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Der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Hellmut Königshaus, sieht die Bundeswehr an der Grenze der Belastbarkeit. Mit Blick auf Debatten über weitere Auslandseinsätze wie in Mali sagt Königshaus in einem am Montag, 4. Februar 2013, erschienenen Interview mit der Wochenzeitung "Das Parlament". "Im Augenblick führen wir diese Debatten immer nur unter dem Gesichtspunkt, ob wir uns an einem Einsatz beteiligen wollen oder sollen. Wir müssen uns aber auch die Frage stellen, was wir leisten können." Könighaus hatte am Dienstag, 29. Januar, den Wehrbericht 2012 an Bundestagspräsident Prof. Dr. Norbert Lammert übergeben. Das Interview im Wortlaut:
Herr Königshaus, folgt man ihrem neuen Jahresbericht, dann ist die Bundeswehr familienunfreundlich, an der Grenze zur Belastbarkeit und die Stimmung in der Truppe wegen der Reform der Streitkräfte insgesamt schlecht. Kann die Bundeswehr unter solchen Bedingungen ausreichend Nachwuchs gewinnen?
Das kann sie sicherlich, aber sie muss sich deutlich verbessern. Die Bundeswehr hat zwar ein Attraktivitätsprogramm aufgelegt, aber im Augenblick sind wir von einem Attraktivitätsgewinn noch weit entfernt. Wir reden bisher lediglich davon, bestehende Nachteile gegenüber anderen Arbeitgebern abzubauen. Die Soldaten klagen beispielsweise über fehlende Perspektiven. So weiß ein freiwillig Wehrdienstleistender oft selbst kurz vor Dienstzeitende nicht, ob es für ihn nach 23 Monaten die Möglichkeit einer Weiterverwendung geben wird. Gleiches gilt auch für einen Zeitsoldaten, der sich für vier Jahre verpflichtet. Zugleich sind sie aber verpflichtet, sich weltweit einsetzen zu lassen. Hinzu kommen Kommandierungen an heimatferne Dienst- oder Ausbildungsorte. Das bedeutet für die Soldaten und Soldatinnen lange Trennungsphasen vom Partner, von der Familie und vom sozialen Umfeld. Das ist ein gravierender Unterschied und Nachteil gegenüber zivilen Berufen.
Gehört dies nicht zwangsläufig zum Soldatenberuf?
Natürlich sind einige dieser Nachteile – etwa die Kommandierung in einen Auslandseinsatz – unvermeidbar, damit die Bundeswehr ihren Auftrag erfüllen kann. Aber wenn sie gegenüber anderen Arbeitgebern im Rennen bleiben will, dann müssen die vermeidbaren Nachteile beseitigt werden.
In welchen Bereichen ist das möglich?
Es geht zunächst einmal um das Leben und den Dienst der Soldaten in Deutschland. Dazu gehört beispielsweise, dass die Personalplanung Reserven vorhält, um auf die individuellen Lebensumstände der Soldaten flexibel reagieren zu können, etwa im Krankheitsfall oder bei Schwangerschaften. Es kann nicht sein, dass sich eine Soldatin Gedanken machen oder gar Vorwürfe anhören muss, weil ihre Kameraden ihre Arbeit zusätzlich erledigen müssen, wenn sie in Elternzeit geht. Einem solchen Druck setzt sich kein Mensch gerne aus. Zudem müssen ausreichend Betreuungsplätze für die Kinder der Soldaten zur Verfügung gestellt werden.
Das Verteidigungsministerium meldete Anfang des Jahres, es gebe keine Nachwuchsprobleme Hat das Ministerium eine falsche Wahrnehmung?
Das Ministerium hat eine andere Wahrnehmung, weil es sich bisher scheinbar mit dem Status quo tröstet und sich nicht perspektivisch mit dem Problem befasst. Wir haben derzeit bei den freiwillig Wehrdienstleistenden durch die doppelten Abiturjahrgänge wegen der Schulzeitverkürzung eine atypische Situation. Manche der jungen Leute, die deswegen keinen Studienplatz direkt nach dem Schulabschluss bekommen haben, melden sich zur Bundeswehr. Da aber die Alterskohorten in Zukunft immer kleiner und dadurch auch genügend Studienplätze zur Verfügung stehen werden, wird sich die Situation deutlich ändern. Das Gleiche gilt für Schulabgänger mit mittlerer Reife oder einem Hauptschulabschluss. Die Bundeswehr muss attraktivere Angebote für eine Berufsausbildung machen, die der Soldat nach seinem Ausscheiden im Zivilleben nutzen kann. Bei einem Kfz-Mechaniker ist das vergleichsweise einfach. Aber das muss auch für einen Infanteristen gelten. Der kann mit seiner soldatischen Ausbildung im Zivilleben nur wenig anfangen.
