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Am 9. November 2012, dem 23. Jahrestag des Falls der Berliner Mauer, hat der Bundestag über den von der Bundesregierung vorgelegten Jahresbericht zur deutschen Einheit (17/10803) debattiert. Dabei wurden erwartungsgemäß unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt. Während Redner der Koalition ebenso wie der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Dr. Christoph Bergner (CDU), auf die positiven Entwicklungen beim Umweltschutz, der Gesundheitsversorgung und dem Ausbau der Infrastruktur im Osten Deutschlands verwiesen, stellte die Opposition eine doppelt so hohe Arbeitslosigkeit, geringere Löhne und die nach wie vor nicht vollzogene Rentenanpassung in den Mittelpunkt ihrer Betrachtungen.
Beim Zusammenwachsen zwischen Ost und West könne man auf eine Vielzahl von Erfolgen verweisen, sagte Staatssekretär Bergner. Viele Bereiche würden inzwischen eine "weitgehende Angleichungen aufweisen".
Bergner machte deutlich, dass pauschale Ost-West-Vergleiche zunehmend an Aussagekraft verlieren würden. So sei zwar pauschal betrachtet die Arbeitslosenquote im Osten doppelt so hoch wie im Westen. "Thüringen aber hat eine geringere Quote als Nordrhein-Westfalen", sagte Bergner. Gleichwohl machte er deutlich: "Die Bundesregierung hält am Solidarpakt II fest."
Von einer bemerkenswerten Aufbauleistung der Menschen in Ostdeutschland sprach Iris Gleicke (SPD). Das sei aber auch Dank der Solidarität des Westens möglich gewesen, betonte sie. Nach wie vor sei aber ein großes Defizit bei der Angleichung der Lebensverhältnisse zu verzeichnen. So liege das Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf im Osten bei 71 Prozent des Westniveaus. Nach wie vor lägen auch die Löhne im Osten deutlich unter jenen im Westen, sagte Gleicke und erhob die Forderung nach "flächendeckenden Mindestlöhnen".
Der Bundesregierung warf sie fehlenden Gestaltungswillen vor. Wenn der Solidarpakt im Jahr 2019 ausläuft, müssten nach Aussage des Berichts die Länder im Osten ohne spezielle Förderung auskommen, kritisierte sie. Ihr gehe es dabei nicht um ein Verlängerung des Solidarpaktes, aber: "Man darf eine besondere Förderung nicht heute schon kategorisch ausschließen."
Die "vorwärtsgewandte" Einstellung der Menschen im Osten hob Patrick Kurth (FDP) hervor. "Die Bereitschaft zur Veränderung sollte sich auch die heutige Gesellschaft als Vorbild nehmen", regte er an. Kurth verwies auf Bereiche, in denen der Osten besser gestellt sei als die Länder im Westen. Das betreffe insbesondere den Bildungsbereich und auch die Kitastruktur. "Im Osten gibt es echte Wahlfreiheit", sagte der FDP-Abgeordnete mit Blick auf die Diskussionen rund um das Betreuungsgeld.
"Nicht akzeptabel" ist auch aus seiner Sicht die Lohnentwicklung. Einen Mindestlohn lehnte Kurth dennoch ab. Das führe lediglich zu einer höheren Arbeitslosigkeit und mehr Schwarzarbeit. Gerade für den Osten, so Kurth weiter, sei der Abbau der kalten Progression wichtig, da sich die Einkommen oft in diesem Bereich befänden. Er habe daher kein Verständnis dafür, dass der Bundesrat "aus parteipolitischem Kalkül" die von der Koalition auf den Weg gebrachten Regelungen blockiere.
Bei der Kaufkraft befänden sich die Ost-Länder auf den letzten Plätzen, konstatierte Roland Claus (Die Linke). Auch beim Entwicklungsvergleich aller deutschen Landkreise seien unter den 50 schlechtesten 49 aus dem Osten. Außerdem habe nach wie vor kein großes deutsches Unternehmen seinen Sitz im Osten, bemängelte Claus, der auch auf das Thema Rentenungerechtigkeit einging.
Im Koalitionsvertrag, so der Abgeordnete der Linken, sei die Einführung eines einheitlichen Rentensystems geplant gewesen. Laut Jahresbericht sei aber "eine Regelung, die den Bedürfnissen in Ost und West gerecht wird, derzeit nicht absehbar". Für Claus ein klarer Fall von "Vertragsbruch und Wahlbetrug mit Ansage". Zustimmung kündigte er für den Entschließungsantrag der SPD-Fraktion (17/11337) an. Die darin erhobenen Forderungen seien richtig. "Umsetzen können Sie diese Vorschläge aber nicht mit der CDU, sondern nur mit der Linken", sagte er an die Sozialdemokraten gewandt.
Kritik an der Politik der Bundesregierung übte auch Stephan Kühn (Bündnis 90/Die Grünen). "Das bloße Beschreiben des Status quo reicht nicht", befand er. Vom zuständigen Innenminister kämen keinerlei Impulse, obwohl der Osten Gefahr laufe, den wirtschaftlichen Anschluss zu verlieren. "Die Ausweitung des Niedriglohnsektors hilft da nicht weiter", sagte er.
Anschließend ging Kühn auf den ebenfalls zur Diskussion gestandenen Bund-Länder-Bericht zum Programm Stadtumbau Ost (17/10942) ein. Wenn dort von wachsendem Leerstand und erhöhtem Rückbaubedarf die Rede sei, müsse auch über die Altschuldenregelung für ostdeutsche Wohnungsbauunternehmen gesprochen werden. Selbst ein von der Bundesregierung in Auftrag gegebenes Gutachten habe empfohlen, die Altschuldenentlastung über das Jahr 2013 fortzuführen. Das habe aber die Bundesregierung nicht vor, kritisierte er.
"Das Programm Stadtumbau Ost war und ist ein Erfolgsprogramm", sagte Volkmar Vogel (CDU/CSU). Auch die Länder im Westen könnten von den dort gemachten Erfahrungen lernen. "Es geht nicht nur um Abriss", sagte Vogel. Vielmehr müsse dafür gesorgt werden, dass der Wohnraum, der zur Verfügung gestellt wird, attraktiv ist.
Der CDU-Politiker machte deutlich, dass er die Forderungen der ostdeutschen Ministerpräsidenten nach einer Fortsetzung des Programms über 2016 hinaus unterstütze. Wenngleich dieses auch eine andere Form haben müsse. "Wir brauchen ein Programm, das regional bestimmt ist und nicht mehr in Ost und West aufteilt", sagte er.
Im Anschluss an die Debatte wurde der Entschließungsantrag der SPD abgelehnt. Die Vorlagen der Bundesregierung wurden zur weiteren Beratung an die Ausschüsse überwiesen. (hau/09.11.2012)