Der Kraftstoffverbrauch je Pkw sei um 21 Prozent gesunken.
Es müsse aber noch mehr gemacht werden, wenn die Energieziele erreicht werden sollten. Da aber 40 Prozent des Energieverbrauchs auf Gebäude entfallen würden, rief Pfeiffer die Opposition auf mitzuhelfen, dass die Blockade im Bundesrat gegen die energetische Gebäudesanierung beendet wird. Mit diesem Programm will die Regierung energetische Sanierungsmaßnahmen steuerlich fördern. Die Menschen sollten durch Anreize zum Mitmachen gewonnen werden. "Wir wollen nicht den Blockwart im Hauskeller", stellte Pfeiffer fest. Die Forderung der Grünen nach einer Energieeinsparung von 1,5 Prozent wies er als industriefeindlich zurück: "Produktionsverlagerungen der energieintensiven Industrie ins Ausland sind kein Beitrag zur Energieeffizienz."
Als "Politik gegen den Bürger, gegen die Umwelt" kritisierte Klaus Beil (FDP) die Ablehnung der energetischen Gebäudesanierung im Bundesrat durch die rot-grün regierten Länder. Zur Energieeffizienz verwies er auf den Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung (KWK), die bis 2025 einen Anteil von 25 Prozent an der Stromproduktion haben solle. eine Novelle des KWK-Gesetzes werde im nächsten Jahr kommen. Breil sprach sich strikt dagegen aus, den Unternehmen und besonders der energieintensiven Industrie vorzuschreiben, wie viel Energie sie verbrauchen sollten. "Lassen sie die Wirtschaft einfach mal machen", forderte der FDP-Politiker.
Alle Fraktionen hätten ambitionierte Ziele für erneuerbare Energien, stellte Rolf Hempelmann (SPD) fest. Kritisch äußerte er sich jedoch zu der vom Bundesrat abgelehnten energetischen Gebäudesanierung: Das Modell der Koalition führe dazu, "dass diejenigen, die über höhere Einkommen verfügen, stärker gefördert werden als diejenigen mit kleineren Einkommen". Hempelmann verlangte andere Fördersysteme, die auf Zuschüssen und Mikrokrediten beruhen. Wenn die Koalition dies wolle, gebe es Zustimmung im Bundestag und Bundesrat. Die Bundesregierung hat den Vermittlungsausschuss zu dem Gesetz angerufen.
Zum Energiesystem selbst sagte Hempelmann, es müsse für die großen Mengen erneuerbarer Energien aufnahmefähig gemacht werden. Angebots- und Nachfrageseite müssten flexibler werden, sonst "werden wir unsere Ziele im Bereich der erneuerbaren Energien nicht erreichen". So müssten Großverbraucher durch Zu- und Abschaltungen flexibler werden, "wenn beispielweise ein Unterangebot von Strom auf dem Markt ist".
Private Haushalte sollten durch lastvariable Tarife zur Verlagerung des Verbrauchs in verbrauchsarme Zeiten veranlasst werden. Was die Regierung mache, sei jedoch "äußerst bescheiden". Wenn man hier jedoch nichtvorankomme, brauche über Elektromobilität gar nicht mehr geredet werden.
Eine Gängelung der Verbraucher etwa mit Energiesparlampen warf Dorothee Menzner (Die Linke) der Regierung vor. Dagegen werde den Unternehmen freie Hand gelassen. "Woher nehmen Sie die Gelassenheit und das Vertrauen, dass der Markt das richten wird?", fragte Menzner, die klare Ziele und Vorgaben für die Industrie verlangte.
So müsse die Freistellung vieler Unternehmen vom Erneuerbare-Energien-Gesetz schrittweise zurückgenommen werden. "Der Bundestag hat durch das Volk nicht den Auftrag bekommen, der Industrie zu vertrauen. Wir haben den Auftrag, zum Wohle der Menschen zu arbeiten", stellte Menzner fest.
Der Bundestag lehnte einen Antrag der SPD-Fraktion (17/6084, 17/6084) mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen ab, in dem die Bundesregierung aufgefordert wird, Eckpunkte für eine Novelle des Gesetzes über die Kraft-Wärme-Kopplung vorzulegen. Das KWKG sieht nach Angaben der SPD-Fraktion vor, den Anteil des KWK-Stroms an der gesamten Stromerzeugung in Deutschland bis 2020 auf 25 Prozent zu verdoppeln und damit 20 Millionen Tonnen Kohlendioxidemissionen einzusparen. Es sei aber unstrittig, dass dieses Ziel mit dem KWK-Gesetz nicht erreicht werde. Daher fordert die SPD-Fraktion neben der Erhöhung des Zielwertes von 25 auf 30 Prozent der Stromerzeugung eine Reihe von Maßnahmen zum beschleunigten Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung.
An die Ausschüsse überwiesen wurde ein Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen (17/7462), der das Ziel verfolgt, den Primärenergieverbrauch in der EU bis zum Jahr 2020 um 20 Prozent zu verringern. Dazu sollen alle Energieversorgungsunternehmen zu verbindlichen Energieeinsparungen von jährlich 1,5 Prozent bezogen auf den Vorjahresverbrauch verpflichtet werden. Wenn Energielieferanten die Einsparungen in Höhe von 1,5 Prozent nicht erbringen würden, sollten sie die Möglichkeit zu Kompensationszahlungen in einen Energiesparfonds erhalten, mit dem zusätzliche Einsparprojekte finanziert würden, heißt es in dem Antrag. (hle)