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Bundeswehrsoldat im Rahmen der Zivil Militärischen Zusammenarbeit (CIMIC) in Afghanistan im Gespräch mit Vertretern eines Dorfrates. © dpa
Der Erfolg internationaler Krisen- und Stabilisierungseinsätzen hängt auch von der Vernetzung militärischer Kräfte mit staatlichen und nichtstaatlichen Zivilkräften ab. In dieser Einschätzung waren sich die zu einer öffentlichen Sitzung des von Joachim Spatz (FDP) geleiteten Unterausschusses "Zivile Krisenprävention und vernetzte Sicherheit" geladenen Experten am Montag, 26. März 2012, einig. Umstritten war hingegen, inwiefern das 2006 vom Bundesverteidigungsministerium formulierte Konzept der "Vernetzten Sicherheit" zur Bündelung der Ressourcen geeignet ist.
Dr. Andreas Wittkowsky vom Zentrum für Internationale Friedenseinsätze (Zif) verwies darauf, dass der Begriff nicht einheitlich gebraucht werde und so Gegenstand innenpolitischer Kontroversen sei. Benötigt werde daher eine Begriffsklärung, sagte Wittkowsky. Der Begriff sei politisch belastet, weil er militärisch geprägt sei, erklärte Sid Johann Peruvemba vom Verband Entwicklungspolitik Deutscher Nichtregierungsorganisationen (Venro). Dr. Claudia Major von der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik der Stiftung Wissenschaft und Politik sagte hingegen, eine ideologisch geführte Begriffsdebatte gehe am Hauptproblem vorbei.
Der Ansatz der vernetzten Sicherheit bezwecke, Ressourcen der militärischen und zivilen Sicherheitskräfte, der zivilen Friedenskräfte, der Diplomatie und der Entwicklungszusammenarbeit, "ressort- und institutionenübergreifend abzustimmen und optimal einzusetzen", sagte der Zif-Vertreter Wittkowsky. Dabei müssten die legitimen Interessen aller Akteure berücksichtigt werden. An der Umsetzung des Konzepts würden die verschiedenen Ministerien mit unterschiedlicher Intensität mitarbeiten, sagte er und stellte fest: "Ein kohärentes Konzept und klare Aufträge aus der Politik fehlen."
Wittkowsky machte zudem deutlich, dass vernetzte Sicherheit nicht die Unterordnung des Zivilen unter das Militärische bedeute, sondern die Ausrichtung ziviler, polizeilicher und militärischer Ressourcen auf das gemeinsame Ziel Sicherheit. Der umfassende, vernetzte Einsatz ziviler konfliktvermeidender oder –mindernder Ressourcen soll die Notwendigkeit militärischer Einsätze minimieren, betonte er.
Der Begriff widerspreche dem Selbstverständnis der Nichtregierungsorganisationen (NRO), sagte Venro-Vertreter Peruvemba. Das Beispiel Afghanistan habe gezeigt, dass NROs nur dort gefördert würden, wo auch das Militär stationiert sei. "Die Fehlleitung von Hilfsangeboten ist die Folge davon", sagte Peruvemba.
Auch Claudia Major machte deutlich, dass die Vernetzte Sicherheit als militärisch dominiert und daher nicht als neutrales Konzept wahrgenommen werde. Zudem gebe es eine Tendenz, dass Konzept "um seiner selbst willen" zu betreiben. "Dabei wird über Organisationsstrukturen diskutiert und über Zuständigkeiten gestritten, während die Krisenregion mit ihren spezifischen Bedürfnissen aus den Augen verloren wird", kritisierte Major. Zudem wird Vernetze Sicherheit oft nur als ressortübergreifender Ansatz gesehen. Es müssten jedoch auch nichtstaatliche Akteure einbezogen werden, forderte sie.
Dem Vorwurf, das Militär versuche die zivilen staatlichen und nicht staatlichen Kräfte zu dominieren, widersprach Oberst Peter-Michael Sommer, Leiter des Fachgebiets Vernetzte Sicherheit der Führungsakademie der Bundeswehr. "Die Bundeswehr will raus aus ihrer Führungsrolle", sagte er. Es sei auch falsch davon auszugehen, dass sich alles den militärischen Zielen unterzuordnen hätte, sagte Oberst Sommer und stellte klar: "Aufstandsbekämpfung in Afghanistan ist nicht nur ein militärisches Ziel." Ein sicheres Umfeld zu schaffen sei schließlich "unser aller Ziel". Sonst sei gar keine Entwicklungsarbeit möglich, betonte er.
Beim Versuchsprojekt "Common Effort", einer Übung deutscher und holländischer militärischer und ziviler Hilfskräfte hätte das Militär nicht versucht, die Zivilen zu dominieren, sagte Übungsteilnehmer Jan Hendrik van Thiel vom Auswärtigen Amt. Die Übung, bei der ein Einsatz in einem fiktiven afrikanischen Staat simuliert wurde und an der 20 zivile Organisationen teilgenommen haben, sei ein Erfolg gewesen, da man unter anderem gelernt habe, Informationen zu teilen. "Hier hat das Militär einen großen Schritt gemacht", urteilte van Thiel. Man habe zudem einen Prozess der gemeinsamen Planung entwickelt, der "nicht nur an die militärische Planung ankoppelt". Angesichts der positiven Bewertung der Übung forderte van Thiel, den Ansatz "nachhaltig in die Strukturen zu übernehmen".
Die Übung habe gezeigt, dass das Militär auf der einen Seite und die zivilen Kräfte auf der anderen Seite "völlig unterschiedliche Organisationsstrukturen haben", sagte Dr. Winrich Kühne vom Evaluationsteam der "Common Effort"-Übung.
Während die Militärs aufgrund ihrer hierarchischen Befehlstruktur schnell bereit gewesen seien, die Führung zu übernehmen, hätten die zivilen Kräfte sich erst einmal finden müssen, sagte Kühne. Nach nur zwei Tagen aber hätten die "Profis der zivilen Hilfsorganisationen", wie etwa dem UNHCR, dem Hohen Flüchtlinskommissar der Vereinten Nationen, Forderungen an das Militär gerichtet, um ihre Ziele, wie etwa die Versorgung von Flüchtlingen, zu erreichen. (hau)