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Mehr als 57 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges werden Wehrmachtsdeserteure und homosexuelle Opfer der NS-Justiz gesetzlich rehabilitiert. Nach einer kontroversen Debatte beschließt der Deutsche Bundestag am 17. Mai 2002 mit den Stimmen der rot-grünen Regierungskoalition und den Stimmen der PDS-Fraktion die pauschale Aufhebung aller nationalsozialistischen Unrechtsurteile gegen Deserteure und Homosexuelle. Das entsprechende Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflegeergänzte die im August 1998 in Kraft getretene Regelung zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile. Damals hatte der Bundestag die pauschale Aufhebung eines Teils der NS-Urteile beschlossen. Für die Aufhebung von Urteilen gegen Wehrmachtsdeserteure und Homosexuelle war eine Einzelfallprüfung durch die zuständige Staatsanwaltschaft vorgesehen.
Diese Einzelfallprüfung sei für viele Verurteilte unzumutbar, notwendige Unterlagen würden oft nicht mehr existieren, betonten die Abgeordneten von SPD und Bündnis 90/Die Grünen. "Wer aus ideologischen oder rassistischen Gründen verurteilt wurde, soll nicht länger mit dem Makel, Verurteilter zu sein, leben müssen", erklärte der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesjustizministerium, Dr. Eckhart Pick (SPD).
"Wir wollen nicht, dass die Betroffenen sich selber um eine Aufhebung der Urteile bemühen müssen", betonte der Rechtspolitiker der Grünen, Volker Beck.
Auch konnten sich Betroffene mit dem Gesetz von 1998 nicht uneingeschränkt rehabilitiert fühlen, weil sie durch die damit verbundene Beweisführung, dass eine entsprechende Verurteilung erfolgt ist, belastet seien, sagte Pick. Weiter merkte er an: "Die Beschlüsse kommen mehr als 50 Jahre zu spät. Nötig sind sie dennoch. Das sind wir den Opfern der NS-Unrechtsjustiz schuldig."
Dass die unzumutbare und diskriminierende Einzelfallprüfung entfällt, sei nur recht und billig, betonte auch die PDS-Abgeordnete Dr. Evelyn Kenzler. Gleichzeitig kritisierte sie, dass nicht auch die Urteile wegen Kriegsverrats aufgehoben werden.
Keinen Regelungsbedarf hingegen sah die FDP-Fraktion. Alle bisher gestellten Anträge hätten einen positiven Erfolg gehabt, erklärte dazu der FDP-Rechtsexperte Jörg van Essen. "Alle, die Wert darauf gelegt haben, haben es amtlich bestätigt bekommen, dass ihnen Unrecht geschehen ist." Eine bessere Rehabilitation als eine Prüfung durch die heutige Justiz könne er sich gar nicht vorstellen, führte van Essen aus. Das Gesetz von 1998 sei den vielen verschiedenen Situationen gerecht geworden.
Nach Ansicht der CDU/CSU war die pauschale Aufhebung der Urteile gegen Deserteure nicht gerechtfertigt. Norbert Geis, rechtspolitischer Sprecher der Unionsfraktion, wandte ein, dass dadurch Richter pauschal ins Unrecht gesetzt würden. Gleichzeitig machte Geis aber auch deutlich, dass die Unionsfraktion mit der Aufhebung der Urteile gegen Homosexuelle einverstanden sei, das Gesetz aber wegen der Urteile gegen Deserteure ablehne.
Der CDU-Abgeordnete Dr. Jürgen Gehb kritisierte vor allem, dass Fahnenflucht zur "Kardinaltugend" erhoben würde und als moralisch einzuforderndes Verhalten den Millionen entgegengehalten würde, die gehorcht haben. Jeder Soldat der nicht desertierte, würde moralisch abqualifiziert.
Die Abgeordneten von CDU, CSU und FDP stimmten gegen die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses und damit gegen den Gesetzentwurf zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege. Am 27. Juli 2002 trat das Gesetz in Kraft. (klz)