Sie haben die mangelnde Betreuungsmöglichkeiten für Soldatenkinder moniert. Gibt es konkrete Zahlen, wieviele Betreuungsplätze benötigt werden?
An den einzelnen Standorten wird der Bedarf immer wieder neu erhoben. Wegen des ständigen Personalwechsel alle paar Monate, ändert sich aber auch ständig der Bedarf. Und da die Bundeswehr derzeit noch über keine eigene Einrichtung verfügt, suchen sich die Eltern einen Betreuungsplatz im zivilen Bereich. Oder sie organisieren das privat wie etwa auf dem Gelände der Bundeswehr-Universität in München. Wenn die Bundeswehr aber einen Frauenanteil von 15 Prozent in den Streitkräften anstrebt, dann lässt sich ja anhand der durchschnittlichen Geburtenrate leicht ausrechnen, welcher Betreuungsbedarf vorhanden sein wird. Wenn eine alleinerziehende Soldatin zu einer viermonatigen Ausbildung fern ihres Wohnortes kommandiert wird, dann braucht sie dort einen Kinderbetreuungsplatz. An den Universitäten, den Krankenhäusern und den Ausbildungszentren der Bundeswehr müssen prioritär Betreuungseinrichtungen geschaffen werden. Das geht mir im Augenblick zu langsam voran. Und an Kleinstandorten müssen Kooperationsabkommen mit den lokalen Betreuungseinrichtungen abgeschlossen werden. Warum soll sich eine Bundeswehr-Kita nicht für den zivilen Bereich öffnen und umgekehrt?
Verteidigungsminister Thomas de Maizière zeigt sich wenig begeistert über bundeswehreigene Kitas. Er befürchtet, dass sich die Truppe von der Gesellschaft abkapselt und verweist auf das Beispiel USA, wo ein Großteil der sozialen Infrastruktur in den Kasernen angesiedelt ist. Sehen Sie diese Gefahr auch?
Diese Gefahr besteht vor allem dann nicht, wenn die Bundeswehr keinen Nachwuchs mehr gewinnt. Abgesehen davon existieren in Deutschland solche Großstandorte wie in den USA mit bis zu 50.000 Soldaten nicht. Deswegen teile ich diese Befürchtung nicht. Es müssen die realen Bedürfnisse mit einem vernünftigen Angebot an Betreuungsplätzen gedeckt werden.
Wenn die Bundeswehr an der Grenze der Belastbarkeit angekommen ist, erübrigen sich dann nicht Diskussionen über weitere Auslandseinsätze, etwa in Mali?
Im Augenblick führen wir diese Debatten immer nur unter dem Gesichtspunkt, ob wir uns an einem Einsatz beteiligen wollen oder sollen. Wir müssen uns aber auch die Frage stellen, was wir leisten können. Wenn in den laufenden Einsätzen personelle Engpässe entstehen, dann wird dies immer wieder auf dem Rücken der Soldaten und Soldatinnen ausgetragen. Das lässt sich auf Dauer nicht durchhalten. Wir können nicht ständig die Regenerationszeiten bei bestimmten Einheiten wie den Spezialpionieren immer wieder verkürzen oder die Einsatzzeit verlängern. Gleiches gilt für den Feldnachrichtendienst oder die Kampfmittelbeseitigung. Zwischen den Einsätzen in der Regenerationszeit werden die Soldaten zudem zu Lehrgängen geschickt. Dies bedeutet weitere Trennungszeiten von der Familie. Ein normales Familienleben ist so nicht möglich, und das macht Menschen auf Dauer krank. Oder die Beziehung mit dem Partner scheitert.
Nach ersten Ergebnissen einer Studie der Universität Dresden war etwa die Hälfte der Soldaten, die traumatisiert aus einem Auslandseinsatz zurückkehrten, bereits vorher psychisch erkrankt oder belastet. Werden die Soldaten vor ihrem Einsatz nicht ausreichend untersucht?
Der Dienstherr darf die Soldaten natürlich nur gesund in einen Auslandseinsatz entsenden. Diesem Aspekt muss zukünftig mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden.
Müssen die betroffenen Soldaten befürchten, dass ihnen Versorgungsleistungen vorenthalten werden, weil sie es schwerer haben zu belegen, dass ihre Traumatisierung einsatzbedingt ist?
Wenn die Bundeswehr einen Soldaten als verwendungsfähig einstuft für einen Auslandseinsatz, dann bescheinigt er ihm zugleich, dass er gesund ist. Wenn sich nach dem Einsatz herausstellt, das dem nicht sowar, kann er dem Soldaten natürlich nicht entgegen halten, dass die Traumatisierung nicht einsatzbedingt sei. Zudem kann die Ursache der Erkrankung ja auch in einem früheren Einsatz liegen.
(aw/04.02.2013)
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