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Jeder Tote und Schwerverletzte im Straßenverkehr ist einer zu viel. Darüber waren sich die Experten am Mittwoch, 9. November 2011 bei einer öffentlichen Anhörung des Verkehrsausschusses unter Vorsitz von Dr. Anton Hofreiter (Bündnis 90/Die Grünen) zur Sicherheit im Straßenverkehr einig. Grundlage ist dabei ein Antrag von CDU/CSU und FDP "Die Verkehrssicherheit in Deutschland weiter verbessern" (17/5530), ein Antrag der SPD "Sicher durch den Straßenverkehr - Für eine ambitionierte Verkehrssicherheitsarbeit in Deutschland" (17/5572), ein Antrag von Bündnis 90/Die Grünen "Masterplan Straßenverkehrssicherheit - ambitioniertes nationales Verkehrssicherheitsprogramm 2011 bis 2020 vorlegen" (17/7466) sowie eine Mitteilung der Europäischen Kommission "Ein europäischer Raum für Straßenverkehrssicherheit: Leitlinien für die Politik im Bereich der Straßenverkehrssicherheit 2011 bis 2020".
Professor Andre Seeck von der Bundesanstalt für Straßenwesen wies auf die bisherigen Erfolge der Verkehrssicherheitsarbeit in Deutschland hin. Die Zahl der im Straßenverkehr Getöteten sei im Jahr 2010 mit 3.648 Getöteten auf dem niedrigsten Stand seit Einführung der amtlichen Straßenverkehrsunfallstatistik. Dies sei vor allem vor dem Hintergrund, dass der Bestand und die Fahrleistung von Kraftfahrzeugen seit den siebziger Jahren um fast das Dreifache zugenommen habe, ein "beeindruckender Erfolg". Dennoch bleibe die Verkehrssicherheitsarbeit ein zentrales und unverzichtbares gesellschaftliches Anliegen.
Die Mobilität und damit die Anforderungen an das Verkehrssystem würden auch zukünftig weiterhin zunehmen. Deshalb müsse die Leistungsfähigkeit des Straßennetzes gesichert und der wachsenden Verkehrsnachfrage angepasst werden. Er wies weiter darauf hin, dass in der aktiven und passiven Fahrzeugsicherheit große Fortschritte erzielt worden seien. Fahrzeuge seien heute so sicher wie nie zuvor. Zukünftig würden Fahrerassistenzsysteme und kooperative Fahrzeugsysteme weitere Verkehrssicherheitsgewinne erwarten lassen.
Dr. Walter Eichendorf vom Deutschen Verkehrssicherheitsrat wies darauf hin, dass es neben den Toten auch jährlich 62.000 Schwerverletzte gebe. Die gesellschaftliche Kosten bezifferte er 31 Milliarden Euro pro Jahr. Als eine der häufigsten Unfallursachen nannte er die nicht angepasste Geschwindigkeit.
Bei "Alkoholunfällen" würden jährlich 18.000 Menschen verletzt, sagte er weiter. Deshalb müsse gelten: wer fährt, trinkt nicht und wer trinkt, fährt nicht. Daneben nannte er als häufige Unfallursache unter anderem auch noch die Risikogruppe "junge Fahrer" und "Brennpunkt Landstraße", auf denen rund 60 Prozent der tödlichen Verkehrsunfälle stattfinden würden. Weiter schlug er vor, die Verkehrssicherheitsarbeit des Bundesverkehrsministeriums, der Deutschen Verkehrswacht und des Deutschen Verkehrssicherheitsrates mit jährlich 14 Millionen Euro aus dem Bundesetat zu finanzieren.
Für Prof. Dr. Gerd-Axel Ahrens (Technische Universität Dresden), Mitglied im wissenschaftlichen Beirat beim Bundesverkehrsminister, ist eine Halbierung der jährlichen Zahl der durch Straßenverkehrsunfälle getöteten Menschen bis 2020 erreichbar. Dazu müsse es eine klare Zielsetzung und klar definierte Wege zur deren Verwirklichung geben.
Um diese Ziele zu erreichen, seien Maßnahmenpakete unter anderem aus den Bereichen technische Maßnahmen, Information bei der Ausbildung, Erziehung, Gesetze zur Überwachung und Ahndung und wirtschaftliche Anreize für den Individualverkehr und zur Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel notwendig. Auch er sprach sich für Tempo 30 in innerstädtischen Bereichen und für höchstens 130 Stundenkilometer auf Bundesautobahnen aus.
Für Julia Levasier vom ADAC hingegen ist ein Tempolimit von 130 Stundenkilometer für leichte Nutzfahrzeuge "kein zielführendes Instrument", um die Verkehrssicherheit auf Deutschlands Straßen zu stärken. Unfallursache bei Kleintransportern seien zum Beispiel in erster Linie auf "nicht angepasste Geschwindigkeit" und "zu geringen Abstand" zurückzuführen. Ein Tempolimit würde daher keine signifikante Ausführung auf Unfallzahlen haben, sagte sie. Der ADAC plädierte deshalb für verschärfte Sanktionen beim Unterschreiten des geforderten Mindestabstandes sowie streckenbezogene Höchstgeschwindigkeiten intensiver zu überwachen.
Weiter lehnte sie in ihrer Stellungnahme den Vorschlag strikt ab, die Einführung von Tempo 30 als städtische Regelgeschwindigkeit zu prüfen. Aus Sicht würde eine Regelgeschwindigkeit von 30 Stundenkilometern das abgestufte Instrumentarium zur Verkehrsberuhigung verwässern und damit die Verkehrssicherheit beeinträchtigen. Die Akzeptanz bei den Autofahrern sei zudem gering. Stattdessen forderte der ADAC einen effizienteren Einsatz von Tempo-30-Zonen.
Anja Hänel vom Verkehrsclub Deutschland (VCD) sieht bei der Verkehrssicherheitslage in Deutschland "großen Handlungsbedarf". 2010 seien so viele Unfälle passiert wie seit 1999 nicht mehr, sagte sie. In vielen Großstädten sei die Zahl der Verunglückten in den letzten fünf Jahren gestiegen. Die Angst vor den Folgen des Verkehrs schränke die Lebensqualität und die Bewegungsfreiheit vor allem von Kindern und älteren Menschen stark ein. Sie forderte deshalb eine neue Orientierung der Verkehrssicherheitsarbeit, wie sie in anderen Ländern mit dem ganzheitlichen Verkehrssicherheitskonzept "Vision Zero" schon vollzogen werde.
Für Kurt Bodewig von der Deutschen Verkehrswacht ist die Verbesserung der Sicherheit im Straßenverkehr ein dauerhafte Aufgabe. Von der Verkehrserziehung in Kindertagesstätten und Kindergärten, schulischer Mobilitätsbildung, Fahrausbildung für junge Lenker von Kraftfahrzeugen bis zur Hilfestellung bei verändertem Wahrnehmungsverhalten im höheren Alter müsse das richtige Verhalten im Straßenverkehr immer wieder gelernt und aufgefrischt werden. Dazu würden technische Fortschritte vom Fahrzeugbau und wissenschaftliche Erkenntnisse in der Unfallforschung und in der Infrastrukturgestaltung wegweisende Impulse zur Verbesserung der Verkehrssicherheit liefern, betonte der ehemalige SPD-Verkehrsminister. (mik)